Bild: Golden Buddha von Jennifer Stahn Lizenz: cc-by-ndBuddhistische Psychotherapie: Achtsame Selbststeuerung 26. Mai 2016 Therapie Seit 2011 können Therapeuten in Deutschland die Buddhistische Psychotherapie (BPT®) erlernen. Die BPT® ist eine Behandlungs-, Beratungs-, Coaching-, Lehr- und Praxismethode, die Elemente aus den buddhistischen Lehren, den angewandten Neurowissenschaften und den westlichen Psychotherapiemethoden umfasst. Die Buddhistische Psychotherapie geht davon aus, dass wir alle immer wieder leiden, und zwar unter einem ungezügelten Verstand, einem eingetrübten Geist, deshalb sind wir alle mehr oder weniger „geisteskrank“. Der 2.500 Jahre alte Buddhismus ist aus Sicht der Buddhistischen Psychotherapie deshalb auch keine Religion, sondern eine praktische Lebensphilosophie und vor allem eine Wissenschaft des Geistes. Das wichtigste Handlungsprinzip der Buddhistischen Psychotherapie, um Befreiung von den unheilsamen Geisteszuständen erlangen zu können, lautet: Wir befreien uns nicht von unseren Problemen, sondern inmitten unserer Probleme. Automatismen durchbrechen Die meisten Menschen führen ein Leben auf „Autopilot“, wo Gewohnheiten und automatisierte Handlungsabläufe dominieren. Wenn dann Probleme, Konflikte und Sorgen hinzukommen, verschärft sich die Dynamik, und es entsteht eine Problemtrance. Gerade in der Problemtrance besitzen wir wenig Zugang zu unseren bewussten und kreativen Ressourcen. Stattdessen sucht unser Verstand nach vertrauten Lösungsmustern, um diese dann anzuwenden. Eine der negativen Folgen dieser Vorgehensweise ist, dass wir uns oft wie im „Hamsterrad“ fühlen. Man kann dieses Phänomen spüren, wenn man den Eindruck hat, dass die Zeit sehr schnell verfliegt und die Dinge einem irgendwie passieren, ohne das man das Steuer in der Hand hat. Hier versucht die Buddhistische Psychotherapie im wahrsten Sinne des Wortes gegenzusteuern und den Menschen mehr Möglichkeiten der Selbststeuerung in die Hand zu geben, sodass mehr Ressourcen entwickelt und mehr Selbstwirksamkeit erfahren werden kann. Buddhistische Psychotherapie: Praxis ist wichtig Im Gegensatz zu den klassischen Verfahren in der Verhaltenstherapie oder in der Psychoanalyse ist es mit einer einmal wöchentlichen Therapiesitzung von 50 Minuten nicht getan. Die Buddhistische Psychotherapie arbeitet mit der achtsamen Praxis. Deshalb bekommen die Klienten Übungen für zu Hause auf, die sie täglich wiederholen müssen. Das Ziel aller Übungen ist letztendlich die Verschmelzung zwischen Übung und Alltag. Das achtsame Tun, Denken und Fühlen soll so sehr im Alltag integriert sein, dass Leid verursachendes Denken, Fühlen und Handeln schnell erkannt und abgestellt werden kann. Die Klienten bekommen eine umfassende Einführung in die Thematik und in die buddhistische Geisteslehre. Es wird viel Wert auf das Erkennen, das Verinnerlichen und das Verwirklichen der Lehre gelegt. Gelehrt werden die vier edlen Wahrheiten, die fünf Lebensregeln und die vier Stufen der Achtsamkeit, wie sie Buddha vor 2.500 Jahren gelehrt hat. Erkennen – Verinnerlichen – Verwirklichen Die Buddhistische Psychotherapie hat ihre Übungspraxis ist in drei Schritte unterteilt, damit der Weg von der Theorie zur Praxis wirklich beschritten werden kann. Nur so ist gewährleistet, dass sich im Gehirn durch Neuroplastizität neue Nervenautobahnen bilden und die kognitive Leistungsfähigkeit wie zum Beispiel Konzentration, Gedächtnis, Kreativität und Entscheidungskompetenz verbessert werden kann. Nach zwei bis sechs Wochen spiritueller Praxis sollte sich das achtsame Gewahrwerden spürbar gefestigt haben, sodass es schließlich in Situationen abgerufen und eingesetzt werden kann, in denen wir uns nervös, unruhig oder ärgerlich fühlen. Auf das Erkennen von Problemsituationen erfolgt als unerlässlicher zweiter Schritt das Verinnerlichen, bei dem wir uns durch einen konsequenten, geduldigen und regelmäßigen Übungsprozess mit Hilfe vieler täglicher Wiederholungen die Erkenntnisse zu Eigen machen müssen. Dieser zweite Schritt wird gern mal überhört und ausgelassen, doch ohne ständiges Wiederholen wird sich keine Veränderung erreichen lassen. Erst nach dem Erkennen und Verinnerlichen kommt es zu einem tatsächlichen Verwirklichen. Erst wenn sich im Gehirn neue Nervenautobahnen durch ständiges Wiederholen der spirituellen Praxis gebildet haben, sind wir in der Lage, nicht mehr gewohnheitsmäßig und leidvoll zu reagieren, sondern achtsam Gegenzusteuern. Die vier edlen Wahrheiten Buddhas erste Lehrrede umfasst die wesentlichen Punkte der buddhistischen Geisteswissenschaft. Sie beinhaltet drei wesentliche Aussagen: Bleibe auf dem mittleren Weg Nutze die Erkenntnisse, um im Hier und Jetzt dir selbst und anderen zu helfen Erfasse die vier edlen Wahrheiten Die vier edlen Wahrheiten beschäftigen sich mit dem Erkennen des Leidens, seinen Ursachen, dem Ende des Leidens und dem Pfad zu seiner Beendigung. Die erste edle Wahrheit vom Leiden dreht sich um die Frage: Welche Rolle spielt das Leiden im Leben? Die zweite edle Wahrheit vom Leiden dreht sich um die Frage: Wie entsteht das Leiden? Die dritte edle Wahrheit vom Leiden dreht sich um die Frage: Was können wir selbst gegen das Leiden tun? Die vierte edle Wahrheit vom Leiden dreht sich um die Frage: Wie setzten wir das um? Die Kernaussage der ersten edlen Wahrheit lautet: Probleme sind normal, wir dürfen sie nur nicht noch selbst verstärken, indem wir einen zweiten Pfeil auf uns selbst schießen und uns dafür verurteilen, dass wir Probleme haben. Das erste therapeutische Grundprinzip in der buddhistischen Psychotherapie lautet dazu: Mache es nicht noch schlimmer, als es bereits ist. Die Kernaussage der zweiten edlen Wahrheit lautet: Die Ursachen für das Leiden sind Unwissenheit (Verblendung), Anhaftung (Begierde) und Widerstand (Hass). Sie werden auch als die drei Wurzelgifte des Geistes bezeichnet. Die Unwissenheit entsteht daraus, dass wir vergessen haben, dass wir alle miteinander verbunden sind und uns getrennt von den anderen fühlen. Wir glauben an die Identität eines von den anderen getrennten Ich und bilden verschiedene Persönlichkeitsanteile heraus. Die Anhaftung entsteht daraus, dass wir als kleine Kinder den Überlebensinstinkt des Festklammerns an die Liebe der Eltern gelernt haben, woraus sich später feste Meinungen, bestimmte Vorlieben und Abneigungen entwickeln. Wenn wir uns auf etwas festlegen, müssen wir gleichzeitig andere Möglichkeiten verwerfen. Daraus entstehen dann Widerstände gegen Alternativen. Die Widerstände entstehen aus unbewussten psychischen Abwehrmechanismen und dienen der Selbstverteidigung und dem Schutz vor Verletzungen. Die Kernaussage der dritten edlen Wahrheit lautet: Erlöschen die Ursachen des Leidens, erlischt das Leiden. Für die buddhistische Psychotherapie bedeutet das, an der Unwissenheit, der Anhaftung und dem Widerstand zu arbeiten. Also an dem falschen Selbstbild, an dem geringen oder überhöhten Selbstwertgefühl und an der mangelnden Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung. In der Praxis werden dazu mentale Übungen gemacht und natürlich tägliche Meditation. Die Kernaussage der vierten edlen Wahrheit lautet: Zum Erlöschen des Leidens führt der edle achtfache Pfad. Der edle achtfache Pfad verweist auf die Lebensbereiche rechte Sichtweise, Entschlossenheit, Reden, Handeln, Lebensunterhalt, Bemühen, Achtsamkeit und Konzentration, umfasst also unseren gesamten Lebensstil. Am Ende dieses Pfades stehen dann ein klarer Geist, ein heilsames Handeln und eine vollkommene Weisheit, die zur Erleuchtung führt. Die fünf Lebensregeln Die Wirkungskraft der regelmäßigen Übungen kann sich nur dann entfalten, wenn wir ihnen eine echte Chance geben, und das kann nur geschehen, wenn wir einige heilsame Prinzipien beachten. Die Buddhistische Psychotherapie bietet ihren Klienten deshalb die fünf Lebensregeln an, die zunächst einmal vier Wochen lang im Selbstversuch ausprobiert werden können. Wir achten darauf, kein Lebewesen bewusst zu töten oder zu verletzen: Das kann bedeuten, dass wir auf tierische Produkte verzichten, keine Insekten erschlagen und kein Unkraut rausreißen. Wir achten darauf, nichts zu stehlen oder zu nehmen, was uns nicht gegeben wurde: Das kann bedeuten, Fundsachen abzugeben, bei der Steuerklärung nicht zu schummeln und zuviel behaltenes Wechselgeld zurückzugeben. Wir pflegen einen achtsamen Umgang mit Beziehungen, Sexualität und Partnerschaft: Das kann bedeuten, dass man beim Umgang mit Leidenschaft und Sexualität den mittleren Weg geht und monogam lebt. Wir pflegen eine achtsame und gewaltfreie Kommunikation: Das kann bedeuten, dass wir Lügen und grobe Worte vermeiden und auch keine verbalen Pfeile auf Kosten anderer abschießen. Wir achten darauf, den Konsum von Substanzen zu vermeiden, die unseren Geist trüben: Das kann bedeuten, dass wir auf alle stofflichen Drogen wie Alkohol, Nikotin und Kaffee verzichten und darüber hinaus auch auf Medienkonsum wie Fernsehen und Internet. Die vier Stufen der Achtsamkeit Das buddhistische Achtsamkeitstraining umfasst die Bereiche Körper, Emotionen, Verstand und Geistesobjekte. Der körperliche Bereich spielt in der buddhistischen Wissenschaft des Geistes eine große Rolle. Buddha widmete dem körperlichen Bereich fast die Hälfte seiner Lehrrede zur Achtsamkeit. Auch aktuelle Untersuchungen scheinen zu bestätigen, dass nur in einem beruhigten Körper sich Emotionen und Geist beruhigen können. Die erste Stufe der Achtsamkeit sorgt für eine Beruhigung des Körpers. Dies kann man am besten durch die Bauchatmung erreichen. Inzwischen ist es auch wissenschaftlich belegt, dass eine bewusste Bauchatmung das Ruhezentrum, den Parasympathikus stimuliert. Eine dynamische Brustatmung stimuliert dagegen eher das Aktivitäts- oder Stresszentrum, den Sympathikus. Die zweite Stufe der Achtsamkeit sorgt für eine Beruhigung der Emotionen. Auch auf dieser Ebene gilt: Betrachte alle Emotionen, die jetzt da sind, egal ob Freude, Wut, Ärger, Neid, Gier, Trauer oder Ekel und nehme sie einfach nur wahr. Wenn wir unsere Gefühle ohne Bewertung beobachten, können wir vielleicht feststellen, dass sie sich verändern, dann wird aus Wut vielleicht nur noch leichter Ärger und aus tiefer Verzweiflung vielleicht nur noch eine Melancholie. Die dritte Stufe der Achtsamkeit sorgt für eine Beruhigung der Gedanken. Hier geht es vor allem um die bewertungsfreie Betrachtung der drei Geistesgifte Anhaftung, Widerstand und Unwissenheit. Anhaftung entsteht, wenn Begierden und Süchte unseren Geist unter Druck setzen. Widerstand entsteht, wenn Hassempfindungen (Neid und Missgunst) unseren Geist unter Druck setzen und Unwissenheit entsteht, wenn Verblendungen über unsere wahre Natur den Geist unter Druck setzen. Die vierte Stufe der Achtsamkeit lenkt die Aufmerksamkeit auf die fünf inneren Hindernisse, die einer Befreiung des Geistes im Weg stehen. Wenn wir auf diese fünf Hindernisse fokussieren, verlieren sie ihre Macht über uns. Diese fünf Hindernisse sind die Sinnesbegierden (allen voran das Essen und der Sex), das Übelwollen (Neid, Missgunst, Feindseligkeit, Hass), die Trägheit (und damit verbunden die Hilflosigkeit, Resignation, innere Leere), die Rastlosigkeit (Nervosität, chronischer Stress) und die Zweifel (Selbstabwertung bis hin zur Verzweiflung). Der Umgang mit Hindernissen wird uns ein ganzes Leben lang begleiten. Der mittlere Weg Auch hier können wir auf die Weisheit des mittleren Weges bauen. Wir können mit unseren Sinnesbegierden leben, wenn wir mit allen Sinnen genießen, ohne anzuhaften. Wir können mit dem Übelwollen leben, wenn wir es als ein Mittel zur Abgrenzung nutzen, ohne uns selbst und anderen zu schaden. Wir können mit der Trägheit leben, wenn wir damit Auszeiten und Pausen einlegen, die unseren Körper und Geist erfrischen, ohne dass wir unser Leben verschlafen. Wir können mit der Rastlosigkeit leben, wenn wir ein aktives und erfülltes Leben führen, ohne uns zu überfordern und in Aktivismus zu verfallen. Wir können mit dem Zweifel leben, wenn er dazu führt, dass wir nicht alles glauben, was man uns erzählt, ohne dass es dazu führt, sich auf nichts mehr einzulassen. Die achtsame Selbststeuerung Bei allen Achtsamkeitsübungen, ob auf der körperliche, der emotionalen, der geistigen oder der Handlungsebene, soll unser Agieren von einer Metaebene aus betrachtet werden. Wenn wir uns sagen, „Ich bin nicht mein Körper, meine Gefühle, meine Gedanken“, sondern „ich habe einen Körper, Gefühle und Gedanken“, dann installieren wir einen inneren Beobachter, der nach und nach für innere Distanz, Klarheit und Weite sorgt. So erreichen wir den mittleren Weg zwischen Askese und Völlerei, zwischen Widerstand und Anhaftung, zwischen Autonomie und Verbundenheit, der unmittelbar ins Hier und Jetzt führt und uns aus dem Hamsterrad aussteigen lässt. Webseite Buddhistische Psychotherapie:http://info-bpt.de/ Literaturtipps:Matthias Ennenbach: Einführung in die Buddhistische Psychotherapie, Windpferd 2012, 140 Seiten + CD, 16,95 €Matthias Ennenbach: Achtsame Selbststeuerung – Grundlagen und Praxis der Achtsamkeit, Windpferd 2016, 256 Seiten , 16,95 € Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.