Altes Wissen als Perspektive für die heutige Zeit?

Jahrhunderte lang haben chinesische Weise, Ärzte, Wissenschaftler und Mönche ebenso wie Beamte, Bettler und Kaiser nach der Unsterblichkeit gesucht. Viele sind bei diesem Bemühen eines schrecklichen Todes gestorben, aber auch wichtige Schritte zu einer wissenschaftlichen Erforschung des Lebens wurden getan.

Und nicht zuletzt wurden viele Methoden entdeckt, wie der Mensch gesünder und älter werden kann. Von Anfang an wurde dabei auf zwei fundamental verschiedene Arten versucht, einen Weg zur Unsterblichkeit zu finden: einen äußeren Weg und einen inneren Weg.

Unsterblichkeit: Der äußere Weg

Der äußere Weg bestand darin, dass Ärzte und Wissenschaftler, aber auch Scharlatane versuchten, ein Mittel zu finden und herzustellen, durch dessen Einnahme der Betreffende unsterblich würde. Dieses Bemühen war die Geburtsstunde von Chemie und Pharmazie. Denn einerseits wurde mit Metallen wie Quecksilber, Blei und Zinnober sowie vielen anderen hochgiftigen Substanzen experimentiert, andererseits auch mit Pflanzen, tierischen und mineralischen Produkten. Im Laufe der Jahr-hunderte wurden von den Superreichen im Alten China ungeheure Summen dafür ausgegeben, wobei viele chinesische Kaiser eine Spitzenposition einnahmen, indem sie solche Versuche finanziell unterstützten. Bei dem Bemühen, ein Elixier der Unsterblichkeit zu entwickeln, fanden viele einen schrecklichen Tod, da sie hochgiftige Substanzen zu sich nahmen. Es wurde also das Gegenteil von dem erreicht, was angestrebt worden war: statt Unsterblichkeit ein frühzeitiger Tod. Letztlich scheiterten diese Versuche und wurden aufgegeben – denn auch die Erfinder solcher Elixiere kamen oft zu Tode, wenn ihre Auftraggeber das Verfahren nicht überlebten. Dennoch bezeichnete dieser Zweig der Suche die Geburtsstunde der Alchemie und damit letztlich der modernen Chemie, die noch heute diesen äußeren Weg geht: in dem Versuch, die Pille zu entdecken, die alle Krankheit ohne Zutun des Kranken heilt und langes Leben schenkt. Auch die Genforschung geht einen solchen Weg, denn sie versucht ebenfalls durch Eingriffe in das Erbgut, also von außen, den Ursachen des Alterns entgegenzuwirken und damit Langlebigkeit, wenn nicht Unsterblichkeit zu erzielen, und zwar für jedermann/frau und zu Discountpreisen.

Die zweite Variante dieses Weges, deren Anfänge in den frühesten Menschheitstagen liegen, hatte in vieler Hinsicht mehr Erfolg. Zwar wurde auch hier das Mittel zur Unsterblichkeit (noch) nicht gefunden, doch sammelten sich ungeheure Kenntnisse über die Heilkräfte von Pflanzen, Mineralien und tierischen Produkten an: die chinesische Medizin war geboren. Dieser Weg hat bis heute seine große Bedeutung nicht verloren, im Gegenteil: die chinesische Medizin erlebt in der Auseinandersetzung mit der westlichen Schulmedizin gerade eine Renaissance – nicht nur in China, sondern in der ganzen Welt. Dieser segensreiche Weg der Heilung durch die Kräfte der Natur wird mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, und zwar umso mehr, wie die Differenziertheit und Komplexität von Krankheiten begriffen sowie die Zusammenhänge aller körperlichen, geistigen und seelischen Prozesse im Menschen erkannt und die gleiche Komplexität und Differenziertheit in den natürlichen pflanzlichen, tierischen und mineralischen Produkten aufgedeckt werden.

Unsterblichkeit: Der innere Weg

Seit frühester Zeit jedoch bemühten sich andere Menschen auch auf anderen Wegen, die Ziele Langlebigkeit und Unsterblichkeit zu erlangen. Es waren dies die Anhänger des Tao, einer Philosophie und eines praktischen Weges der Inneren Selbstkultivierung. Sie waren und sind davon überzeugt, dass alle Versuche, von außen in das natürliche Geschehen, das Tao, einzugreifen, scheitern müssen. Gegen das Tao (die Natur, die kosmische Ordnung) zu arbeiten, muss eine Sysiphusarbeit bleiben: endlose Mühen, ohne je das Ziel zu erreichen. Sie begründeten – in Analogie zu den Aktivitäten des äußeren Weges – eine „Innere Alchemie“. Innere Alchemie ist der in der Tradition des Tao als erfolgreich angesehene Versuch, auf spirituellem Wege und mit geistigen Mitteln eine Transformation des sterblichen in einen unsterblichen Körper zu bewirken. Dieser Weg ist weder eine Religion noch eine Philosophie, sondern eine spirituelle Wissenschaft mit praktischen Methoden und Techniken der Selbstkultivierung. Der Körper wird dabei als ein komplexes System zusammenwirkender Teile gesehen, die alle von der „Chi“ genannten Energie in ihrem Zusammenwirken aufrechterhalten werden. Die Selbstkultivierung besteht zunächst darin, das Energiegeschehen im Körper zu erfahren und zu stärken. Schon im Alten China bemerkten die Energiemeister, dass das damals „moderne“ Leben, so wie heute auch, nicht natürlich, d.h. dem Energieprozess im Organismus nicht förderlich ist. Übersetzen wir „Chi“ nicht mit „Lebensenergie“, einem sehr „äußerlichen“ Begriff, sondern mit „Lebendigkeit“, der Kraft, die bei jedem Prozess (ein menschlicher Organismus, wie jeder andere auch, kann als Prozess gesehen werden) für dessen Aufrechterhaltung Sorge trägt, dann wird klar, dass der Mensch nach Erreichen einer äußersten Lebendigkeit – bei den meisten Menschen in ihrer frühen Kindheit – kontinuierlich allein durch den Lebensprozess an Lebendigkeit verliert: der Mensch altert. Schließlich stirbt er und alle Lebendigkeit ist dahin.

Diesen durch das „normale“ Leben bewirkten Prozess abnehmender Lebendigkeit aufzuhalten oder sogar umzukehren, ist das Bemühen der Inneren Alchemie des Tao. Im Gegensatz zu vielen anderen geistigen Wegen setzt die Innere Alchemie an den im Körper wirkenden Energien an. Dies geschieht durch „Chi Kung“ (schlicht „Energie-Arbeit“) und Meditation. Der Energieprozess wird erkundet und in seinem natürlichen Fluss unterstützt und gestärkt. Dies erhält die körperliche Geschmeidigkeit eines Kindes („werde wie ein Kind“). Weiter stellten die Tao-Weisen fest, dass die Kultivierung der sexuellen Energie im Einzelnen (hier nicht zu verwechseln mit praktizierter Sexualität) eine der wichtigsten Methoden ist, um zu einem emotionalen Ausgleich und schließlich zur Verbindung mit den höheren Energien und dem Ursprung zu gelangen. Denn emotionale Unausgeglichenheit (Stress) und geistige Orientierungslosigkeit (Zynismus) sind die größten Räuber der Lebendigkeit.

In einer ganzen Reihe von fundamentalen Werken aus früheren Jahrhunderten wird diese Innere Alchemie in einer esoterischen, d.h. für den naiven Leser unverständlichen Sprache beschrieben. Gleichzeitig gibt es Überlieferungen, in denen von Meistern der Inneren Alchemie berichtet wird, denen es gelungen ist, ihren sterblichen in einen unsterblichen Körper zu transformieren und in den „Himmel“ aufzusteigen. Sicher kommen uns solche Berichte heute wie schöne Legenden vor, denen man gerne glauben möchte, denen dennoch etwas Unglaubwürdiges anhaftet. Wir sollten aber nicht vergessen, dass das gesamte Christentum auf solch einer „körperlichen Auferstehung“ basiert: Christi Himmelfahrt.

Anders als im Christentum jedoch gibt es in der Tao-Tradition auch heute noch Meister, die die Methoden, Techniken und Anweisungen der „Inneren Alchemie“, der „körperlichen Auferstehung“ lehren. Es ist eine uralte und lebendige Tradition, deren Wirksamkeit jeder erproben kann. Ein Beispiel einer solchen konkreten, praktischen Überlieferung ist das System des „Universal Tao“ von Meister Mantak Chia. In seinem System ist der Zugang zur Inneren Alchemie, sozusagen das Tor zum Weg der „Unsterblichkeit“ – oder bescheidener: zu Langlebigkeit in Gesundheit und erfüllter Lebensfreude – die „Fusion der Fünf Elemente“. Es ist der Innere Weg zur Entwicklung des Höheren Selbst, der Verbindung zum Kosmos und seinem Ursprung sowie zur Transformation des sterblichen in einen unsterblichen Körper als Sitz des Geistes. Eine solche Transformation ist allerdings keine Sache von heute auf morgen, sondern ein andauernder Prozess, in den alle Lebensäußerungen des Einzelnen einbezogen sind. Viele der alten Meister lebten daher als Einsiedler oder in kleinen Gemeinschaften zurückgezogen in den Bergen.

Letzteres ist für das heutige Leben sicher kaum eine Perspektive, denn es gibt kaum noch Rückzugsgebiete, die von der modernen Zivilisation und damit vor Verschmutzung und Zerstörung verschont geblieben sind. Doch so, wie man auch mit schmutzigem Wasser Geschirr sauber spülen kann, so können wir auch heute, inmitten der Zerstörung natürlicher Gegebenheiten, durch geeignete Methoden den natürlichen Energieprozess in uns wieder herstellen. Da die Lebenserwartung in den nächsten Jahrzehnten vermutlich dramatisch steigen wird, man also in wenigen Jahren allein in Deutschland Zehntausende Hundertjährige wird zählen können (du und du und ich können darunter sein), wäre es nur vernünftig, diesen natürlichen Weg zu Langlebigkeit in Gesundheit zu gehen und nicht auf die Pille oder die Genmanipulation zu warten, die uns jung erhält. Dies allein ist ein lohnenswertes Ziel, wenn man an die vielen alten Menschen denkt, die in Altenheimen dahinsiechen und verdämmern. Bis zum letzten Tag eines hohen Lebensalters lebendig, gesund und froh zu sein und sich seines Lebens bewusst erfreuen zu können, ist sicher weniger als Unsterblichkeit. Für die meisten von uns aber doch letztlich mehr.

Eine Antwort

  1. Martina Baumann

    Einen schönen Vormittag Herr Treide,
    danke für Ihre wunderbare Beschreibung, welche mir als junge Tao Schülerin (eigentl. AI seit 2012) persönlich sehr gut getan hat.
    Wünsche Ihnen auf Ihrem Weg alles Gute mit herzlichen Grüßen aus Tirol
    Martina

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