Homöopathische Antworten am Puls der Zeit

von Werner Baumeister

 

Das Leben im Meer, dem Symbol für das untrennbare große Ganze, beginnt mit Lebewesen wie den Quallen. Nach den Schwämmen und Korallen stellen sie den nächsten Schritt in der Evolution dar. Unser Nerven-/Sinnessystem mit der Fähigkeit, Berührung zu empfinden, nimmt hier seinen Anfang. Dass Berührbarkeit oft schmerzhaft ist, zeigt eine Begegnung mit einer Feuerqualle. Die australische Feuerqualle etwa ist mit einem der gefährlichsten Gifte (Neurotoxin) der Welt ausgestattet. Homöopathisch entgiftet uns die Qualle. Sie ist ein Urtier, und dementsprechend erreicht sie tief unbewusste selbstvergiftende Glaubenssätze. Ein Klient stieß nach der homöopathischen Einnahme von Feuerqualle auf tiefsitzende „Zweifel daran, ob wirklich alles gut ist“ und konnte diesen bisher im verborgenen wirkenden behindernden Glaubenssatz auflösen.

Quallen werden passiv von der Meeresströmung bewegt. (Leitsymptom: Schwierigkeiten, in seinem Leben etwas aktiv anzugehen, lässt sich treiben). Dieser gallertige Organismus hat überhaupt keine festen Strukturen und besteht noch zu über 90 Prozent aus Wasser (der Mensch zu 70 Prozent). Die Qualle markiert somit die erste feine Grenze, die Andeutung einer Struktur, die im Sinne einer Abgrenzung entsteht, einer Abtrennung eines Individuums von der Einheit des großen Ganzen. Dies findet sich im homöopathischen Arzneibild der Qualle wieder (Leitsymptom: fühlt sich zwangsweise abgesondert; Gefühl der Entwurzelung).

Auflösung von Strukturen

Ich persönlich habe zwei sehr intensive Wirkrichtungen der homöopathischen Quallenarzneien erfahren. Einerseits erlebe ich die totale Auflösung von Strukturen, die mir Sicherheit geben. Einzige Möglichkeit ist Hingabe an diesen Prozess, den ich nicht mehr kontrollieren kann, der sich zunächst bedrohlich anfühlt, dann aber als sehr befreiend herausstellt. Homöopathisch begleitet die Qualle Phasen, die mit dem notwendigen Zusammenbruch früh installierter, aber inzwischen einengender Überlebensstrukturen einhergehen. Mit ihrer Fähigkeit zur Rejuvenation, zur Verjüngung (Quallen sind potentiell unsterblich!) begleitet uns die Qualle homöopathisch bei biographischen Stirb-und-werde-Prozessen. Andererseits thematisiert die Qualle bei mir homöopathisch genau die Lebensbereiche, in denen es mir biographisch bedingt an Rückgrat und fester Substanz fehlt, wo meine Struktur mit Gewalt gebrochen wurde und meine Grenzen vorgeschädigt und geschwächt sind. Meine Überlebensstrategie hier war bisher der Rückzug vom Leben und vom emotionalen Austausch. Die Qualle weicht mich da wieder auf, wo ich mich aus Angst oder Enttäuschung emotional verhärtet habe. An der Art, wie meine Umwelt plötzlich angstfrei und freundlich auf mich zugeht, merke ich deutlich, dass bei mir diese Härte weg ist. Ich bin aber auch da, wo es erforderlich ist, deutlich schärfer in der Ab-Grenzung, und das ohne Angst vor nachteiligen Konsequenzen!

„Jesus Christ Superstar“

In der Nacht nach Einnahme der Qualle „Portugiesische Galeere“ träume ich mehrere Christus-Varianten mit Kreuzigungen. Das Erste, worauf ich dann am nächsten Morgen in der Zeitung zufällig stoße, ist die Neufassung des Ärztegelöbnisses (10/2017) durch den Weltärztebund. Sie enthält unter anderen folgende neue Aussage: „Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlbefinden achtgeben, um meinen Patienten den höchsten Behandlungsstandard zukommen zu lassen.“ Dass der Arzt erst jetzt auf sich selbst gucken darf, ja sogar muss, spricht für sich. Irgendetwas scheinen nicht nur Ärzte (sie zählen zu den Berufsgruppen mit der höchsten Drogenabhängigkeit), sondern viele von uns bisher falsch verstanden zu haben.

Wir alle sind aufgewachsen mit dem christlichen Leitsatz: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Das „wie dich selbst“ scheint dabei aber hinten runtergefallen zu sein. Wir verwechseln Nächstenliebe damit, „anderen ihre Bedürfnisse zu erfüllen“, nehmen unser Gegenüber wichtiger als uns selbst. Für unsere Kultur ist Jesus der Held, dem wir nacheifern, um etwas „Besonderes, Auserwähltes“ zu sein. Ein Märtyrer – er hat sich geopfert und qualvoll gelitten. Die Qual, vom Christentum heilig gesprochen, führt zu der Frage: „Darf ich glücklich sein, wenn ich vorher nicht gelitten habe?“ Das Opfer ist wichtig in unserer Kultur. Unser ganz normales Zusammensein ist „das sich Zurücknehmen“, weil wir keine stimmigen klaren Grenzen ziehen können. Aber tief in uns wehrt sich etwas, sich aufzuopfern, und weil wir nicht gelernt haben, natürlich unsere Bedürfnisse zu äußern, ist diese Bewegung total in die andere Richtung, die Ego-Gesellschaft umgeschlagen.

Die Qualle führt uns zu biographisch entstandenen Glaubenssätzen wie: Ich darf mein eigenes Leben nicht leben, sondern muss mich zurücknehmen, opfern, womöglich etwas wiedergutmachen, weil ich schuldig bin. Es ist spannenderweise also nicht nur die persönliche Geschichte, sondern die gesamte Kultur, gegen die wir da kämpfen. Die Qualle holt uns raus aus diesem Märtyrerprogramm, das kulturell tief in uns verankert ist.

 

Schlagworte (mit Links zu weiteren Artikeln von Werner Baumeister):
HomöopathieBerührungAbgrenzungGrenzenStrukturStirb-und-werdeOpferEntgiftung 

 

Werner Baumeister

ist Arzt und bietet individuelle homöopathische Begleitung an.

30 Jahre Erfahrung in eigener Praxis in Berlin.

Einzeltermine nach Vereinbarung, Behandlungstermine zum Thema des Artikels jederzeit möglich.

Information zu aktuellen Workshops immer auf der Seite „Homöopathie am Puls der Zeit

(mit Themenregister aller Artikel) sowie unter Tel.: 0172 – 391 25 85 .

Oder Newsletter mit aktuellen Terminen abonnieren unter E-mail w.baumeister{at}gmx.net .

Die homöopathischen Arzneibilder von Werner Baumeister verstehen sich immer auch

als homöopathischer Spiegel aktuellen Zeitgeschehens.

 

 

 

Über den Autor

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Werner Baumeister ist Arzt und bietet individuelle homöopathische Begleitung an.

30 Jahre Erfahrung in eigener Praxis in Berlin. Einzeltermine nach Vereinbarung

Die im SEIN regelmäßig veröffentlichte Fortsetzungsserie „Homöopathie am Puls der Zeit“ versteht sich auch immer als homöopathischer Spiegel aktuellen Zeitgeschehens.

0172 – 391 25 85

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