Sicherheit steht für: frei von unvertretbaren Risiken. Soziale Sicherheit ist die Minimierung von Risiken, die die existentiellen Grundbedürfnisse eines Menschen infrage stellen können. Hierzu gehören die medizinische Betreuung bei Krankheit und Ausgleich des Einkommensverlustes, Schutz vor Arbeitslosigkeit oder dessen Ausgleich, Schutz bei einem Arbeitsunfall, Schutz während der Mutterschaft, Versorgung im Alter und Versorgung Hinterbliebener. Wie steht es nun um die Sicherungssysteme in Zeiten der Schuldenkrise?

Von der Großfamilie zur Versicherung

Vor nicht allzu langer Zeit war die Großfamilie, der Stamm, der Clan der Garant für soziale Sicherheit. Heute sind es der ächzende Sozialstaat und milliardenschwere Versicherungskonzerne, die soziale Sicherheit stellen. Jeweils im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten versteht sich. Da macht es erst mal keinen großen Unterschied, ob dies im Rahmen eines Parteiprogramms oder im Rahmen eines Verkaufsgesprächs für eine Versicherungspolice geschieht. Beide, ob Partei oder Versicherungskonzern, buhlen um die gleiche Klientel. Sicherheit war hierzulande schon immer ein gutes Geschäft und ein gutes Argument im Wahlkampf. Kein Volk dieser Welt legt so großen Wert auf Sicherheit und ist bereit dafür so viel zu bezahlen.

Ob das Verschwinden der alten Sicherungssysteme wie der Großfamilien, des Stammes und des Clans auch auf die Bemühungen von Lebensversicherern zurückzuführen ist, die Sicherheit käuflich machten und für sich nebenbei ein berechenbar lukratives Geschäftsmodell schufen, ist meines Wissens noch nicht wissenschaftlich untersucht. Nachvollziehbar wäre es, denn die Branche lebt von der gepflegten Angst vor dem Absturz. Dass dabei das Vertrauen in das Gemeinwohl immer mehr geschwächt und die Geborgenheit, die eine mit dem Herzen denkende und sich um einander kümmernde Gesellschaft auf eine kalte, rein finanzielle Absicherung reduziert wird, hat System. Gerade weil die Sozialpolitik ihr Scheitern aufgrund früherer Fehlentscheidungen und vor der demografischen Entwicklung eingestehen muss, treibt sie die Menschen geradezu in die Arme der geschäftsmäßigen Versicherer.

90,5 Millionen Lebens- und Rentenversicherungspolicen und 30 Millionen Zusatzversicherungen zur Altersversorgung gibt es mittlerweile in deutschen Nachttischschubladen. Für 90,3 Mrd. Euro an Beitragseinnahmen im Jahr 2010 mussten die Versicherungsunternehmen eine solide und gewinnbringende Anlage finden. Gar nicht so einfach. Denn mittlerweile ist das Geld der Versicherten allein in Deutschland zu einem Gebirge von Kapitalanlagen in Höhe von 777 Mrd. Euro angewachsen. Das Doppelte des Bundeshaushaltes.

 

Wie sicher sind die aktuellen Sicherungssysteme?

Jeder weiß es. In der gesetzlichen Altersversorgung und Krankenkassen stehen immer weniger Beitragszahler immer mehr Anspruchsberechtigten gegenüber. Geringverdienern droht europaweit die Altersarmut. Mit 400-Euro-Jobs kann man keine Altersversorgung aufbauen. Für 3 Billionen Euro an Pensionszusagen für Beamte gibt es keine Rücklagen. Die Renten sind nur Versprechen, werden gar gekürzt und besteuert. Viele Jugendliche ohne ausreichende Qualifikation finden überhaupt keine Arbeit und landen oft in unbezahlten Praktika.

Die sich zuspitzenden sozialen Spannungen in Griechenland und anderen Krisenländern der Eurozone zwingen uns, über den eigenen Tellerrand zu schauen, denn die Einschläge, siehe Italien, kommen näher. Noch ist das deutsche Wirtschaftsmodell ein Erfolg, auch weil es jahrelang auf Kosten der Arbeitnehmer ging, die mit fallenden Löhnen zähneknirschend dieses Exportwunder subventionierten. Doch jetzt fehlt an vielen Ecken das Geld. Stetig steigen die Energiekosten und die Mieten (in Berlin z.B. leben 86 Prozent der Menschen in so genannten Zinshäusern, also zur Miete). Da bleibt zu wenig übrig, um die Wirtschaft bei einer Exportflaute durch mehr Konsum zu stützen.

Dabei sind die Lohnempfänger diejenigen, die die größte Steuerlast erbringen und denen damit die Hauptverantwortung für zunehmende Staatsverschuldung und die Rettungspakete für die Banken und Krisenstaaten aufgebürdet wird. Vom Gesamtsteueraufkommen von 529 Mrd. Euro im Jahr 2010 stammen allein 127,9 Mrd. Euro aus der Lohnsteuer und 136,4 Mrd. Euro aus der Mehrwertsteuer. Energiesteuer, Stromsteuer und Solidaritätszuschlag summieren sich auf weitere 57,6 Mrd. Euro. Dem stehen 34,5 Mrd. Euro Gewerbesteuer und 12 Mrd. Euro Körperschaftssteuer der Unternehmen sowie 31 Mrd. Euro Einkommenssteuer gegenüber.

Wie sieht das zukünftige Verschuldungsszenario aus, wenn der Staat trotz guter Konjunktur und höherer Steuereinnahmen für 2011 allein Neuschulden in Höhe von 48,4 Mrd. Euro aufnehmen muss? Wie hoch wird die Neuverschuldung sein, wenn die Wirtschaft nicht mehr so gut läuft?

Wenn Versicherungen unsicher werden

Auch in der Versicherungswirtschaft bahnt sich ein Desaster an. Damit die Lebensversicherer ihren Verpflichtungen gerecht werden und die Leistungsansprüche auch erfüllen können, legen sie die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel langfristig am Kapitalmarkt an. Diese Kapitalanlagen und die daraus erzielten Erträge sind die Grundlage, um bestehende und künftige Leistungsansprüche der Versicherungsnehmer zu befriedigen. 2010 wurden 72,4 Mrd. Euro allein an Leistungen ausgezahlt. Nur: Diese müssen auch irgendwo herkommen. Welche Schwierigkeiten die Versicherer haben, immer höhere Beitragszuflüsse in wertstabile Anlagen zu investieren, wird dadurch klar, welche gigantischen Summen weltweit um die sichersten Anlagehäfen konkurrieren. Da sind z.B. die hunderte Milliarden Dollar schweren Pensionsfonds der kalifornischen Lehrer, oder der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock, der allein 3200 Mrd. Dollar substanzerhaltend anlegen muss. Galten einst Staatsanleihen generell als sicher, ist die Auswahl angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Staatsverschuldung weltweit auf nur noch wenige Kandidaten zusammengeschrumpft.

Staatspapiere aus Irland, Griechenland oder Portugal will kaum noch jemand haben. Selbst spanische oder italienische Schuldscheine gelten mittlerweile als hoch riskant. Mangels Alternativen schmeißen Anleger mittlerweile dem deutschen Staat das Geld regelrecht hinterher, weil es dort sicher scheint, obwohl zehnjährige deutsche Bundesanleihen nur noch 1,64 Prozent Zinsen abwerfen. Das senkt zwar die Zinslast für den deutschen Finanzminister, ist aber ein Problem für die Versicherer. Eine Anlage, die nur noch wenig abwirft, deckt nicht die Auszahlungsverpflichtungen und zwingt die Versicherer zum Verkauf des Tafelsilbers. Jetzt wird es eng, es geht an die Substanz.

 

Sichere Banken?

Auch bei den Banken wird Sicherheit wieder groß geschrieben. Das Misstrauen geht um. Heimlich und leise haben diese wieder damit begonnen, sich untereinander weniger oder gar kein Geld mehr zu leihen. Stattdessen parken sie ihre flüssigen Mittel lieber bei der Europäischen Zentralbank (EZB), obwohl sie dort gerade mal 1 Prozent Zins bekommen. Auch die Siemens AG, die seit Juni 2010 eine eigene Bank betreibt, zog vor kurzem 500 Millionen Euro von den Konten einer französischen Bank ab, um sie bei der EZB zu deponieren. Vertrauen sieht anders aus.

Kein Wunder, dass das Misstrauen hochkocht. Allein die Deutsche Bank, die nach Meinung der japanischen Finanzaufsicht als die gefährlichste Bank der Welt gilt, hält 55990 Mrd. Euro (!!!) derivate Positionen (Finanzwetten auf zukünftige Ereignisse) bei einer Bilanzsumme von 1850 Mrd. Euro.

Unlängst warnte der Internationale Währungsfonds vor einem Abschreibungsbedarf bei Staats- und Bankanleihen europäischer Krisenstaaten von 300 Mrd. Euro. Und prompt wird der Steuerzahler wieder darauf eingestimmt, dass es zur Rettung gefährdeter Bankinstitute durch Staatsgeld keine Alternative geben kann. So sieht es aus. Die letzte Sicherheit, die letzte Instanz die einen Bankrott des Systems verhindern soll ist der Bürger selbst. Verweigert sich der Bürger des Schuldendienstes, ist es aus!

 

Systemkrise

Die Weltwirtschaft befindet sich nahe an einer Systemkrise. Das System ertrinkt einerseits an seinen Schulden und andererseits an seiner Geldschwemme. Wenn das kein Systemfehler ist? Nur wer versteht wie das System tickt, kann daraus die richtige Schlussfolgerung und die richtigen Konsequenzen ziehen.

Zu hoffen ist, dass einige mehr begriffen haben wie krank dieses System wirklich ist. Wollen wir abwarten bis das System vollends zusammenbricht um dann zuzusehen, wie die alten Eliten das System wieder hochfahren und das Spiel von neuem beginnt? Oder wollen wir Alternativen installieren, die eine ernstzunehmende Konkurrenz zur alten Welt des Schuldgeldes darstellen.

 

In den nächsten Ausgaben der SEIN stellen wir neue, aber bereits erprobte, das Gemeinwohl stärkende Versorgungs- und Energiegenossenschaften vor.


Abb: Schulden © Wilm Ihlenfeld – fotolia.com

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4 Responses

  1. WellenbeobachterHH

    @Claus L.
    Natürlich gibt es noch(!) kein komplett fertiges Alternativsystem. Das muss ebenso erst entwickelt werden, wie der Kapitalismus auch. Während der jedoch hunderte Jahre und viel Gewalt (vgl. historisch die Zeit des Merkantilismus) dazu benötigte, kann man auf dem Gedanken der Kooperation – also friedlichen Symbiosen, etwas besseres in vergleichsweise wenigen Jahren schaffen. Genau genommen war es noch nie so einfach wie heute, Dank hoher Produktivität, Kommunikationstechnologien, Internet usw.

    Ich stimme N.M. da absolut und uneingeschränkt zu. Wenn die Menschen es auf weit niedrigerem Produktivitätsniveau hinbekommen haben – und das über zehntausende von Jahren, dann wäre es heute erst recht möglich. Am Ende könnte es ähnlich aussehen wie bei Star Trek – eine freie, selbstverwaltete Assoziation von Menschen – ohne Warenform, ohne Geld, ohne Staat… Nur für bestimmte Sinnzusammenhänge (z.B. Schiffe, Flugzeuge, Raumfahrt usw.) hat es Sinn strenge Hierarchien zu nutzen.

    Was man übrigens schon länger dazu formuliert findet (s. www.exit-online.org – in der mordernen Wertetheorie / Wertabspaltungstheorie), sind Grundpinzipien, an denen sich ein neues System beim Aufbau orientieren könnte. Bei den Violetten sind wir auch schon dabei, derartiges zu entwickeln. Wird – wenn alles gut läuft, in 2012 veröffentlicht (www.hh-violette.de).

    Da alle Ressourcen begrenzt sind, kann ein neues System nur eine Art „Ressourcenwirtschaft“ sein. Deshalb bezeichne ich das auch so.

    Ressourcenwirtschaft anstatt Marktwirtschaft!!! Da beginnt die Freiheit von Kapital und Lohnsklaverei…!!! Es liegt nur an unserem Denken.

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  2. N.M.

    30.000 Jahre lang leben Menschen auf diesem Planeten. Seit wann gibt es das kapitalistische System? Wie haben unsere Urahnen miteinander gelebt? Angeblich haben sich die Menschen kulturell entwickelt und dabei ihre Kompetenzen erweitert. Da werden sie doch wohl in der Lage sein, friedlich und auskömmlich alle miteinander zu leben. Sie müssen nur mal massenhaft beginnen selber nach-zudenken statt sich auf die wenigen Vor-denker zu verlassen.

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  3. Claus L.

    @WellenbeobachterHH: Die Frage, die sich mir immer stellt ist aber: was soll den Kapitalismus ersetzen? Die Menschheit hat bisher noch kein funktionierendes Gegenkonzept gefunden und im Augenblick fällt mir auch kein konkurrierendes System ein.

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  4. WellenbeobachterHH

    Der Artikel verweist völlig richtig darauf, dass es ein Systemfehler ist. Es liegt also nicht nur an „gierigen Bankern“, „Managementfehlern“ oder „unfähigen Politikern“. Die alle bemühen sich ja die Krise zu überwinden – nur das geht mehr schlecht als recht und gelingt immer nur scheinbar. Es wird kein Entkommen aus der inneren Logik geben. Die kapitalistisch Produktionsweise basiert auf einem inneren Widerspruch, einem Prozess, der immer weiter voran scheitet und nun geschichtlich reif wird. Es wird deshalb kein zurück mehr geben, weil die Produktivität stetig weiter wachsen wird, besonders unter dem jetzt noch größeren Druck der Märkte.

    Hier zwei gute Artikel dazu:
    http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=aktuelles&index=0&posnr=532

    und

    http://www.hh-violette.de/politik/des-papstes-rotkappchen-und-der-bose-wolf.html

    Daraus ergibt sich logischerweise, dass die Vorstellung, man könne dem mit „Genossenschaften“ und „kleinen, regionalen Kollektivwirtschaften“ ernsthaft etwas entgegensetzen, sind typisch kleinbürgerliche Illusionen. Hier hilft nur noch eines: ein kompletter Systemwechsel! Hier gibt es nichts mehr zu reformieren. Was wir bräuchten ist eine Revolution der gesellschaftlichen Reproduktion, also über die Warenform hinaus
    …!!! Erst wenn die kapitalistischen Kategorien selbst abgeschafft werden, ist der Weg frei zu echter Freiheit! Das ist nur über einen grundlegenden Bewusstseinswandel zu schaffen…

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