Judith Hermann: Daheim

Judith Hermann: Daheim

Titel: Daheim

Author: Judith Hermann

Verlag: S. Fischer-Verlag, Mai 2021 192 Seiten, gebunden

Preis: € 21,00

ISBN: 978-3-10-397035-7

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Reife Leistung

Nein, hier geht es nicht um Quarantäne. Judith Hermanns Roman handelt von einer Frau mittleren Alters, die allein ist und aufs Land zieht, in die Nähe von Berlin. (Hier gibt es überraschende Parallelen zu Juli Zeh, deren „Über Menschen“ jedoch erst danach erschien). Sie hätte ein ganz anderes Leben haben können, und darüber denkt sie nach, ebenso wie übers Eingesperrtsein. Ein Marder stört hier ihre Ruhe. Irgendwo hat sie eine Tochter, einen Ex-Partner, mit dem sie noch viel verbindet, sie findet eine Freundin und es winkt ein neuer Mann. Jemand stirbt am Ende.

Alle haben sie es bereits rezensiert, die großen Zeitungen und Rundfunksender: „Stärkste Liebesgeschichte, Sehnsucht, radikaler Neuanfang, schwebender Sound, exakte Prosa, Einfühlsamkeit, Zustand des Dazwischen, Hinter-sich-Lassen und Neuerfinden“ sind dabei die Schlüsselwörter. Warum ich das Buch hier trotzdem noch besprechen möchte? Lasse ich das Jahr mit allen seinen Büchern noch einmal Revue passieren, bleibe ich am Ende an dieser Erzählung hängen: Sie hatte für mich eine starke Sogkraft. Wie aber schafft sie das, obwohl im Grunde doch nicht viel passiert?

Judith Hermanns Debüt, „Sommerhaus, später“, machte 1998 von sich reden. „Wir haben eine neue Autorin“, krähte der strenge Reich-Ranicki damals, als sei alles andere bis dato einfach Murks gewesen. Doch nichts konnte genau beschreiben, was Hermanns eigenwilligen Erzählstil ausmacht. Dieser erscheint hier noch einmal verfeinert und gereift. Es ist vielleicht die Mischung aus Bewusstseinsstrom und sachlich scheinender Beobachtung, die Einbettung von Gesprächs- und Gedankenfetzen in etwas Fließendes, das sich ganz leicht und völlig natürlich zu ergeben scheint, was diese tiefe Authentizität ausmacht.

Fazit: Ein Buch, das wunderbar in diese Jahreszeit passt. In seinen Seiten schmecken wir die Eindrücke des Sommers, doch sind bereits im Winter angekommen – wo Zeit ist, um allem nachzuspüren.

Renate Graßtat (www.worteinbewegung.de)