von Dolores Richter, Februar 2025

Gibt es einen Begriff von Sicherheit und Halt, der Beweglichkeit zulässt?
Wir leben in einer herausfordernden Zeit. Wenn sie überfordernd wirkt, wächst unser Bedürfnis nach Sicherheit. Dabei sind wir gewohnt, Sicherheit als etwas zu denken, wo wir uns abgrenzen und schützen müssen, was auch oft genug sein muss. Dennoch suche ich nach einem anderen Begriff, eine andere Bewegung, die Sicherheit ermöglicht. Im ersten Moment will ich das, was überfordert, weghaben. Seien es unliebsame politische Ansichten oder überhaupt Andersdenkende. Ich spüre darin ein Bedürfnis nach Ruhe und Selbstbestimmtheit. Wo so viele unfassbare Informationen in unser Zuhause eindringen wie zur Zeit, brauchen wir noch dringender ein paar Menschen, die so denken, wie wir. Das würde ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit stärken. Oder ein Gefühl, dass noch irgendetwas stimmt. Ich finde diese Bewegung gesund und doch entfernt sie uns noch ein Stück weiter von Menschen, die anders ticken.

Die Bewegung, die ich suche

Die Bewegung, die ich suche und die mir manchmal gelingt, ist, meinen inneren Raum zu vergrößern. Ich spüre, dass da, wo mir etwas zu viel ist, eine Enge oder Abwehr entsteht – und versuche meinen Wahrnehmungsraum so zu weiten, dass das Abgewehrte darin vorkommt und ich mich darauf beziehen kann. Nehmen wir meine Angst vor einem Konflikt. Im ersten Moment ist er außerhalb von mir und ich will ihn weghaben. Zum Beispiel schiebe ich ihn so weit wie möglich von mir weg, damit ich wenigstens einschlafen kann.
Aber ich kann nicht schlafen. Ich spüre, dass die Anstrengung des Wegschiebens mich wachhält, ja sogar meine Angst vergrößert, besser gesagt: die Angst vor der Angst. Dann erinnere ich mich an die Momente, wo ich die Angst vor der Angst erkennen konnte und dadurch mich in die Angst hineinstellen konnte. Was dann geschieht, ist sehr überraschend: ich stehe im Feuer der Angst als einer Energie, die mir sogar Kraft geben kann. Sie richtet auf und macht wach.
Ich weiß nicht, ob das für jede Situation von Angst gelingen kann, aber im sozialen Bereich ist es mir schon mehrmals gelungen.

Meinen Raum vergrößern

Von da aus nehme ich das, was mir Angst gemacht hat, in meinen Raum, ich nehme es zu mir als einen Teil von mir. Die Anstrengung des Wegschiebens lässt nach. Ich werde weicher. Es taucht ein Gefühl auf, das heißt ungefähr: die Welt findet in mir statt. Was sich dadurch verändert, ist dem Gefühl von Empathie ähnlich, und doch ist es umfassender. Das, wofür ich empathisch bin, bin auch ich. Ich bin nicht mehr getrennt davon und dadurch kommt gar keine Idee von Abgrenzung oder Feindschaft auf.
Letzteres schreibe ich mit Vorsicht, da ich nicht ab sofort frei bin von trennenden Gedanken. Dennoch ist es so in dem Moment, und diese Momente dehnen sich aus. Und je öfter ich diese Raumvergrößerung praktiziere, umso mehr wird das Teil meiner Wirklichkeit. Dann bemerke ich einen trennenden, verurteilenden Gedanken in mir, und es entsteht eine kleine Lücke. Eine Lücke ist eine Chance zu einer neuen Reaktion.

 

Die Welt findet in mir statt

In diesem Sinn gibt es mir Sicherheit, wenn ich mich mehr und mehr mit mir selbst vertraut mache. Ich finde so vieles in mir wieder, was ich im Außen empörend und verstörend finde. Wenn ich es in mir finde und ihm begegne, fühle ich mich ganzer werden. Es gibt mir Halt. Und noch was: ich habe weniger Angst! Und dieser Halt gibt mir auch eine Haltung dort, wo ich mich im außen abgrenzen und empören muss. Ich stehe klar in meinem Standpunkt, ohne darin neue Feindschaft zu erzeugen.

Ich schreibe dies als eine Person, die mit Leidenschaft forscht, wie Liebe und Frieden gelingen. Die Liebe zwischen Menschen, Mensch und Natur, zwischen Gruppen, Völkern, Nationen. Ganz besonders widme ich mich der Frage, wie Lieben in unseren Liebesbeziehungen gelingt – weil diese sehr stark im Brennglas von persönlichen und kollektiven Dynamiken stehen. Sind doch unsere Partnerschaften, Liebesbeziehungen, intimen Freundschaften immer unsere Heimat und Halt, die wir dringender denn je brauchen in dieser Zeit. Oder schmerzlich vermissen.

Der größere Raum der Liebenden

Wie können unsere Liebesbeziehungen noch klarer zu einem Ort von Halt und Bezogenheit werden? Und wie kann dieser Ort gleichzeitig weit und lebendig bleiben, damit Eros sich bewegen kann? Ich verstehe Eros als intensive kreative Kraft, die uns anzieht, antreibt, bewegt und lebendig macht. Auch zueinander zieht. Die ihren Platz braucht, damit die Heimat nicht zu klein wird.
Meine Erfahrung ist ähnlich wie oben beschrieben: auch hier hilft es, den Raum zu vergrößern. Meinen Innenraum, den Raum zwischen uns und den Raum um uns. Wo Liebende sich mit anderen umgeben/zusammentun, sich mitteilen, forschen, sich Einblick geben in ihr Scheitern und Gelingen, sich unterstützen, entsteht dieser größere Raum, und die Liebe kann atmen. Liebe, die atmen kann, fühlt sich wahrer an und kann viel klarer in unseren Herzen ankommen. Wenn ich gleichzeitig lerne, Liebe in mir ankommen zu lassen, kommt mein Herz zur Ruhe. Das Gefühl von Sicherheit, das damit einhergeht, ist in Absprachen oder Abgrenzungen nicht zu finden. Es ist die Kraft, mich auf Beziehung einzulassen und auf meine und deine Liebe zu vertrauen. Stück für Stück, Tag für Tag ein bisschen mehr.

Was ich beschreibe, ist ein Ausschnitt aus einem Lernweg, den ich die soziale Kunst der Liebe nenne.
Soziale Kunst der Liebe bedeutet, dass ich die Liebe in ihren vielen Aspekten kennenlerne und ihre Quellen Stück für Stück zugänglicher mache. Sie bedeutet ein Training von Selbstkontakt wie die Pflege eines spirituellen Weges. Sie befasst sich mit Sehnsucht, Herzöffnung, Lust und Sexualität genauso wie mit klarem Denken und einem ethischen Leben. Sie bildet unterschiedliche Formen von Gemeinschaft, die unsere Liebesfragen in einen größeren sozialen Kontext stellen. Denn Liebesfähigkeit ist keine individuelle Leistung, sondern die gemeinsame Arbeit an einer Kultur, die unser Lernen und Wachsen in der Liebe fördert: unser Kontakt zu unserem Körper und unserem Fühlen, Kontakt zu Bedürfnissen und Sehnsüchten; unseren Zugang zu Lust, Lebensfreude und Sexualität wie auch eine nährende Beziehungsfähigkeit.

Nach meiner Erfahrung ist diese Art zu lernen in der Liebe ein Blueprint für Friedensfähigkeit überhaupt. Deshalb teile ich sie gerne, jetzt und gerade heute, in dieser Zeit!

 

Wer mehr erfahren möchte:
Dolores Richter liebeskunstwerk.org
Jahrestraining Liebeskunstwerk in 3 Modulen mit Dolores Richter und Michael Anderau
Beginn 30.4. – 4.5.25
Anmeldung

 

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*