Giovanni Maio: Ethik der Verletzlichkeit

Verletzlichkeit als Potenzial

Wie leicht sagt sich das: Sensibilität ist eine Stärke. Aber es trifft uns meistens hart, wenn wir verletzlich sind. Die Zeit der aktuellen Kriege macht uns das besonders deutlich, ebenso der Rückbau von Sozialstrukturen oder individuelle Nöte. Der Mensch ist keine Maschine, die nach Reparaturen wieder schnurrt – uns Menschen ist, wie der Natur, Verletzlichkeit von Grund auf eingewoben.

Giovanni Maio ist Professor für Bioethik und geht das Thema wissenschaftlich-philosophisch an: Verletzlichkeit ist die Grundlage menschlicher Existenz. Wir kommen „unfertig“ auf die Welt und sind von Geburt an auf andere angewiesen, wir wollen genährt, geliebt, anerkannt und verstanden werden. Wenn dies nicht eingelöst wird, schmerzt uns das, ja es kann sogar tödlich sein. Doch genau in dieser Vulnerabilität liegt auch „Entwicklungsoffenheit“, liegt tatsächlich eine Kraft, ja eine innere Ressource. Nur durch sie erfahren wir die Möglichkeit, flexibel zu sein, uns zu entfalten und zu verändern, für uns selbst und auch für andere zu sorgen. So schließt sich der scheinbare Widerspruch zwischen dem Selbst und der Gemeinschaft, Autonomie und Angewiesensein. Wir benötigen „Interdependenz“, Verbindung und Verantwortung – das macht „Beziehungshandeln“ aus.

Fazit: Sensibilität ist eine Stärke. Wer das nicht schon immer wusste, bekommt es hier wissenschaftlich untermauert vorgeführt.

(Renate Graßtat, www.worteinbewegung.de)