Die Debatte über die Flüchtlingskrise hat eine neue Eskalationsstufe erreicht, wo Sachlichkeit und Vernunft auf der Strecke bleiben und der jeweilige politische Gegner dämonisiert und diffamiert wird. Beide Seiten versuchen die Komplexität der Flüchtlingskrise zu reduzieren und einfache Antworten zu finden. Dabei gibt es gute Konfliktlösungsstrategien….  

Ich habe mir im Fernsehen eine Talkshow in der ARD mit Sandra Maischberger zum Thema „Tabupartei AfD – Deutschland auf dem Weg nach rechts?“ angeschaut und bemerkt, dass trotz vieler Worte bei allen Beteiligten eine große Verständnislosigkeit und Sprachlosigkeit herrschte. Die grundsätzlichen Regeln des Miteinander-Redens wurden sämtlich missachtet. Man hörte sich nicht zu, fiel sich ins Wort, ging nicht auf das ein, was der andere sagte, unterstellte dem anderen das, was einem selbst vorgeworfen wurde usw. Außer der redlich bemühten Moderatorin waren übrigens alle an dem Gespräch beteiligten nicht in der Lage, eine ruhige und sachliche Diskussion zu führen. Das mag daran liegen, dass das Thema „Flüchtlinge“ zu sehr aufgeheizt ist und die Fronten zwischen den Anhängern „unbegrenzter Willkommenskultur“ auf der einen Seite und „Obergrenzen-Kultur“ auf der anderen Seite verhärtet sind.

Flüchtlingskrise: Verhärtete Fronten

Die verhärteten Fronten, der Verfall der Gesprächskultur, die sinkenden Hemmschwellen für Beleidigungen und Beschimpfungen des jeweils „Andersdenkenden“ beobachte ich nicht nur in Talkshows, sondern in der gesamten Gesellschaft, besonders natürlich in den Kommentaren in sozialen Netzwerken und unter den Artikeln der Leitmedien. War das Gesprächsklima vor der Flüchtlingskrise durch die Finanzkrise und die EU-Krise schon angespannt, ist es jetzt noch mal um eine hysterische Eskalationsstufe noch oben gesprungen. Schließlich geht es um Grundsätzliches und Prinzipielles: Den Fortbestand der Demokratie. Die „AfD“ als eine „NPD im Schafspelz“, als „Lügenpartei“ und „verfassungsschutzwidrig“ zu bezeichnen dürfte zur Versachlichung der Diskussion ebenso wenig beitragen wie die Vorwürfe der „AfD“, die öffentlich-rechtlichen Medien seien alle gleichgeschaltet und seien nur noch Propagandainstrumente der offiziellen Regierungspolitik. Die Diskussion über die Flüchtlingspolitik erinnert mich stark an zwei Verschwörungstheoretiker, die sich gegenseitig vorwerfen, der jeweils andere führe finsteres im Schilde und täusche die Öffentlichkeit über seine wahren Absichten.

Was ist eine Verschwörungstheorie?

Laut Wikipedia ist eine Verschwörungstheorie ein Versuch, „ein Ereignis, einen Zustand oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären, also durch das zielgerichtete, konspirative Wirken von Personen zu einem meist illegalen oder illegitimen Zweck“, vorzugsweise besteht dieser Zweck darin, die Weltherrschaft zu erlangen. Es geht aber auch eine Nummer kleiner, und dann ist Machterhalt im Spiel durch Vertuschung der Wahrheit und/oder Verdummung der Bevölkerung. Den Verschwörungstheoretiker zeichnet aus, dass er grundsätzlich alle offiziellen Verlautbarungen anzweifelt, vornehmlich von Regierungsseite und von wissenschaftlicher Seite. Das Verführerische an jeder Verschwörungstheorie ist, dass sie überhaupt nicht zu widerlegen ist. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sagt: „Verschwörungstheoretiker zweifeln pauschal an der offiziellen Berichterstattung, aber eigentlich nie an sich selbst und den Ergebnissen eigener Recherchen.“ Jeder Einwand prallt wie eine Teflonbeschichtung an ihm ab und wird gegen den Einwänder gewendet. Wenn sich Verschwörung nicht beweisen lässt, ist das nur der Beweis dafür, wie raffiniert die Verschwörung sein muss.

Pro und Contra Willkommenkultur

Wir haben es meiner Meinung nach in der Flüchtlingsdebatte auf beiden Seiten des Meinungsspektrums mit vielen Parallelen zu Verschwörungstheorien zu tun. Das Lager „Pro-Willkommenskultur“ verteufelt die Menschen, die sich Sorgen um die innere Sicherheit und ihre Arbeitsplätze machen als „fremdenfeindliche Nazis und Rassisten“, und das Lager „Contra-Willkommenskultur“ verteufelt die Menschen, die sich um die vielen Flüchtlinge kümmern, als „naive Gutmenschen, die der Propaganda der Lügenpresse verfallen sind“. Diese zwei Lager kämpfen jeweils um die Deutungshoheit und unterstellen dem anderen Lager jeweils unlautere Absichten. Warum glaube ich, dass es sich bei der Auseinandersetzung um Verschwörungstheorien handelt?

Der Verschwörungstheoretiker sieht in der Gegenmeinung nicht mehr den Menschen, dem es um die gemeinsame Sache geht, sondern den Feind, den Gegner, der im geheimen operiert und heimlich die (Welt)-Herrschaft anstrebt. Aus der Sicht der „AfD“ und Pegida-Demonstranten sind die linksliberalen Gutmenschen gefährlich, weil sie mit ihrer Willkommenskultur den Fortbestand des deutschen Volkes gefährden. Aus der Sicht der etablierten Parteien sind die Pegida-Demonstranten und „AfD“-Anhänger rechtsradikale Neonazis, die die Demokratie abschaffen wollen und deshalb ein Fall für den Verfassungsschutz sind. Was könnten gemeinsame Ziele beider Parteien sein? Da fallen mir einige Optionen ein, wo „Rechts“ und „Links“ in der Sache nicht so weit auseinander liegen: Eine kontrollierte Einreise, eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge, eine schnellere Abschiebung nach der Ablehnung des Asylantrags, mehr Geld für Flüchtlingslager im Ausland, eine dezentrale und gleichmäßig auf Deutschland verteilte Unterbringung, mehr Geld für Integration usw.

Hetze von Links und Rechts

Das Gefährliche an der jetzigen Situation ist, dass Deutschland mit der Bewältigung der Flüchtlingsströme vor der größten Herausforderung seit dem Ende des 2. Weltkriegs steht und nichts Besseres zu tun hat, als sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben und den Teufel an die Wand zu malen. Dabei fallen nicht nur die „Rechten“ mit immer schärferer Rhetorik auf, sondern auch die „Linken“ und „Linksliberalen“, ein Konsens oder wenigstens ein Kompromiss ist weit und breit nicht in Sicht. Ein Kommentar von „steinseufzer“ auf www.spiegel.de bringt es auf den Punkt: „Der Unterschied zwischen linken und rechten Hetzern ist eigentlich nur, dass der linke Hetzer die Moral und Tugend auf seiner Seite glaubt. Auf der Strecke bleibt in jedem Fall die Sachlichkeit und Vernunft. Es ist diese Hinwendung zur Pseudoreligiosität und die ständige Klassifizierung in links (gut) und rechts (böse) die mir zunehmend Sorge bereitet.“

Ein paar Themen, über die man auch reden kann

In mir drängen sich neben den aktuellen Fragen zur Flüchtlingskrise auch ein paar grundsätzlichere Fragen auf, über die zu reden sich lohnen würde.

  • Wie kann man in den Ländern, wo die meisten Flüchtlinge herkommen (Syrien, Irak, Afghanistan), wieder Bedingungen schaffen, die es den Flüchtlingen ermöglichen, zurückzukehren?
  • Inwiefern trägt die weltweite Rüstungsexportpolitik dazu bei, dass Konflikte in den Herkunftsländern eskalieren?
  • Welche Interessen verfolgen die einzelnen Kriegsparteien wirklich?
  • Wie kann man in Deutschland eine Politik des sozialen Ausgleichs gestalten, wo der Unterschied zwischen arm und reich nicht immer größer wird und die Hälfte der Bevölkerung den Eindruck hat, dass gegen ihre Interessen Politik gemacht wird?
  • Hat das herkömmliche Parteiensystem ausgedient? Geringe Wahlbeteiligung, Politikverdrossenheit und zunehmende Radikalisierung sind deutliche Warnzeichen für eine Demokratiemüdigkeit und für eine überfällige Reformdiskussion.
  • Wie kann man in Deutschland mehr Bildungsgleichheit herstellen? Immer noch entscheidet die Herkunft über Bildungschancen. Deutschland leistet sich als eines von wenigen Ländern auf der Welt eine Schulanwesenheitspflicht und einen veralteten Frontalunterricht.

Konfliktlösungsstrategien in der Flüchtlingskrise

Im Coaching würde man in der Flüchtlingskrise von einem unvermeidbaren Konflikt sprechen, denn es handelt sich hierbei um das Aushandeln von verschiedenen Einstellungen, Werten, Interessen und Bedürfnissen. Um die Krise zu bewältigen, müssen alle relevanten Gruppen in Deutschland sich zusammensetzen und sich fragen: „Was könnte bei verfeindeten Parteien ein gemeinsames Ziel sein, dass beide verbindet?“ Zu diesem Prozess der gemeinsamen Konfliktlösungssuche gibt es keine Alternative, denn niemand will in einem Land leben, dass von Bürgerwehren bewacht wird und an seinen Grenzen von der Schusswaffe Gebrauch macht, und niemand will in einem Land leben, dass aus falsch verstandener Solidarität mit den zunehmenden Flüchtlingsströmen unregierbar wird. Der erste Schritt zu einer gemeinsamen Lösung wäre die rhetorische Abrüstung und die Enddämonisierung des jeweils „Andersdenkenden“.

Inzwischen teilen große Teile der Bevölkerung die Sorge, dass ein weiteres Jahr der unbegrenzten Zuwanderung nicht mehr zu schaffen ist und wir dringend Regulierungs- und Begrenzungsmechanismen brauchen. Gemeinsame Lösungen sind notwendig, denn eines steht fest: Das Problem der Flüchtlinge wird uns noch lange begleiten, und die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa wollen, wird eher steigen als sinken.

Eine Antwort

  1. Hubertus Hauger
    Voodo-Kult

    Die Flüchtlinge sind ja nicht das Problem, sondern das Vorzeichen heraufdämmernden Unheils.
    Vielleicht in der Hoffnung den Boten des Unheils totzuschlagen hielt auch das Unheil fern, lässt viele so erregt gegen die Vertriebenen wüten.

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