Katharina Daboul forscht mit Gleichgesinnten in Online-Aufstellungen zu den aktuellen Herausforderungen, den Folgen für die Gemeinschaft und uns persönlich. Aufstellungsarbeit zeigt dabei die verborgene Seite der Dinge. Hier eine Zusammenfassung der Ergebnisse

Von Katharina Daboul

Neutralität und Stille in Online-Aufstellungen

Als Familien- und Systemaufstellerin ist meine Grundhaltung die der Neutralität und meditativen Stille. Aus dieser Haltung heraus gehe ich in Beziehung mit dem System bzw. Feld des Klienten, seiner Familie und seines Themas. Dort in der Neutralität und Stille bin ich verbunden mit dem „Urgrund“ des Lebens, dem schöpferischen Sein. Alle Impulse und Erkenntnisse kommen aus dieser tiefen Verbundenheit und einer Neutralität, die jenseits von Moral, Werten, Gut und Böse liegen.

Neutralität und Stille sind Hauptvoraussetzungen für Online-Aufstellungen, die dem Ganzen dient. Ich folge nicht meiner Meinung oder denen des Klienten oder der Gruppe, sondern bin dem systemischen Feld wertfrei und absichtslos zugeneigt. Ich lasse die Phänomene dessen, was ist, auf mich wirken. Lauschend, offen, neutral, nichts erwartend oder verlangend. Wenn das Leben oder ein System so angesehen wird, beginnt es sich mitzuteilen über Worte, Bilder, Bewegungen und Dynamiken.

Über die Auswirkungen des
Nicht-Eingreifens in Online-Aufstellungen

Je weiter und „leerer“ ich innerlich bin, umso mehr Raum haben diese Erkenntnisse und Bewegungen aus der Tiefe des Lebens. Als Leiterin für Online-Aufstellungen bin ich also wie eine leere Schale, die sich dem Ganzen zur Verfügung stellt. Aus dieser inneren Haltung zeigen sich in Online-Aufstellungen zum einem über äußere und innere Bewegungen und Gefühle der Teilnehmer. Und zum anderen über Gefühle, Befindlichkeiten und Eingebungen in der „Schale“ eines Aufstellungsleiters die tiefen Verstrickungen und verborgenen Dynamiken eines Themas. Durch das Wahrnehmen und Mitteilen dieser Erkenntnisse zeigt das System bis dahin unbekannte und unbewusste Informationen.

Durch das bewusste „Nicht-Tun“, „Nicht-Eingreifen“ und statt dessen durch waches, neutrales Da-Sein im Angesicht einer Information kommen tiefe Wahrheiten und tiefe Bewegungen der Seele ins Bewusstsein. Bis sich Ruhe und Frieden im System einstellen. In der Regel arbeiten Aufsteller mit einer Gruppe oder einer Einzelperson im persönlichen Zusammensein. Das Sich-Verbinden mit dem System bzw. Feld des Themas/Klienten ist jedoch nicht an das persönliche Treffen gebunden. Das systemische Feld ist immer da – unabhängig von Zeit und körperlicher Anwesenheit und auch unabhängig von persönlichem Gespräch oder persönlicher Information. Wir alle leben in diesen systemischen Feldern und sind Teil der systemischen Bewegungen – über Leben und Tod hinaus. Wir können uns bewusst in Beziehung („Resonanz“) damit begeben.

Suche nach Antworten im Inneren

Als das neue Corona-Virus in unser Leben trat und in relativ kurzer Zeit die ganze Welt betraf, stieg auch die Anspannung und Aufruhr in den Menschen selbst. Bis heute sind Diskussionen und Streit zu den Maßnahmen aufgrund von Corona und zu dem Virus selbst im Gange. Einfache, allgemeingültige Antworten scheint es nicht zu geben – zumindest nicht für alle gemeinsam. Persönliche und kollektive Traumen werden sichtbar. Große äußere und innere Konflikte tauchen auf und die Gesellschaft und Menschen darin spalten sich immer mehr. Meine „innere Aufstellerin“ wurde aufmerksam und aktiv.

Nachdem Gruppenarbeit nicht möglich war, ich jedoch wusste, dass Aufstellungen in erster Linie über die innere Arbeit und innere Haltung geschehen, wagte ich folgendes Experiment: ich arbeitete erstmals mit Online-Aufstellungen mit einer Gruppe von zehn Teilnehmern zum Thema „Corona – die Herausforderungen unserer Zeit“. Die Online-Aufstellungen war geboren.

Wir arbeiteten mit geistigen, inneren Aufstellungen, wobei sich die Teilnehmer als Resonanzkörper und als geistige Stellvertreter einzelner Aspekte zur Verfügung stellten. Zusätzlich bzw. gleichzeitig arbeitete ich mit einer Aufstellung am Aufstellungsbrett. Eine Methode, die in der Einzelarbeit gerne verwendet wird, in der z.B. kleine Holzfiguren für Menschen oder Themen stehen können, um bestimmte Dynamiken und Bewegungen sichtbar zu machen. Wir waren sehr berührt, wie intensiv und betroffen, aber auch heilend und innere Räume öffnend diese Arbeit war. Sie brachte uns mit einer größeren Weisheit in Kontakt, die zwar aus, jedoch nicht von uns kam. Es war ein Mitteilen des großen geistigen Feldes, das uns alle umgibt. Einige Erkenntnisse davon finden sich im Artikel weiter unten.

Online-Aufstellungen: Corona bricht unsere Verdrängung und Ignoranz auf

Im Jahr 2020 wird es für alle konkret: Bisher konnten wir sehr bequem der Grundsatzdiskussion, wie wir uns als Einzelne und als Gesellschaft mit dem Tod auseinandersetzen wollen, ausweichen. Die Todesgründe und -statistiken bezüglich Corona hatten zumeist keine direkten Auswirkungen auf unseren ganz persönlichen Lebensalltag und wir konnten uns in einer vermeintlichen Sicherheit wiegen. Wir verdrängten munter die Tatsache, dass viele Menschen auf dieser Welt aufgrund von Herkunft, Hunger, Seuchen, Konstitution oder nicht vorhandenem Zugang zu medizinischer Versorgung u.a. Gründen starben. Wir verdrängten, dass es für viele Krankheiten keine Heilung und keinen Schutz gibt. Das gilt immer noch! Auch im Jahr 2020. Ein Virus hat nun die Welt und die Menschen darin auf besondere Art “ergriffen”, und die Menschheit hat sich selbst angehalten.

Was steht für uns als Menschheit an? Mit Covid-19 tritt eine neuzeitliche “Seuche” in unser Leben und konfrontiert uns mit dem Fundament unserer Gesellschaft: Wie kümmern wir uns um die Schwachen in unserer Gesellschaft? Was sind unsere Prioritäten in einer Welt, die von wirtschaftlichen Interessen und dem Wohl des Einzelnen getrieben und abhängig ist? Wie gehen wir mit dem unausweichlichen Sterben und Tod um? Wir sehen bereits jetzt: Wir sind an eine Grenze geraten.

Der kollektive Shutdown

Die einzige Wahl, die uns die Welt, in der wir gerade leben, bietet, ist der Shutdown. Wir ziehen den Stecker, stoppen unsere Lebens- und Gesellschaftssysteme sowie unsere persönlichen Kontakte und körperlichen Aktivitäten. Wir halten nur absolut Lebensnotwendiges aufrecht. Das ist die lebende Darstellung von Trauma. Wir antworten dem potentiell traumatischem Tod mit einem Gegentrauma. Der (Ab-)Trennung von allem.

Interessant dabei ist, dass Kontrolle, Regeln, Einschränkungen und Stillstand tatsächlich erst einmal Angst befrieden. Aber diese aus der Not geborene Wahl macht uns sehr bald handlungsunfähig. Wenn die Emotionen in einem Menschen oder einer Gesellschaft nicht gefühlt werden, müssen zur Kompensation  ein inneres Abspalten und die Kontrolle immer stärker forciert werden.

Für die Gesellschaft können die derzeitigen Maßnahmen, ob bewusst oder unbewusst, traumatisch sein. Die körperliche Trennung, die fehlende menschliche Nähe und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit können großen Stress erzeugen. Für bereits traumatisierte Menschen kann dies eine Retraumatisierung bedeuten. Zusätzlich gerät die Gesellschaft an sich in Resonanz mit dem kollektivem Gedächtnis, in dem ganz archaisch alle Kriegs-, Schock- und Gewalterinnerung abgespeichert sind. Das Einzige, was dann zählt, ist das Überleben. Alles andere wird hinten angestellt. Der gesellschaftliche Shutdown ist also nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern tatsächlich ein kollektiver Shutdown auf (Über-)Lebensebene.

Wir sind in einem erzwungen Stille-Retreat

Doch kann diese erzwungen Pause, wenn wir das bewusst entscheiden, umgedeutet werden: Wir sind auch in einem erzwungenen Stille-Retreat – einem Rückzug. Nicht, um vor etwas zu fliehen, sondern um sich in sich selbst zurückzuziehen und sich wiederzufinden, mit allem, was (in uns) ist. Dazu brauchen wir die Fähigkeit des Fühlens und Zustimmens. Denn als Nächstes müssen die Angst und all die anderen Emotionen, die gerade da sind, gefühlt, wahrgenommen werden. Wir sind atmende, fühlende Wesen. Sind wir bereit, alles zu fühlen, was es in der jetzigen Situation zu fühlen gibt? Tatsächlich öffnet uns das Anerkennen und Spüren der eigenen Emotionen als Menschen auf eine Weise, die uns verletzlicher, aber damit auch authentischer und verbundener sein lässt. Mit uns selbst und mit anderen.

Wir brauchen Veränderung und Visionen, doch zuvor braucht es ein neues WIR

Wir brauchen eine Hinwendung zu uns selbst. Ein Wiederfinden von uns selbst und unserer Seele. Und eine Hinwendung zur Natur und zu unseren Emotionen. Zu all unseren Emotionen. Wir benötigen eine grundsätzliche und tiefgehende Integration all unserer Seins- und Körperebenen. Und ganz dringend sollten wir endlich “zu uns kommen”. Als Gesellschaft müssen wir eine gemeinsame Seele und Vision entwickeln. Und dabei unsere uralte kollektive Schuld und unseren zeitlosen kollektiven Schmerz umarmen. Weg vom traumatisierenden Weg des Stärkeren hin zu einer Gesellschaft, die nährend ist für jeden Einzelnen und in dem auch die Einzelnen sich bewusst nähren.

Das geht letztendlich nur über ein wortwörtliches “zu sich kommen”, wobei der Körper und die Emotionen ebenso gefühlt werden wie das Mentale und Spirituelle. Es geht um eine neue Balance und Integration unserer inneren und äußeren Räume. Das eine ist nicht vom anderen zu trennen. Wir brauchen wieder Kontakt zu und Respekt für unsere Erde. Und wir müssen uns unseren Kindern wieder zuwenden und einen neuen “Generationenvertrag” aufsetzen. Ein Zusammensein der Generationen, in der nicht die Älteren die Jüngeren ausbeuten. Auch nicht ein seelenloses Miteinander, bei dem wir die Kinder neben uns laufen lassen, wir selbst taumelnd und ohne Verständnis für uns selbst.

Zuallererst müssen wir Erwachsenen uns verändern. In eine neue Lebensqualität (er-)wachsen, die verwurzelt und verbunden ist mit der Erde und dem eigenen Körper. Eine Qualität, in der wir dem natürlichen Wachstum dienen, nicht dem Wirtschaftlichen. Hier sollte Spiritualität eine Integration und Balance auf allen Ebenen erfahren. Und eine echte Verbindung im Zwischenmenschlichen lebbar werden.

Das Anerkennen unserer natürlichen Verletzlichkeit führt zu einer neuen Balance

Das Anerkennen unserer Verletzlichkeit, unserer Abhängigkeit von der Natur, unseren Mitmenschen und unserem Planeten und das Finden/Fühlen unserer eigenen Natur führt uns zu einer neuen, inneren Balance. Wenn wir diese sehr persönliche, innere Arbeit leisten, dann werden wir wieder sichtbar, greifbar und ansprechbar für unsere Kinder und füreinander. Dann übernehmen wir Führung und Verantwortung auf einem gemeinsamen, wachen und nährendem Weg und ein echtes Miteinander.

Und wir stehen damit erst am Anfang: Zur Zeit ist dieser Shutdown eine Pause, eine kurze Unterbrechung des Alltags. Verbunden mit der Hoffnung, dass alles so wird und weitergeht, wie es davor war. Je länger dieser Zustand anhält, um so mehr wird es eine Zäsur. Umso mehr bricht das Alte zusammen und zwingt uns zu stärkeren Gegenmaßnahmen – im schwierigsten doch vielleicht besten Fall zu einem Neubeginn.

Was im letzten Jahr als Forschungsprojekt zum Thema Impfen begann und uns mit der Frage zurückließ, wie wir uns als Einzelne und als Gesellschaft mit dem Tod auseinandersetzen wollen, wurde nun im April 2020 zu einer Forschungsreise mit den Online-Aufstellungen zu den Herausforderungen, die uns Corona bringt. Einige Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit flossen in diesen Artikel ein. Außerdem gibt es auf https://primasige.net einen Audio-Auszug zum Thema Corona, die Gesellschaft und das Kollektive und einen weiterer Audio-Ausschnitt zum Thema Corona: Die Herausforderungen für uns Menschen aus spiritueller Sicht.

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