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Die Frau in mir

Die Frau in mir

Titel: Die Frau in mir

Author: Christian Seidel

Verlag: Heyne

Preis: 12,99

ISBN: 978-3453602991

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Selbstversuch

Was definiert einen „echten Mann“? Warum darf ein Mann keine Nylonstrümpfe tragen, ohne dass gleich seine Sexualität und sein Mannsein in Frage gestellt wird? Was ist eigentlich „typisch“ weiblich? Was männlich? Bewegen wir uns alle einfach nur in festgesteckten Rollen, die uns die Gesellschaft vorgibt? Frauen dürfen zum Beispiel Seide, Satin, Spitze und hauchzarte Strümpfe in blühenden Farben haben – wenn sie denn wollen. Männer kriegen eine kleine Auswahl an Feinripp, Funktionsunterwäsche und sportlichem Einheitsbrei in Erdmatschtönen und Schwarz angeboten. Produkte für Frauen gelten für Männer quasi als unberührbar.

Mit dem Kauf von einem Paar halterlosen Nylons überschreitet Christian Seidel eine unsichtbare Grenze. Aus Christian wird Christiane. Der Ex-Manager, Schauspieler und Journalist, glücklich verheiratet mit einer Frau, über 50, hat sich – um sich glücklicher und in sich runder zu fühlen – dem Selbstversuch gestellt und ein Jahr lang als Frau gelebt. Er wagt sich an ein Anderssein außerhalb der Norm, das sofort mit dem Stempel „Perversion“ versehen wird und die Umwelt größtenteils in Fassungslosigkeit stürzt. Die Leser/innen können ihn auf seiner Wandlung zur Frau begleiten. Vom ersten zaghaften Herantasten bis hin zum Kauf der ersten Brüste, zu einer gynäkologischen Untersuchung, einem Mädelsabend und zahlreichen neuen Kontakten und Einblicken in die weibliche Lebenswelt. Seine Erfahrungen als Frau sind nicht nur positiv: Ausgrenzung, Männer und Frauen im Freundeskreis, die seinen Anblick nicht ertragen, Freundschaften, die beendet werden, sexuelle Übergriffe, Anzüglichkeiten und sogar eine fast gelungene Vergewaltigung.

Fazit: Eine durchaus interessante und faszinierende Lektüre für alle, die sich mit dem stereotypen Schubladensystem unserer Geschlechternormen beschäftigen. Aber auch wenn es ein Tatsachenbericht ist, scheint alles irgendwie so… glatt zu sein. Ein wenig wie Erzählungen aus einem Frauenroman. Christian Seidel versucht überholte Grenzen zwischen Mann und Frau zu erkennen und zu aufzuheben. Er neigt aber auch dazu, das Frausein zu idealisieren (zum Beispiel, die schwesterliche Verbundenheit von Frauen). Ebenfalls irritierend, dass er durch seinen Ausbruch aus der klassischen männlichen Rolle wiederum weibliche Rollenklischees eher zu zementieren scheint und Gestik, Bewegungen, innere Haltungen und Verhaltensweisen als typisch weiblich aufnimmt. Weich, zart, elegant, emotional, empathisch… quasi genau die klassischen Fähigkeiten, die dem Frausein biologisch zugeschrieben werden. Was auf einer weiteren Ebene natürlich wiederum ganz spannend ist, da Christiane diese Eigenschaften automatisch annimmt und damit – ob gewollt oder nicht – entlarvt, dass diese Verhaltensweisen im Grunde kultu- reller und gesellschaftlicher Kontext sind und nichts, was Weiblichkeit von Geburt an auferlegt ist.

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