Ein Interview mit Lucien Sorich

Es gibt viele Menschen auf diesem Planeten, denen der Frieden am Herzen liegt, und eine Vielzahl von Initiativen, die ihn schaffen wollen. Es gibt Teilerfolge, aber immer wieder müssen wir auch Scheitern miterleben. Woran liegt das? Sind die großen Widersacher Krieg und Frieden sowohl als äußere Manifestationen als auch als innere Dispositionen in ihrer Tiefe bisher überhaupt verstanden worden? Der Arzt und Sophrologe Lucien Sorich zeigt einen Weg zum Frieden auf.

Sein: Was ist Krieg überhaupt?

Lucien Sorich: Krieg heißt, sich mit einer Identität zu identifizieren, die getrennt ist von Gott und die man meint verlieren zu können. Wenn du mit deinem Körper identifiziert bist, dann ist es natürlich dein Hauptziel, dich zu schützen. All dein Denken, Fühlen und Tun dreht sich um dieses Ziel und du bekämpfst jeden, der deine Vorstellungswelt bedrohen könnte. Wenn du dagegen weißt, wirklich weißt, dass die Seele nicht stirbt und dass du im Kern diese Seele bist, tritt eine tiefe Entspannung ein.

Wie kann man aus diesem Verständnis heraus Frieden schaffen, wie zu diesem Wissen der eigenen Göttlichkeit gelangen, so dass der Kampf aufhört?

Indem man sich mit der Seele rückverbindet. Re-ligio(n) heißt ja auch nicht Glauben an Gott, sondern uns mit Gott rückverbinden. Ob Schmerzen  oder Krankheiten – beides resultiert aus der Nichtverbundenheit mit dieser göttlichen Identität. Wenn Menschen zu mir kommen, leiden sie also im Grunde an dieser fehlenden Bewusstheit ihrer Identität mit Gott und liegen damit im Krieg mit sich selbst und ihrer Umwelt. Ich arbeite daher auch nicht gegen Schmerzen oder Krankheiten an, sondern ich schaffe so etwas wie ein Nahtoderlebnis. Das hört sich erst mal schrecklich an, denn wenn wir ein Nahtoderlebnis haben, dann fragt das ja nicht: „Wie viel davon hättest du denn gerne“, sondern es setzt sich durch. Aber was in einer Behandlung stattfindet, ist jetzt kein Horrorerlebenis, sondern so etwas wie eine seelische Spiegelung, bei der die Seele des Klienten sich aus dem herkömmlichen Bezugsrahmen löst und einen neuen Blickwinkel einnehmen kann. Das kann ich durch meine Seele als Spiegel herstellen. Die Seele im nichtverbundenen Zustand spiegelt sich dabei und nimmt sich selbst wahr. Dadurch sieht sie auch den anderen Teil, der voller Liebe, Wahrheit und Schönheit ist, das, was wir von Natur aus sind, wofür wir auch nichts tun müssen. Diese Spiegelung, die man sonst nur beim wirklichen Tod oder bei einem Nahtoderlebnis hat, reicht aus.

 

Wie stellen Sie diese Spiegelung her?

Ich habe aus der Kampfkunst gelernt, meine Seele so ruhig zu machen wie eine Wasseroberfläche. Ich bin so ruhig oder so eins mit der Bewegung, die ich bin, dass es keine Dissonanz gibt. Ich tue das nicht, ich bin das. Dadurch kann ich unverfälscht eine andere Seele spiegeln.

Ist das so, wie wenn man auf einen spirituellen Lehrer trifft, der reines Bewusstsein ist?

Ja, indem ich nichts mehr persönlich will, kann so eine Spiegelung geschehen. Das lässt den anderen in seinem So-Sein. Er ist gezogen, in ihm gibt es schon diese perfekte Form. Wenn jemand zu mir kommt, bin ich also nicht in einem Zustand des Krieges – weder mit mir noch mit dem Patienten, ich will nicht in irgendeine Richtung. Dadurch kann ein Moment geschehen, in dem in dem Patienten der Krieg aufhört, in dieser Bewegung des Krieges ist ein Moment Stille.
Die größte Herausforderung für mich ist es, mir kein Bild davon zu machen, dass es dem Klienten besser geht. In einem solchen Bild bin ich natürlich toll und habe Erfolg, aber genau diese Gedanken verursachen wieder Unruhe und dann funktioniert die Arbeit nicht, weil ich damit unbewusst eine Art Druck auf den anderen ausübe und ihn damit einschränke. Die Basis, auf der meine Arbeit funktioniert, habe ich dann selbst zugrunde gerichtet. Nur wenn ich in meiner Stille bin, kann die Stille des Klienten in mir resonieren.

sorich_sturm.jpgSie heilen also nicht?

Ich bin kein Heiler, übertrage keine Energie oder so etwas. Was heilt, ist der innere Arzt des Klienten. Medicus curat, natura sanat: Die Medizin kuriert nur, gibt Heilungsanstöße – wie bei einem Starthilfekabel beim Auto –, aber was heilt, ist die Natur, der eigene Heilungsmotor springt an. Wenn diese Verbindung mit dem inneren Arzt, mit dem göttlichen Funken gelingt, dann steigen bei Kranken sofort die Immunglobuline an – ohne Medikamente. Solche Menschen können z. B. in Grippeviren baden, das macht ihnen nichts aus.

Indem sich ein Mensch, der zu Ihnen kommt, auf einer unbewussten Ebene angenommen, gesehen fühlt, kann also sein Krieg gegen sich selbst aufhören?

Ja. Es ist wie in der Kybernetik: Wenn du selbst Teil des Konfliktes bist, kannst du ihn nicht lösen. Du siehst eine Begrenzung, ein Gefängnis, das es eigentlich gar nicht gibt. Und trotzdem kannst du nicht ausbrechen. Wenn dein Geist in der Lage ist, diese Begrenzung zu verlassen wenn ein Teil außerhalb des Systems gelangen kann – du bist noch im Spiel, du hast weder deinen Körper verlassen, noch deine Konflikte gelöst – wenn du also gleichzeitig im Sumpf bist und ein Teil von dir draußen ist und das alles sehen kann, dann hast du die Möglichkeit, den Konflikt aufzugeben. Einfach indem du siehst, dass es den Konflikt gar nicht gibt, sondern, wie Buddha sagt, nur die Vorstellung eines Konfliktes. Wenn du das entdeckst, dann weißt du gar nicht, ob du lachen oder weinen sollst, weil es einerseits der größte Witz ist, den man machen kann, und du dich gleichzeitig so bescheuert fühlst, dass du den Konflikt die ganze Zeit für wahr gehalten hast.

Was geschieht denn genau bei dieser Spiegelung?

Das Unbewusste in mir kommt in Resonanz mit dem Unbewussten des anderen. Wenn ich mit dem Unbewussten des Klienten kommuniziere, dann kommunizieren auch meine eigenen Schatten mit denen des Klienten, mit dem Unterschied, dass mir meine Schatten bewusst sind und ich nicht im Kampf mit ihnen liege. Jemand, der das integriert hat, hat eine höhere Schwingung, und die Schwingung im Anderen neigt dazu, auch in diese höhere Schwingung zu kommen. Das Bewusstsein des Klienten kann gar nicht anders, als einen Phasensprung zu machen, es hat eine neue glücklichere Vision! Obwohl wir dann auch den freien Willen haben, uns wieder dagegen zu entscheiden, nur diesmal wissen wir es. Wir sind dann keine „schlafenden“ Götter mehr.
Ich spiegele jetzt nicht nur die Einheit, sondern all das, was da ist, auch das Nicht-Einssein, alle Schatten, alles Leid wird wahrgenommen. Ich spiegele sowohl die Schatten wie auch den göttlichen Funken im Klienten, sowohl das Getrenntsein wie das Einssein. Was dabei heilt, ist, dass es keinen Konflikt mehr gibt. Und dadurch entsteht ein Moment Stille und der innere Krieg hört auf. Du bist wie im Zentrum des Orkans. Du siehst das Tosen um dich herum und bemerkst, dass das nur eine Randerscheinung ist. Du bist das Zentrum.

Was kann denn passieren, wenn ich diese Spiegelung wahrnehme?

Die Identifizierung bewegt sich von dem äußeren Sturm zur Stille, zum Nichts, und du erkennst, dass du das wirklich bist.

Was hat das jetzt eigentlich mit dem Nahtoderlebnis zu tun, von dem Sie sprachen? Gibt es da nicht auch Todesangst?

Ja, aber die erlebe ich wie virtuell. Es ist, als ob man im Kino sitzt und auf einmal sieht, dass der Hauptdarsteller so aussieht wie man selbst. Schön, sagt man, ich kann mich zwar nicht erinnern, dass ich als Schauspieler schon mal gearbeitet habe, aber es findet einfach statt. Der Schauspieler ist eine Art James Bond und macht jede Menge Dinge, vor denen ich Angst habe. Und ich schaue zu und merke, dass das alles ja gar nicht so schlimm ist. Und auf einmal ist die Angst weg, denn die Angst baut sich immer nur vor etwas auf, weil ich es groß und furchterregend phantasiert habe. Durch meine Arbeit müssen die Klienten ihre Angst nicht Stück für Stück auflösen, sondern sie kommen einfach in diesen Zustand jenseits der Angst. Und dabei erkennen sie, dass das  Riesengespenst, vor dem sie solche Angst hatten, nur der vergrößerte Schatten einer Miezekatze ist, die vor der Sonne stand. Jetzt gibt es keinen Grund mehr für Todesangst. Sie wissen jetzt, dass dieser Schatten im wahrsten Sinne des Wortes „keinen Grund“ hat und das nicht nur logisch, sondern auch vom Gefühl her. Und damit hat die Angst ihre Macht verloren. Ich nehme die Miezekatze in den Arm und streichele sie. Dadurch kann eine grundlegende Entspannung und Frieden in mein Leben einziehen, ich höre auf zu kämpfen. Wie Buddha schon sagte: „Es gibt keinen Konflikt im Außen, der nicht in dir selbst begründet liegt!“ Wenn du den Konflikt in dir selbst beendest, hört auch dein Krieg mit dem Außen auf.

 


Abb: Im Zentrum des Orkans ist Stille – und diese Stille sind wir, nicht das wilde Wirbeln, für das wir uns gemeinhin halten.

Beide Bilder oben: pixelio.de

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