Es entscheidet sich alles an der Kraft und der Wahrhaftigkeit der Liebesbeziehungen.

Wenn also die ökologische Krise geistig und wie wir aus der Psychologie wissen, auch seelisch verursacht ist, dann kann ökologische Politik nur Bewußtseinspolitik sein.

Ich denke, die eigentliche Substanz, mit der wir so einschnürend die Erde überziehen ist nicht Beton, Stahl, Silizium usw., sondern etwas, was Marx tote Arbeit genannt hat, und was man noch geschickter toter Geist nennen kann.

 

Die folgende Rede von Rudolph Bahro druckten wir erstmals in der SEIN-Ausgabe Juli 1998. Wir finden, sie hat bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren.

Hiermit stellen wir diesen Beitrag erneut zur Diskussion: 
– Was macht Menschsein lebenswert?
– Wir denken Sie über die Rede von Rudolph Bahro?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung.
per email an: redaktion@sein.de

Auszüge aus einer Rede von Rudolph Bahro, Systemkritiker und Mitbegründer der GRÜNEN, die er vor 28 Jahren auf dem Parteitag der GRÜNEN hielt.

Unsere Gesellschaft gleicht der Titanic, und sie läuft auf eine absperrende Eisbarriere zu. Wollen wir eine Steuermannsrolle auf diesem Schiff, wo uns der etablierte Kapitän, weil  er allmählich auch die Hosen voll hat und privat kein Unmensch ist, eine Kursänderung von fünf Grad genehmigt? Während 90 Grad das Minimum sind, um wenigstens quer zur Wand zu kommen, und während die Maschinen nicht nur angehalten, sondern auf Rückwärtsgang geschaltet werden müssen…..

……Wollen wir, da uns zur Totalbremsung die Kraft nicht reicht, anfangen, das Schiff für Rettungsboote abzubauen, wo immer wir können?! Neben dem Bau von Rettungsbooten müssen wir zwecks Verlängerung der Galgenfrist durch Belagerung des Steuerhauses, des Maschinenraums und der Brücke und durch Manöverbehinderung, wo wir können, den Katastrophenkurs verlangsamen und erschweren, also den normalen Geschäftsgang stören. Dabei geht es nicht um die Maschinen, sondern um die Mannschaften, um ihr Bewusstsein. Sie von oben bis unten an ihrer täglichen Arbeit zu spalten, ist überhaupt unsere Aufgabe. Zu renovieren gibt es nichts auf diesem Schiff. Nur wenn ihr in Wirklichkeit denkt, es ist sowieso nichts mehr zu machen, hat es Sinn, auf der Titanic noch die Kabinenlüfter nachzusehen…..

…..In den alten Zeiten sind die politischen Repräsentanten und Unterdrücker der Gesellschaft immer auch für das Naturverhältnis haftbar gemacht worden. Der chinesische Kaiser war dafür verantwortlich, dass die Harmonie der Welt nicht gestört wird. Etwas wie ein Erdbeben stellte die Legitimität der Macht in Frage. Noch heute müssen Minister hin, auf dem schnellsten Wege, wenn irgendwo eine Naturkatastrophe hereinbricht……

……Was aber nun, wenn solche Naturkatastrophen immer häufiger vom Menschen hausgemacht sind, wenn sie von den Strukturen hervorgerufen und vorbereitet sind, die die Gesellschaft gerade vor Unheil schützen sollten? Der Staat repräsentiert heute gerade den negativen, selbstmörderischen Anteil des Allgemeininteresses. Er steht für die nekrophilen Seelenkräfte in uns allen. Er ist eine Verstärkung der lebensfeindlichen Tendenzen, die unserer ganzen Zivilisation innewohnen, er ist, dies ist unvermeidlich,  ihre Institution……

……Das Ergebnis ist nun die Dantesche Hölle völlig diesseits. Es ist die Große Maschine, die Fabrik-, Büro- und Transportgesellschaft, über deren allgegenwärtigem Eingang steht: „Die ihr hier eingeht, lasst alle Hoffnung fahren!“ Das ist ein bis in seine Kommunikation hinein materieller Götze, der in uns fast den ganzen Platz des lebendigen Gottes belegt. Wir haben die ganze Welt zu einem einzigen Golgatha gemacht. Diese Zivilisation ist ein einziges Kreuz, an das unablässig Menschen-Sohn und Menschen-Tochter geschlagen sind und neu geschlagen werden, die einen Milliarden buchstäblich physisch, die anderen psychisch, und es geht ja ineinander über. Tiere und Bäume kreuzigen wir gleich mit …….

…… Das wollt ihr mit Realpolitik angehen? Und weil ihr vor denen Angst habt, die dann auch auf euch „Kreuzigt, kreuzigt!“ rufen werden, nehmt ihr die Tribüne nicht dazu, denen, die es hören, und denen, die es nicht hören wollen, anzusagen, dass der Tempel abgerissen und neu aufgebaut werden muss……    

 


Buchempfehlung:

Bahro_Biographie_CoverGross.jpgRudolf Bahro
Glaube an das Veränderbare.

Eine Biographie.
 
Ch.Links Verlag
29.90 EUR
656 Seiten
ISBN: 3-86153-270-0

Rudolf Bahro ist ein Philosoph, der aus der Enge der DDR heraus radikal systemkritisch sowie global und ökologisch gedacht hat. Bekannt wurde er 1977 durch sein Buch »Die Alternative«, eine Abrechnung mit dem System der »organisierten Verantwortungslosigkeit« im »realexistierenden Sozialismus«, für die er ins Gefängnis nach Bautzen kam.
Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik entwickelte sich Bahro zu einem Vordenker der Öko- und Friedensbewegung sowie zum fundamentalen Kritiker einer Arbeits- und Lebensweise, die nach seiner Auffassung die Menschheit immer schneller an den Rand des Abgrunds führt.
Die Biographie zeigt Rudolf Bahro nicht nur als politischen Akteur und als Wissenschaftler, sondern beleuchtet auch seine Lebensweise und seine vielfältigen, oft konfliktreichen persönlichen Beziehungen.


Homo Integralis

Rudolf Bahro
Wer war er, was hinterließ er uns?

von Maik Hosang

“Seine Wirkung hat begonnen“, dies ist der letzte Satz des Nachrufes der „Zeit“ auf Rudolf Bahro, der am 4./5. Dezember 1997 aus dieser Welt schied. Zahl und Vielfalt der Artikel in aller Welt, die ihn würdigten und dabei je nach ihrer Ausrichtung diese oder jene Seite seiner facettenreichen Persönlichkeit herausstellten, deuten darauf, dass hier einer der seltenen, großen Inspiratoren der Menschheit ging. Sowohl Philosoph, Revolutionär, Politiker, Ökologe, Geisteslehrer, links und zugleich rechts, Idealist und zugleich Materialist zu sein; trotz aller Anfeindungen der ihn nicht vereinnahmen könnenden Ideologien und Parteien, oft als einsamer Rufer in Vorahnung der drohenden Wüste, innerlich fortzuschreiten zu größerer Gelassenheit, in der steten Hoffnung auf das Aufwachen einer größeren Zahl von Menschen – dies alles machte ihn bereits zu Lebzeiten zu einem Propheten. Inwieweit seine 1977 erschienene „Alternative“ das Skript für die seit 1980 begonnene Perestroika und darauffolgende Wende war, ist offen; doch seine „Logik der Rettung“, die tiefschürfender und umfassender als andere das Problem der ökologischen Krise beleuchtet, dürfte inzwischen viele Herzen, Hirne und Projekte angeregt haben.

Sein Tod vereint in Betroffenheit alle die, die an ihm wuchsen und im Ringen um die Zukunft des Menschen neben ihm standen, bei ihm Kraft und Ideen fanden.

Das Ereignis Rudolf Bahro verkörperte den Beginn eines neuen umfassenden Paradigmas, welches er mit Jean Gebser das „integrale“ nannte. Diese Neuintegration von Mensch und Erde, innen und außen, Individuum und Kosmos, Politik und Ökologie, Weiblichem und Männlichem, Geist und Materie, Liebe und Wissen.. suchte er und regte er an, dabei sich stets seiner eigenen Unvollkommenheit bewusst und deshalb bis zuletzt immer selbst auf der Suche.


Weitere Informationen:

http://www.umweltdebatte.de/
Diese Seite von Marko Ferst enthält Textbeiträge und Buchbesprechungen zu Rudolph Bahro. Hier können auch längst vergriffene Bücher bestellt werden.

http://www2.hu-berlin.de/agrar/rudolf-bahro-archiv/
Hier finden Sie das Rudolph Bahro Archiv einschliesslich des Vorlesungsverzeichnisses über den Studiengang Sozialökologie aus den Jahren 1990 bis 1997 an der Humboldt Universität Berlin.

Es würde sich lohnen darüber nachzudenken, wie die geplanten, aber durch den Tod von Rudolph Bahro (im Dezember 1997) nicht mehr realiserten Vorlesungen, nun, da gerade wieder hoch aktuell, doch noch umgesetzt werden können.

Rudolf Bahro (1935 – 1997)
Berufung zum außerordentlichen Professor für Sozialökologie an der
Humboldt-Universität zu Berlin mit Wirkung vom 15. September 1990

 Sozialökologie als Studium Generale 1990 – 1997

Vorlesungsreihe von Rudolf Bahro und Gästen

 

Planung für das
Wintersemester 1997/98:
Rudolf Bahro
EINE ERDE -EINE RELIGION?
Kann die Menschheit solidarisch auf die ökologische Krise antworten?
Diese Vorlesungen konnten nicht mehr gehalten werden

 

  • 20.10.97
    Ursprungsgegenwart. Noch einmal „Reine menschliche Natur“.
    Hannah Arendt: „Mit jedem Menschen wird ein Anfang geboren.“
    Der Mensch muss die Verantwortung für das irdische Ganze annehmen, da er sie tatsächlich hat.
    Dieses Ganze ist nicht „nur für einen Gott gemacht“ – sondern wir Kalifen (Stellvertreter Gottes), müssen dies sein. Wir sind aber für die Wahrnehmung unserer Verantwortung darauf angewiesen, Gesellschaft – gegen die Entfremdung – auch subjektiv zu stiften. Da wir keine persönliche Beziehung zu allen anderen haben können, ist hier Objektivierung, also Institutionalisierung erforderlich – Institutionalisierung von Gerechtigkeit nach der Goldenen Regel.
    Das Imperium des Weißen Mannes verlassen,
    dessen Bewusstseins- und Gesellschaftsverfassung die Ursache der ökologischen Krise ist.
    Es gibt keine Solidarität ohne („radiale“) Richtung aufs Gemeinsame der Menschenwelt, das nur als über allem Ethnisch-Kulturellen beheimatet realisierbar ist.  
  • 03.11.97
    Religion und Kultur – an der Quelle eins, auf den Wegen verschieden.
    Jede Kultur bereits ist begrenzt – der Kontakt mit dem Numinosen wird zwecks Stabilisierung der Gruppenexistenz spezieller fixiert.
    Angesichts der Ethnizität selbst der sogenannten Weltreligionen – kann die Menschheit Weltsicht gewinnen, sich auf System von Grund- und Letztwerten einigen, ohne ihre kulturelle Vielfalt zu verlieren?
    Durch Toleranz, nicht durch übernahme. Das Gemeinsame aller Religionen/Kulturen wahrhaben, ohne es zu fixieren. 
  • 17.11.97
    Können Ökonomie und Technik die Menschheit kulturell und spirituell vereinheitlichen? Ist da ein übersprung denkbar vom homo oeconomicus und homo faber zum homo religiosus? Franz Werfels „Stern der Ungeborenen“. 
  • 01.12.97
    Woran scheitert bisher die Integration?
    Wie ist es zu der entfremdeten, isolierenden, nichtintegrativen Herausdifferenzierung der Bereiche gekommen, mit sinkender spiritueller Frequenz bis hinunter zu Ökonomismus und Technokratie?
    Schwieriger als die Gliederung ist das adäquate Kräfteverhältnis der Ebenen durchsetzbar. Dies vor allem ging verloren bei den verschiedenen Differenzierungen alias modernen Emanzipationen. Der Machtschwerpunkt sank ab zuerst ins Politische, von dort ins Ökonomische, jetzt ins Technologische.
    Jetzt stehen der Einheit massierte Materialisierungen entgegen: Geld, Bürokratie, Kilowatt, Kilogramm, die er aus seinen – dadurch vom Kontakt mit dem Ganzen entwohnten – Seelenkräften geschaffen hat.  
  • 15.12.97
    Die anthropologische Basis nach der altchinesischen Kosmologie 
  • 05.01.97
    Die anthropologische Basis nach der altindischen Kosmologie  
  • 19. 01.97
    „The Green Buddha“  
  • 02.02.97
    Die planetarische Rechtsordnung:

    • Ein Menschheitsparlament der Werte
      (besser: ein Haus des Kontakts mit der Wirklichkeit, um Ethos – gelebten Grund- und Letztwerten – ein ontologisches Fundament geben zu können.)
      Ein Rat der Weisen, das Oberhaus der Menschheit
    • Ein Haus der Kulturen der Welt
      (der „Volksgeister“ – Zugang zur integralen Bewußtseinsverfassung für alle unter den verschiedenen kulturellen Bedingungen). UNESCO-Funktion
    • Ein Weltparlament für Versöhnung und Gerechtigkeit
      („Teilen“, Gleichheit der Entfaltungschancen, Friedenssicherung.) UNO-Funktion
    • Ein Parlament für den Haushalt des Erdkreises.
      (Ökologische Ökonomie – Subsistenz im Stoffwechsel mit der Natur.)
      FAO-Funktion, Kompetenz erweitert auf alle Ressourcen, entlang eines neophysiokratischen Tableau ecologique-economique
    • Ein Parlament für die naturgemäße Einordnung von Wissenschaft und Technik: Technikfolgenabschätzung
      (bei Kreisanordnung der Funktionen im unmittelbaren Kontakt mit dem Oberhaus, so dass die Herrschaft der Technik endet).

 

Unterstütze SEIN

Vielen Dank an alle, die den Journalismus des SEIN bisher unterstützt haben.
Die Unterstützung unserer Leser trägt dazu bei, dass wir unsere redaktionelle Unabhängigkeit behalten und unsere eigene Meinung weiter äußern können. Wir sind sicher, dass unsere redaktionelle Arbeit und unsere Themenvielfalt und Tiefe den gesellschaftlichen Wandel beflügeln. Wir brauchen Deine Unterstützung, um weiterhin guten, kreativen "Lösungs-Journalismus" zu liefern und unsere Offenheit zu wahren. Jeder Leserbeitrag, ob groß oder klein, ist wertvoll. Wenn Du unsere Arbeit wertschätzt, unterstütze SEIN noch heute - es dauert nur wenige Minuten. Vielen Dank.
SEIN unterstützen





Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*