Auszüge aus einem Interview in der SEIN-Redaktion anlässlich des Berlin-Besuches von R. Sheldrake am 12. November 1999.  Das Interview führten das Berliner Forscherpaar Franz Bludorf und Grazyna Fosar sowie Shako M. Burkhardt für die SEIN-Redaktion. Übersetzung: Bludorf+Fosar. Über das Bewusstsein des Feldes.

SEIN: Mit welchen Neuigkeiten kommen Sie heute nach Berlin?
Rupert Sheldrake:    Hauptsächlich mit den Resultaten der Experimente mit Tieren. Wir haben einige der  unerklärten Verhaltensweisen der Tiere erforscht. Der Grund, weshalb diese Resultate wichtig sind, ist erstens, daß sie Fakten über das Verhalten der Tiere zeigen, die neu für die Wissenschaft sind. Zweitens weisen sie auf etwas hin, was Menschen über ihre Tiere seit jeher glauben, ganz ge- wöhnliche Leute, die Tiere halten. Aber es ist eine Art von Tabu, und ich versuche zu zeigen, daß diese Dinge wirklich geschehen und daß wir sie wissenschaftlich untersuchen können. Das gibt uns einen erweiterten Blick auf die Natur der Tiere und auch auf die des Menschen, und es ermöglicht uns, Telepathie und mediale Phänomene in einem biologischen und evolutionären Kontext zu sehen.
Außerdem denke ich, daßdiese unerklärten Fähigkeiten der Tiere Beweise liefern für Verbindungen, unsichtbare Verbindungen, die wir zu erklären versuchen mit Hilfe der morphogenetischen Felder. (…)

SEIN: Ich möchte eine Frage hinsichtlich der praktischen Anwendung der Theorie der morphogenetischen Felder im sozialen Kontext stellen. Ich hörte, daß Sie an den Familienaufstellungen nach Hellinger interessiert sind…
Rupert Sheldrake:     Ja. Ich habe Hellinger und die Menschen, die nach seiner Methode arbeiten, darüber befragt. Wenn das Feld repräsentiert wird durch die aufgestellte Konstellation, und dann kommt eine Person in dieses Feld und das Feld wird verändert, dann wäre dies ein Weg, das Feld der Familie zu verändern. Wenn das Feld dadurch wirklich verändert wird, müssen andere Mitglieder der Familie davon betroffen werden, sogar wenn sie nicht wissen, was geschieht, sogar wenn sie weit entfernt sind. Sie sagten mir, daß sie viele Beispiele dafür hätten, daß es zu spontanen Veränderungen, spontanen Telefonanrufen etc. gekommen sei. Ich habe Hellinger und seine Schüler ermutigt, dies systematischer zu untersuchen, es zu protokollieren und darüber eine Studie zu erstellen, denn es wäre ein sehr guter Beweis für das Feld der Familie, wenn die Therapie einen Effekt auf andere Leute hätte, die nichts darüber wissen.

SEIN: Würde das darauf hinweisen, daß soziale Felder die stärksten Felder sind?
Rupert Sheldrake:    Ich denke nicht. Soziale Felder sind die Felder von organisierten sozialen Gruppen. Ich glaube nicht, daß sie die stärksten Felder sind, die wir uns vorstellen können. Ich denke nur, daß sie die Felder sind, die wir am leichtesten studieren können.  (…) In einem sozialen Feld wirken Menschen normalerweise zusammen, wenn sie einander nahe sind. Sie sehen sich, sprechen miteinander, interagieren über die normalen Sinne. Man kann nun einen Teil einer sozialen Gruppe herausnehmen und einige Kilometer weit entfernen, so daß man die sensorischen Einflüsse ausschalten kann. Wenn man dann immer noch einen Einfluß sieht, dann ist es ein Einfluß von etwas anderem. (…) Soziale Gruppen haben den Vorteil, daß man die Mitglieder voneinander trennen kann, um die Feldeffekte zu studieren.
Das ist der Grund, weshalb ich so stark an diesen Experimenten mit den Tieren interessiert bin, z.B. an Hunden, die wissen, wann ihr Herr nach Hause kommt. Dies sieht normale Alltagssituationen vor, in denen Mitglieder einer Gruppe, die durch ein Feld verbunden sind, sich voneinander entfernen und dadurch die Möglichkeit sensorischer Kommunikation ausschalten.

SEIN: Ich würde gern noch einmal auf die Familienaufstellungen zurückkommen. Wenn diese Arbeit so kraftvoll ist und funktioniert, könnte man dies dann nicht auch in größerem Maßstab durchführen, um reale oder auch globale Konflikte zu schlichten?
Rupert Sheldrake:    Ich habe nie darüber nachgedacht, Aufstellungen zur Lösung von Kriegen und anderen Konflikten einzusetzen, und ich kann auch nicht sehen, wie man das machen könnte. Wie stellen Sie sich vor, das zu tun? Wollen Sie Repräsentanten der Gegner in Gruppen zusammenbringen?

F.Bludorf: Wenn sie miteinander interagieren würden, würden sie vielleicht zu vertiefter Reflexion kommen…
Rupert Sheldrake:    Hat Hellinger das je probiert? Ich weiß nicht, wie gut das funktionieren würde. Es wäre wohl mehr eine symbolische Sache, denn in der Familienkonstellation sind die Individuen in einer direkten Beziehung zueinander. Wenn Sie dagegen einen Repräsentanten einer Gruppe hätten, dann wäre die Gruppe nicht anwesend. Es erscheint mir ziemlich schwierig. Es würde wohl ein eher symbolischer Weg sein müssen, aber ich könnte mir vorstellen, daß man es tun könnte. Es wäre eine Art von Heilritual für Gruppen. Es wäre sicher interessant, es zu probieren, aber ich habe keine Erfahrung damit.

F.Bludorf: Dies führt mich zu einer anderen Frage. Jeder von uns hat Zugang zum morphogenetischen Feld. Dies geschieht unbewußt. Was würde geschehen, wenn die Evolution uns zu einem Zustand führen würde, in dem der Mensch bewußten Zugang zum morphogenetischen Feld oder dem sogenannten Gruppenbewußtsein hätte? Was wären die Konsequenzen? Würde uns dies zu einer Neuorganisation unseres Gehirns führen?
Rupert Sheldrake:    Ich denke, in einer gewissen Art haben wir bereits bewußten Zugang zu sozialen Feldern. Dies ist meiner Meinung nach der Sinn von Ritualen, um das Feld der Gruppe zu kreieren, um die Geister der Vorfahren zu beschwören, die dies bereits früher getan haben. Und ich denke, daß die gesamten Praktiken von Ritualen in Religionen und anderen Traditionen viel mit der Bewußtheit des Feldes zu tun haben. Ich meine also, daß dies schon geschieht, und die Methode, um dies zu tun, ist durch Rituale definiert. Ich weiß nicht, ob es in der Zukunft bessere Wege geben wird, aber Rituale wurden unabhängig voneinander in jeder Gesellschaft der Welt entwickelt. In allen Ritualen gibt es festgelegte Handlungsmuster, Gesang, Tänze. Wenn es immer wieder auf die gleiche Art wiederholt wird, schafft es eine Resonanz zu früheren Zeiten, in denen es abgehalten wurde.

SEIN: Denken Sie, daß man die Arbeit mit morphogenetischen Feldern auch mißbrauchen kann?
Rupert Sheldrake:    Alles kann miß- braucht werden, da bin ich mir sicher. Jeder Einfluß, der sich durch morphische Resonanz ausbreitet, kann für gute oder schlechte Ziele dienen. In der modernen Welt, wo Konsumverhalten überall verbreitet ist durch Fernsehen und Werbung, breitet sich so etwas sehr schnell aus. Aber das ist eben die Weise, wie die Felder arbeiten. Sie sind kein moralischer Filter.

SEIN: Dahinter tut sich für mich eine andere Frage auf, nämlich ob es einen Zusammenhang zwischen morphogenetischen Feldern und moralischen Werten gibt – ob es so etwas wie ein übergeordnetes morphogenetisches Feld mit einer gewissen, höheren Moralität gibt…
Rupert Sheldrake:    Morphogenetische Felder sind in Wahrheit Felder der Gewohnheit, sie haben nichts mit Kreativität zu tun. Sie bewirken nur die Wiederholung von Gewohnheiten, von etwas, was es schon gab. Morphogenetische Felder sind also essentiell habituellen Charakters, und es gibt eine Art von gewohnheitsmäßiger Moralität in jeder Gesellschaft. Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Bräuche, ihre eigenen Moralvorstellungen. Das Feld sagt so, welche Dinge man tun kann und welche nicht. Manche von ihnen sind völlig willkürlich, zum Beispiel, daß wir in England auf der linken Straßenseite fahren. Es wäre eine Katastrophe, in Deutschland so zu fahren.

Manche Aspekte und Regeln der Moral sind also von Gesellschaft zu Gesellschaft verschieden, und ich denke, eine der interessantesten Erkenntnisse aus Hellingers Arbeit ist, daß er uns eine Analyse des Gewissens gibt. Es ist ein Gefühl, daß man irgend etwas nicht tun sollte, ein internes Gewissen, das von der sozialen Gruppe kommt. Und er erklärt, wie jede Familie ihr eigenes Familiengewissen hat, nach dem die Menschen handeln.
Ich denke also, daß ein großer Teil der Moral von den morphogenetischen Feldern der Gruppe abhängt, egal, ob es eine soziale Gruppe, eine Familie, eine Gemeinschaft oder eine religiöse Gruppe ist. Diese Dinge sind ein Teil der gemeinsamen Sitten der Gruppe.

Wenn man nun zu höheren Idealen kommt, dann entstammt dies nicht so sehr den Gewohnheiten, sondern den kreativen Einflüssen. In den meisten Gesellschaften folgen die Menschen Gewohnheiten, und der interessante Punkt ist es, wie sich diese verändern, wenn wir etwa auf Religionsstifter schauen wie Bud-dha, Jesus oder die jüdischen Propheten, Mohammed etc. Da kommt es zu einer Art von Inspiration, einer Bildung neuer Felder, neuer Muster. Das kommt vom Druck der Kreativität, was ein generelles Problem der gesamten Evolution ist, denn wenn morphogenetische Felder Gewohnheiten ausdrücken, wo kommen dann neue Felder her? Es muß einen kreativen Einfluß geben, der nicht auf der Wiederholung von Gewohnheiten basiert. Evolution muß sich zwischen Gewohnheit und Kreativität bewegen.

SEIN: Können Sie etwas über die Fähigkeit zum Erlernen von Sprachen sagen, zum Beispiel bei Kindern? Wird dies mit der Zeit immer leichter durch Wiederholung?

Rupert Sheldrake: Ja. Jede Art des Lernens wird durch morphische Re-sonanz unterstützt, es wird leichter durch Resonanz zu denen, die es schon früher gelernt haben. Also wird das Erlernen von Sprachen dadurch auch erleichtert. Chomsky und andere Linguisten glauben, daß es aufgrund der Tatsache, daß Kinder Sprachen so schnell lernen, eine ererbte Fähigkeit zum Erlernen von Sprachen geben müsse. Ich stimme ihnen zu, allerdings glaube ich nicht, daß diese ererbte Fähigkeit materieller Natur ist, es ist meiner Meinung nach eine morphische Resonanz.
Ich glaube, daß morphische Resonanz das Erlernen von Sprachen er-leichtert, und daß dies die Fakten erklärt, an denen Chomsky und die anderen interessiert sind, und das, ohne daß wir dafür spezielle ”Sprach-Gene” brauchen würden. Sie mußten dafür relativ künstliche Konstrukte einführen, zunächst einmal, daß es eine universelle Grammatik gibt. Ferner sagen sie, daß alle Menschen gleiche Gene mit dieser universellen Grammatik haben. Der Grund, daß sie das so annehmen, ist, wenn man ein finnisches Kind in eine chinesische Familie bringt, dann lernt es Chinesisch.
Mit morphischen Resonanzen ist das kein Problem, weil es ganz einfach in Resonanz gerät mit chinesischsprachigen Menschen. Weil sie jedoch glauben, daß hierfür Gene verantwortlich sein müssen, müssen sie zunächst diese etwas künstlich wirkende universelle Grammatik fordern. Sie stellten zunächst die Theorie auf und forderten dann, daß es solche Gene geben müsse. Ich denke, für das alles gibt es keinerlei Beweise. Ich glaube, daß die Fakten viel besser durch morphische Resonanz erklärt werden können.

SEIN: Sie sprechen viel über den Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. Ist es absehbar, wann Ihre Forschungsergebnisse allgemein akzeptiert werden?
Rupert Sheldrake: Ich denke, der Pa-radigmenwechsel ist tatsächlich im Gange. Die Hauptanwendungen der mechanistischen Biologie sind in den Bereichen der Agrarkultur und der Medizin. Wir sehen, daß in diesen Bereichen die mechanistischen Prinzipien an ultimative Grenzen gestoßen sind. Es gibt eine große Anzahl von Verbrauchern, die sich dagegen wehren. (…) Und in der Medizin: der gewaltige Zuwachs in der alternativen Medizin hat bewirkt, daß in den meisten medizinischen Hochschulen in Amerika bereits dafür Kurse angeboten werden, weil die Studenten etwas darüber wissen müssen. Es ist nicht notwendig, daß sie es praktizieren werden, aber wenn ein Arzt überhaupt nicht über diese Dinge Bescheid weiß, wird er seine Patienten verlieren. Diese allgemeinen Kräfte der Gesellschaft plus die ökonomischen Kräfte sind es, die bewirken, daß eine integrierte Medizin, die alternative Methoden einschließt, mehr und mehr von den Versicherungen bevorzugt wird, sogar von den Regierungen, weil es billiger ist.
Ich selbst habe seit Jahren auf eine holistischere Wissenschaft hingearbeitet. Es gibt Gruppen von Menschen – in England haben wir ein ”Scientific Medical Network” – die sich aus holistischen Wissenschaftlern und Medizinern zusammensetzen. Diese Leute arbeiten in wissenschaftlichen Instituten, und sie alle wollen eine holistischere Sichtweise erreichen. Dafür gibt es Treffen, lokale Gruppen, Newsletters etc. Dies sind nicht länger isolierte Einzelpersonen, sondern organisierte Bewegungen in Wissenschaft und Medizin, um eine holistische Veränderung herbeizuführen. Es ist eine Art soziale Basis dafür.

SEIN: Das klingt wie ein Plädoyer für eine ”Wissenschaft von unten”?
Rupert Sheldrake: Es ist exakt das. Ich glaube, die Reform der Wissenschaft kann nur durch allgemeine gesellschaftliche Kräfte eingeleitet werden, durch öffentlichen Druck, durch die Politik. Sobald also Medizin und Wissenschaft demokratisch und überprüfbar werden, werden sie sich ändern. Der Grund, weshalb sie es jetzt noch nicht tun, ist, daß sie eine hierarchische Struktur haben, ähnlich wie die katholische Kirche vor der Reformation. Es gibt da ein Kardinalskollegium in jedem Land in der Akademie der Wissenschaften. Es ist in der Tat ein hierarchisches System wie in der Kirche vor der Reformation, mit Priestern, Kardinälen und Bischöfen.

SEIN: Welche Rolle spielt die Spiritualität in Ihrem Leben?
Rupert Sheldrake: Eine sehr wichtige Rolle. Für mich sind Gebete und Meditation ein wichtiger Teil meines täglichen Lebens, so wie Zähneputzen, denn wenn ich nicht bete, fühlt sich mein ganzes Leben staubig und schmutzig und unklar an. Daher sind tägliche Gebete und Meditationen für mich sehr wichtig. Ich glaube an die Wichtigkeit von Ritualen und kollektiven religiösen Praktiken. Ich denke nicht, daß Religion etwas für Individuen ist. Ich stimme nicht überein mit der modernen Tendenz, Religion zu privatisieren. Man nimmt ein wenig von hier und da und macht daraus seine eigene Mixtur. Ich denke, es soll Gemeinschaften mit einbeziehen.
Daher mag ich die organisierten Religionen. Die meisten meiner Freunde sind anderer Meinung, nicht weil sie darüber nachgedacht haben, sondern nur, weil es ein bestehendes Vorurteil ist. Ich war jahrelang in Indien und habe Hinduismus, Buddhismus und Sufi-Praktiken erfahren. Aber am Ende kam ich zum Christentum zurück, weil dies für mich die beste Resonanz ergibt zu meinen familiären und kulturellen Wurzeln.
(…) In vieler Hinsicht ist dies sehr konventionell. Aber meine Frau lehrt auch Buddhismus, und wir hatten eine sehr interessante Zeit in einem Ashram in Indien. In der Zukunft bedeutet Spiritualität auch, von unterschiedlichen Traditionen zu lernen, und daß die Traditionen auch zusammenarbeiten, um uns einen tieferen Sinn zu vermitteln, aber ich muß einem speziellen Weg folgen, weil es wichtig ist, in der Tradition bestimmter Rituale zu bleiben. Das ist mein persönlicher Weg.

SEIN: Vielen Dank für dieses Gespräch!

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