© luxstorm auf PixabayWenn sich der Blick ändert mit Empathie und Humor 28. April 2025 von Dorothée Jansen Wer bin ich? Wer bist du? Was, wenn ich auch du sein könnte? Perspektivwechsel Beim Schreiben einer Geschichte ist es eine der ersten Fragen, die sich dem Autor stellen: Aus welcher Perspektive möchte ich diesen Text schreiben? Wird es eine Ich-Erzählung und darf ich somit Ereignisse sehr subjektiv aus einem einzigen Blickwinkel erzählen? Oder bin ich der auktoriale Erzähler, der von außen alle Charaktere beobachtet, mal in den einen, mal in den anderen hineinkriecht, der alles über jeden und jedes weiß, der unterschiedliche Sichtweisen gegeneinander-setzen kann? Mehrperspektivität. Surrealistische Autoren liebten es, ungewöhnliche Perspektiven einzunehmen: Da wird eine Geschichte aus der Perspektive eines Schuhes, eines Bettes oder der Nähmaschine erzählt. Was weiß das Bett möglicherweise über den Schlafenden, was der nicht einmal von sich ahnt? Dass der nämlich nachts zwar seinen Körper auf der Matratze ablegt, dabei aber mit seinem Leib in ganz andere Welten reist. Traumphänomene. Für die interessierten sich surrealistische Künstler sehr. Was hier wie ein Spezialproblem eines gewissen Berufsstandes – dem der Schriftsteller – wirkt, vielleicht noch im Kontext des Deutschunterrichtes von Interesse sein könnte, wird von größerer Relevanz, wenn wir das Feld der Psychologie betreten. Da erweist sich der Perspektivwechsel oft als ein gutes Hilfsmittel, eingefahrene Denkmuster zu erweitern, aus Sackgassen herauszufinden, neue Möglichkeiten zu erkennen. Wie sieht der eigene Berufskonflikt aus, wenn ich ihn aus dem Blickwinkel meines Kollegen, eines Vorgesetzten oder aber aus der Perspektive einer älteren Version meines Selbst betrachte? Erstaunlich und an dieser Stelle bemerkenswert ist, dass wir als Menschen dazu in der Lage sind, andere Perspektiven einnehmen zu können. Nicht alle gleich gut. Auch nicht in jeder Lebenslage. Nicht in jeder Lebensphase. Solch einen Perspektivwechsel können wir erlernen, üben und wir können ihn verlernen. Phänomenologie des Blickwechsels Was eigentlich passiert genau, wenn wir als Mensch die Perspektive eines anderen einnehmen? Nicht neurowissenschaftlich gesehen. Die interessiert sich zwar in den letzten Jahren immer mehr für das Phänomen, vermag aber kaum zu beschreiben, was der Leib bei einer solchen Positionsveränderung erfährt. Die Phänomenologie ist ein Teilbereich der Philosophie und versucht zu erfassen, was Menschen erleben bei gewissen Phänomenen. Erfahrungsbasierte Philosophie. Was fühlt der Leib? Was denkt er? Wie werden Raum und Zeit erfahren? Welche anderen sinnlichen Wahrnehmungen gehen damit möglicherweise einher? Jener Perspektivwechsel ist dabei interessanterweise vor allem ein Ortswechsel. Die Raumposition wird verändert. Dies kann geschehen, ohne dass sich der physische Körper vom Platz wegbewegt. Ich bin in mir und bin gleichzeitig in einem anderen. Crazy. Manchmal bin ich bezüglich meines Erlebens jedoch gar nicht mehr hier, sondern nur noch dort – in dem anderen – und betrachte mit dessen Augen die Welt. Oft, wenn ein solcher Blickwechsel vollzogen wird, kann aus der Perspektive des anderen die Welt gehört, gerochen, ertastet, gesehen werden. Wir Menschen können das. Auch ohne Drogen oder tagelanges Meditieren. Der sprechende Körper Im psychosomatischen Kontext kann es bspw. hilfreich sein, die Perspektive eines Körperteiles einzunehmen. Ich habe Tinnitus-Patienten gerne einen Text schreiben lassen, wie ihre Ohren den eigenen Tagesablauf wahrnehmen, wie sie dabei fühlen, was sie mögen, was nicht. Die Botschaft des Tinnitus konnte darüber verständlich werden. Ein anderes Beispiel: Was hat die geschuppte wunde Haut mitzuteilen, wenn sie aus ihrer Sicht über das Beziehungsgeschehen mit dem Vater erzählen darf? Ja, auch dazu sind wir Menschen in der Lage: Wir können die Perspektive einzelner Körperteile einnehmen, erfahren darüber, dass vielfach verschiedene Stimmen und Ansichten in uns leben, zu uns sprechen, Gehör verlangen. Hören wir ihnen zu, haben sie oft erstaunliche – uns sonst unbewusst bleibende – Bedürfnisse. Der systemische Blick Genau genommen sind wir Menschen immer schon und in jedem Moment ein buntes Potpourri an Perspektiven und Blicken. Wir sind eine Gruppe, ein komplexes System. Nicht nur, dass wir in sozialer Hinsicht Teile größerer Systeme sind, auch jeder einzelne von uns ist bereits ein sehr komplexes Polyversum. Da zwitschert in uns die Stimme der Mutter weiter, auch wenn diese schon lange tot ist. Da will sich ein alter Lehrer Gehör verschaffen. Das kleine Kind in uns meldet Bedürfnisse an, während unser zukünftiger Teil schon eine Ahnung hat, dass das alles so nicht weiter gehen kann. Das kann einem dann schon mal zu viel werden und man verbietet kurzerhand allen den Mund, um endlich wieder zu der einen und einzigen Stimme zurückkehren zu können. Verständlich, aber auf lange Sicht oft krankmachend. Also nicht nachhaltig. Empathie mit allen Wesen Jene Möglichkeit des Perspektivwechsels wird heutzutage oft als Empathie bezeichnet. Damit ist genau genommen nicht nur ein Einfühlen gemeint, was lediglich auf die emotionale Komponente abzielen würde. Empathie meint das Hineinfühlen als auch das Hineindenken in einen anderen. Dass es auch möglich ist, mit einem Tier mitzufühlen, ja, von diesem aus die Welt zu betrachten, gewinnt im Rahmen ökologischer Anliegen immer mehr Bedeutung. Kann und mag ich ein Tier töten, wenn ich mit diesem mitfühle? Wie ändert sich meine Haltung gegenüber Bäumen, wenn ich bei ihnen unter die Haut – sprich die Rinde – schlüpfe? Werden wir als Menschheit möglicherweise aktiver, wenn wir mit den Wesen in den Meeren empathisch sind, wenn wir uns fragen, wie sich eine Koralle fühlt, wenn wir mit all unseren Sinnen in diese eintauchen? In der buddhistischen Metta-Meditation wird eine solche Haltung des Mitgefühls mit allen Wesen geübt. Eine schöne Übung. Der Meditierende sitzt dabei auf einem Kissen oder Stuhl. Sein Erleben sitzt somit fest. In Zeiten, wo viele Menschen nicht geübt sind, ganzkörperlich Empathie zu erleben, ist es oft jedoch hilfreicher, den gesamten Leib zu bewegen, um sich in einen anderen hineinversetzen zu können – Empathie-Tänze. Ich gehe in die Natur und tanze dort mit Menschen ins Moos hinein, durchs Wasser hindurch, um und in einen Baum hinein. Humor und wie sich dabei der Blick ändert Meine neue Jahresgruppe startet. Die Teilnehmer kennen sich nicht. Wie miteinander vertraut werden? Wie sich kennenlernen? Ich habe rote Nasen dabei und lade jeden einzelnen ein, die Bühne der Aufmerksamkeit aller zu betreten und den Clown die eigene Person vorstellen zu lassen. Dieses Wesen mit der roten Nase, das ein wenig kindlich ist, das ein wenig verspielt ist, das ein riesengroßes Herz hat, das dich mag, das mit dir mitfühlt, das all deine Tricks und Ticks durchschaut. Ein Wesen, das mit beiden Beinen auf dem Boden steht, das die Welt und die Menschen kennt. Ein Wesen, das Kind geblieben ist, ohne jedoch eigene Bedürfnisse über die anderer zu stellen. Der Clown. Eine andere Perspektive. Einer, der gerne lacht. Auch wenn es eigentlich superernst ist. Einer, der Humor hat. Was eigentlich ist das – Humor? Es ist auch so ein Aus-mir-Heraustreten. Gleichzeitig wird dabei ein dickes Band zum eigenen Selbst gehalten. Und dieses Band ist mit dem Herzen verbunden. Es ist eine Verbindung in Liebe. Pochend-wilde leidenschaftliche Liebe. Die Raum schenkt. Die aus Enge befreit. Die für Entspannung sorgt. Kein weiser Mann oder eine weise Frau, die mit Abstand von weit weg anschaut. Kein Stern, von dem aus du auf dich schaust. Nein, ein ganz irdischer, naher, mit dir verbundener Clown. Sein Lachen erfüllt den Raum, schenkt Leichtigkeit, auch wenn das, was erzählt wird, oft zum Verzweifeln ist, ohne Ausweg scheint. Manchmal, wenn ich aktuell die Nachrichten höre, setze ich mir imaginär auch eine solche Nase auf, um trotz alledem zu lachen und im Mitgefühl zu bleiben für eine Weltsituation, die unser aller Empathie braucht. Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.