Das Enneagramm: Spiegel unser Verstrickungen 1. Juli 2003 Therapie 2 Kommentare Das Enneagramm ist eine spirituelle Persönlichkeitstypologie, die neun Arten beschreibt, das Leben, das eigene Wachstum und das Erwachen zu verpassen. Und die uns hilft, unsere blinden Flecken zu erkennen und den eigenen Weg zu finden. Das Enneagramm hält uns neun verschiedene Spiegel vor, in denen wir das, was uns von uns selbst, von anderen und vom Göttlichen in uns trennt, genauestens erkennen können. Wenn das – zugegeben reichlich unangenehme – Erwachen, der Schock der Selbsterkenntnis durch den Blick in den Spiegel stattgefunden hat, bietet uns das Enneagramm zudem für unsere spezifische Verstrickung einen speziellen Erlösungsweg an und lädt uns ein, uns auf dem Weg zum liebenden Herzen immer wieder an dieser Schatzkarte zu orientieren. Durch die Beschäftigung mit dem Enneagramm wächst nicht nur das Verständnis für uns selbst, sondern auch für die Menschen um uns herum und die Welt, wie sie eben ist. Wir können den aus Kindheitsprägungen entstandenen roten Faden erkennen, der unser Herz „verwickelt“ hat. Und wir nehmen diesen Faden in die Hand, entwickeln uns und finden dadurch nach und nach zu einem zutiefst erfüllenden Leben, das von Nüchternheit und Realismus zum einen, von Mitgefühl und Humor zum anderen geprägt ist. Bewusste Wahl Bei der Wahl der passenden Therapie, des Lehrers, Gurus oder der spirituellen Tradition ist es sinnvoll zu berücksichtigen, in welches der neun Muster wir verstrickt sind, sonst bleiben Aufwachen, psychische und spirituelle Entwicklung dabei auf der Strecke. Alle paar Minuten denken oder handeln wir gesteuert von unserem Enneagrammtyp. Sind wir uns unseres Typs nicht bewusst, suchen wir uns gerne Lehrer, Wege oder Traditionen aus, die unserer Verstrickung entsprechen und verstärken sie dadurch noch. Der grundlegende Glaubenssatz, den zum Beispiel Typ SIEBEN aus seiner Kindheit mitgebracht hat, heisst: „Ich bin unvollständig“. Auf ihrer Suche nach Vollständigkeit pflegt und hegt die SIEBEN ihr Schattenthema „Völlerei, Unmäßigkeit“, was dazu führt, dass sie sich zu sinnlichen Exzessen aller Art hingezogen fühlt. Unsere Beispiel SIEBEN „gönnt“ sich einen Tantraworkshop nach dem anderen, ohne dabei irgendwie erhellt zu werden. Sie missbraucht die Seminare als nettes Hobby oder legale Droge und flattert lieber weiter, sobald – ähnlich wie in Beziehungen – das Nähefeuer die wirklich heiklen, unerlösten Punkte berühren könnte. Ein Beispiel NEUN (Schattenthema Trägheit), hat eine neue Selbsterfahrungsgruppe für sich entdeckt bei einem Lehrer, der eine Drei ist (ein Leistungsmensch). Sie jammert oft, wie anstrengend die Arbeit darin ist und wie unbequem, aber sie macht Fortschritte in Richtung selbst gewählter Ziele. Ihre Freundin (eine Drei) wählt daraufhin den gleichen Weg. Sie ist vollkommen begeistert, endlich einen Weg gefunden zu haben, der ihr vollkommen entspricht. Für ihre Freunde und die Umwelt wird sie jedoch immer unerträglicher. Was für den einen die Erlösung ist, führt den anderen mitunter zum Absturz. Die Vier im Enneagramm: Flucht vor Verbindlichkeit Der grundlegende Glaubenssatz der VIER ist „Ich genüge nicht“. Das wirkt sich auf ihre Beziehungen aus, weil sie durch diesen Glaubenssatz gesteuert davon ausgeht, dass sie früher oder später ohnehin verlassen wird. Unsere Beispiel VIER kreiert sich immer wieder Fernbeziehungen, Beziehungen mit bereits gebundenen Partnern oder verliebt sich leidenschaftlich in Menschen, die kein Interesse an ihr haben. Nach einigen Erfahrungen in dieser Richtung kommt sie schließlich zu der Überzeugung, dass Ehe und verbindliche Zweierbeziehung so ziemlich das Allerletzte sind, was Menschen sich antun können und tummelt sich von da an in Gemeinschaften, die sich „freie Liebe“ (im unterschiedlichsten Sinne) auf die Fahnen geschrieben haben. Sie hält sich für besonders „weit“, obwohl erkennbar ist, dass sie keine wirklich freie Entscheidung getroffen hat. Der asketische Typus der FÜNF dagegen wird eher im Zen-Dojo anzutreffen sein und diesen Weg für den richtigen halten, obwohl er doch lediglich sehr gut seiner Besessenheit entspricht. Die Beispiele ließen sich für alle Typen fortsetzen. Ob der jeweilige Weg oder Lehrer zur Erlösung führt oder das Muster eher verstärkt, und ob er das ins Unerträgliche wachsen lässt, was ein Typ ohnehin schon in ausreichendem Maß ausgeprägt hat, lässt sich mithilfe der Orientierung am „Trostpunkt“ leichter beantworten. Der Trostpunkt ist derjenige Typus im Enneagramm, dessen Eigenschaften einem Typus in besonderem Maße fehlen, dessen Tugenden dieser Typus sorgsam hegen und pflegen muss, um sich aus seiner Schieflage wieder zur Mitte aufzurichten und zur Ganzheit zu wachsen. Die EINS beispielsweise, focussiert auf das, was nicht in Ordnung ist, zeigt uns hohe ethische Werte und Ideale als Weg auf. Sie selbst findet zu sich selbst und heiterer Gelassenheit auf Wegen der Freude und der Sinnlichkeit (Trostpunkt SIEBEN) und in einem angemessenen Umgang mit ihrer unterdrückten Wut. Die SIEBEN, konzentriert auf angenehme Möglichkeiten, zeigt uns Freude und Sinnlichkeit als Weg auf. Sie selbst findet zu Ganzheit und zu Nüchternheit auf Wegen der Askese und des bewussten Verzichtes (Trostpunkt FÜNF), sowie im Trauern, der Begegnung mit der Dunkelheit. Das Enneagramm als Momentaufnahme In der Arbeit mit dem Enneagramm können wir recht einfach prüfen, wo wir gerade auf unserer Entwicklungsreise stehen: Rutsche ich gerade mal wieder in mein Schattenthema ab? Versuche ich das Problem anzugehen, indem ich mich krampfhaft darum bemühe, die Tugenden meines Typs noch zu verstärken? Oder bewege ich mich langsam aber stetig in Richtung meines Trostpunktes? Lehrer können prüfen, ob sie ihr eigenes Schattenthema bisher vielleicht noch gar nicht erkannt haben und ihre unreflektierte Besessenheit, die für Unerwachte vielleicht erst mal verheißungsvoll aussehen mag, als das Allheilmittel an andere verkaufen. Im besten – allerdings seltenen – Fall kann das dazu führen, dass der Schüler so schnell und bedrohlich an den Tellerrand gelangt, dass er plötzlich einen Weckruf hört. Das Ziel: der erwachsene Typus Eine in der Selbsterfahrungsszene immer wieder herumgeisternde Aussage ist: Er/sie ist wirklich „weit“. Wer ist im Sinne des Enneagramms wirklich weit? Wie sieht gelungene Entwicklung aus der Sicht des Enneagramms konkret aus? Nun, wir werden den Rest unseres Lebens der Typus bleiben, der wir sind. Aber wir können zu einem erlösten Vertreter unseres Typus erwachsen. Das Wort „erwachsen“ benutze ich in diesem Zusammenhang sehr gerne, denn es enthält etwas von erwachen und entwachsen: Wir identifizieren uns nicht länger mit dem verletzen Kleinkind in uns. Wir haben seine Wunden und die daraus entstandenen Verhaltensmuster erkannt und befinden uns durch unsere tägliche Bemühung zum einen und Gottes Gnade (wie jede/r von uns Gott versteht) auf dem Rückweg zu unserer Mitte, unserem eigentlichen göttlichen, unverletzten Kern. Wir haben erkannt, wie unser Muster Nähe zu uns selbst und anderen Menschen erschwert, ja bisweilen unmöglich gemacht hat und richten uns neu aus. Die ZWEI wird vermutlich immer noch helfen, aber sie ist weniger beleidigt, wenn wir ihr dafür nicht auf alle Ewigkeit dankbar sind. Und sie wird weniger manipulieren, anderen und sich mehr Freiheit lassen. Die VIER schreibt weiterhin wunderschöne Gedichte, aber sie muss nicht mehr ständig beweisen, wie unglaublich anders sie ist. Die DREI wird immer noch Macherin sein, jedoch mehr darin, andere treu zu unterstützen durch ihre eigene Wahrhaftigkeit. Die ACHT zieht es immer noch in Anführerpositionen, sie verhält sich aber wesentlich liebevoller, sanfter und mitfühlender. Die SIEBEN reißt wie zuvor die besten Witze, aber sie wird im Zweifelsfall auch mal die Klappe halten, Askese üben und den Schmerz fühlend durchwandern, statt sich zu betäuben. Allesamt werden sie schneller ihre Verantwortung erkennen und übernehmen, sich weniger als Opfer sehen, anderen und sich selbst weniger auf die Nerven gehen, mehr über sich selber lachen und zu tieferem inneren Frieden finden. Sie können ihr eigenes Menschsein annehmen und den Ist-Stand anderer in dem Wissen, dass es bereits jede/r so gut macht, wie es ihm/ihr hier und heute möglich ist. Sie werden ihre Gaben weise zum Wohle vieler einsetzen und sich mehr um den Balken im eigenen Auge kümmern, als um den Splitter im Auge ihres Nachbarn. 2 Responses Christina 3. Januar 2017 Grosse Liebe durch "Nicht-Erwacht-Sein" entglitten... Toll, die Beschreibung des „erwachten“ Zustandes“ am Ende des Artikels! Ich habe nach 1-jährigem Liebeskummer nur mithilfe der Enneagramm-Typologie verstanden, dass mein (noch immer) geliebter Ex nicht wegen mangelnder Gefühle auf Rückzug ging, sondern aufgrund seines blockierten, nicht erwachten Zustandes (er ist 3 und 5). Ich war auch zu sehr „in meinem Schatten“ gewesen (bin 1 und 4), nur wenn wir beide mehr aus diesem herausgegangen wären, hätte die Beziehung sich entwickelt. Leider wohnt er 800 km weg…. Antworten Marie 14. Mai 2011 Hallo Elke, Schöner Artikel, das mit dem „erwachsen“ aus dem Enneagramm Typ hat mich zum nachdenken bewegt. Kennst du dich mit den Zusammenhängen zwischen dem Enneagramm und der Typologie von Jung aus? Siehe http://www.typentest.de/typentest_de_-_vergleich_zum_e/typentest_de_-_vergleich_zum_e.htm Alles Liebe, Marie Antworten Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.
Christina 3. Januar 2017 Grosse Liebe durch "Nicht-Erwacht-Sein" entglitten... Toll, die Beschreibung des „erwachten“ Zustandes“ am Ende des Artikels! Ich habe nach 1-jährigem Liebeskummer nur mithilfe der Enneagramm-Typologie verstanden, dass mein (noch immer) geliebter Ex nicht wegen mangelnder Gefühle auf Rückzug ging, sondern aufgrund seines blockierten, nicht erwachten Zustandes (er ist 3 und 5). Ich war auch zu sehr „in meinem Schatten“ gewesen (bin 1 und 4), nur wenn wir beide mehr aus diesem herausgegangen wären, hätte die Beziehung sich entwickelt. Leider wohnt er 800 km weg…. Antworten
Marie 14. Mai 2011 Hallo Elke, Schöner Artikel, das mit dem „erwachsen“ aus dem Enneagramm Typ hat mich zum nachdenken bewegt. Kennst du dich mit den Zusammenhängen zwischen dem Enneagramm und der Typologie von Jung aus? Siehe http://www.typentest.de/typentest_de_-_vergleich_zum_e/typentest_de_-_vergleich_zum_e.htm Alles Liebe, Marie Antworten