Wie der Lissaboner Vertrag die EU-Nationen entmachtet

Die EU ist umstritten, viele Menschen sehen den immer größeren Einfluss der EU auf die Politik in EU-Nationen kritisch. Wie der Fall des Monsanto-Genmais gezeigt hat, kann es tatsächlich zu Schwierigkeiten kommen, wenn der Wille von einzelnen Ländern den Beschlüssen der EU entgegensteht.

Verschwörungstheoretiker glauben gar, die EU solle nach und nach die einzelnen Länder ganz aushebeln und eine europaweite Regierung installieren, die sich leichter von Lobbyisten steuern lässt und die Macht noch weiter vom Volk entfernt. Doch nicht nur Verschwörungstheoretiker glauben an eine langsame Machtübernahme durch die EU.

Professor Dr. Dietrich Murswiek, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg kommt nach einer Analyse des „Vetrags von Lissabon“ zu folgendem Ergebnis:

„Der Vertrag von Lissabon hat einen bisher nicht bemerkten Konstruktionsfehler, der für das verfassungsrechtliche Verhältnis von Mitgliedstaaten und Europäischer Union geradezu revolutionäre Bedeutung hat: Er macht den EU-Vertrag zur europäischen Oberverfassung, stuft die Verfassungen der Mitgliedstaaten zu „Landesverfassungen“ herunter und gibt dem EU-Gerichtshof die Kompetenz, in innerstaatlichen Verfassungsfragen die nationalen Verfassungsgerichte zu korrigieren.

Dies ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Analyse des Vertrages von Lissabon, die der Freiburger Staatsrechtler Professor Dr. Dietrich Murswiek vorgenommen hat und die demnächst in der Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) publiziert wird. Eine Zusammenfassung seiner Analyse wurde, am 17. April 2009, in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.

Murswiek weist darauf hin, dass die Vertragsstaaten diese Wirkung des Vertrages von Lissabon vermutlich nicht beabsichtigt haben; Es handele sich um eine „Nebenwirkung“ dieses hochkomplizierten Vertragswerks, die man wohl nicht bedacht habe. Die Auflösung der Säulenstruktur der Europäischen Union und die Erstreckung der Gerichtsbarkeit des EU-Gerichtshofs auf die meisten Gebiete, auf denen er bisher nicht zuständig war, führen laut Murswiek dazu, dass der Gerichtshof sich unter Berufung auf die Grundwerte der EU künftig in innerstaatliche Angelegenheiten der Mitgliedstaaten einmischen und beispielsweise dem Bundesverfassungsgericht vorschreiben könne, unter welchen Voraussetzungen eine politische Partei verboten werden kann oder ob die Menschenwürde absolut geschützt ist oder mit anderen Werten abgewogen werden muss. Diese weit reichenden Folgen des Vertrages, die die Freiheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten über ihre eigenen Verfassungen und damit ihre Souveränität in ihrem Kern berühren, können noch verhindert werden, wenn die Bundesregierung vor Ratifizierung des Vertrages einen entsprechenden völkerrechtlichen Vorbehalt erklärt oder mit den anderen Vertragsstaaten gemeinsam ein Protokoll beschließt, durch welches ausdrücklich ausgeschlossen wird, dass der Vertrag diese Wirkungen hat.“ (Pressemitteilung der Universität)

 

Sein Hinweis, dass „die Vertragsstaaten diese Wirkung des Vertrages von Lissabon vermutlich nicht beabsichtigt haben“ heißt bestenfalls, dass unser Parlament und unsere Regierung nicht wussten, was sie da unterschrieben. Schlimmstenfalls war genau dies ein Staatsstreich mit Vorsatz.

In einem Artikel in der süddeutschen, der untertitelt ist mit „60 Jahre Bundesrepublik: Die deutsche Verfassung im letzten Jahr ihres Bestehens – schuld ist der EU-Vertrag von Lissabon“, führt Murswiek weiter aus:

„Vor einem Jahr gaben die Bundestagsabgeordneten dem Vertrag von Lissabon ihre Zustimmung, aber die Tragweite ihrer Entscheidung haben sie gar nicht sehen können. Über eine Wirkung des Vertrags, die geradezu revolutionäre Bedeutung hat, waren sie von der Bundesregierung nicht informiert worden. Vermutlich ist es ihr selbst nicht aufgefallen, was der von ihr ausgehandelte Vertrag verfassungsrechtlich bewirkt: Er macht den EU-Vertrag zur europäischen Oberverfassung und den Europäischen Gerichtshof zum Oberverfassungsgericht für alle EU-Staaten. Und er beraubt das Bundesverfassungsgericht seiner Kompetenz, über Fragen des deutschen Verfassungsrechts letztverbindlich zu entscheiden. Diese Wirkungen des Vertrags von Lissabon resultieren daraus, dass er die bisherige Struktur der EU auflöst.“

 

Abstimmen über ein unbekanntes Gesetz

Tatsächlich lag den Mitgliedern des Bundestages der komplizierte 479-Seiten-Vertrag erst neun Tage vor der Abstimmung vor, weshalb einige Abgeordnete die Abstimmung auch verweigerten.

Der dänische EU-Abgeordnete Jens-Peter Bonde hatte bereits im März 2008 auf einer Veranstaltung in Irland im März vor laufender Kamera die Hintergründe erläutert:

„Der Vertragstext den die Staats- und Regierungschefs unterzeichnet haben wurde von selbigen überhaupt nicht gelesen. Warum wurde er nicht gelesen? Weil er gar nicht lesbar ist!

Dies ist kein Vertrag, sondern 300 Verweise, die sich auf 3.000 Regelungen in verschiedenen anderen Verträgen beziehen.

Sie können nur jeden Verweis einzeln lesen, um zu verstehen, auf welche Vertragsregelung er sich bezieht. Dazu müssen Sie den Verweis in die dazugehörige Passage des betreffenden Vertrages einfügen, damit sich Ihnen der Zusammenhang und somit die Bedeutung überhaupt erschließt.

Die Mitglieder des Europäischen Rates haben erklärt, dass Sie den EU-Abgeordneten die Lesearbeit bereits abgenommen hätten. Der Europäische Rat hat die Anweisung erteilt, dass keine Institution in der Europäischen Union die Erlaubnis erhält, eine konsolidierte und lesbare Version des EU-Reformvertrags zu drucken oder zu publizieren, bevor nicht alle 27 Mitgliedsstaaten diesem Vertragswerk zugestimmt haben. Das ist eine Entscheidung!

Das Europaparlament hat im Ausschuss für Verfassungsangelegenheiten einstimmig gefordert, dass eine konsolidierte und leicht lesbare Fassung des Vertragswerkes herausgegeben wird, die von jeder BürgerIn verstanden werden kann.

Wir werden eine solche Fassung nicht bekommen, da höhere Ebenen beschlossen haben, dass wir sie nicht haben dürfen. Es ist die Entscheidung einiger Staats- und Regierungschefs, die nicht möchten, dass dieser Vertragstext gelesen werden kann – die Anordnung lautet „unterschreiben!“

Am 24.April des Jahres 2008, gab es in diesem Zusammenhang ein Novum in der deutschen Rechtsgeschichte: den Antrag einer Parlamentsfraktion auf Zugänglichkeit eines Gesetzentwurfs. Die Bundestagsfraktion „Die Linke“ forderte in Drucksache 16/7446, den „EU-Reformvertrag“ in allen europäischen Amtssprachen anzufertigen und den Bürgern in gedruckter sowie in elektronischer Form zugänglich zu machen. Die Anfrage wurde abgelehnt und die Abgeordneten mussten über ein Gesetz abstimmen, dass sie nie gelesen hatten.

Alle deutschen Parteien, außer den Linken, unterstützen den Lissabonner Vertrag im EU-Parlament.

 

 

 

Quellen

Text:
Uni Freiburg, Süddeutsche Zeitung, abgeordnetenwatch.de, Radio Utopie
Bild:
Xavier Häpe / Wikimedia

3 Responses

  1. volmer

    „Murswiek weist darauf hin, dass die Vertragsstaaten diese Wirkung des Vertrages von Lissabon vermutlich nicht beabsichtigt haben;“

    Also bitte! Für wie dumm werden eigentlich die Juristen, die Planer dieses Werkes angesehen? Natürlich war dies VOLLKOMMEN beabsichtigt. Wenn irgendetwas beabsichtig war, dann genau dies! Und auch uns traut man nicht viel Sachverstand zu, indem man quasi auf die Unfähigkeit dieser Leute hinweist. Soll das Motto lauten: Irren ist menschlich? Und soll damit Sympathie erweckt werden?
    Bei den Abgeordneten sieht die Sache wieder anders aus. Da hört man ja aus Brüssel die verschiedensten Dinge betreffend den Vergnügungsmöglichkeiten. Dass einem da der Brummschädel mal in die Quere kommen kann, ist begreiflich. Und der Trick mit zu spät zugestellten Vertragswerken oder mit unvollständigen Unterlagen und mit Zeitdruck ist mittlerweile mangels Originalität nur noch als plump zu bezeichnen. Aber das Spielchen läuft nach wie vor gut. Auch und vor allem bei uns in der Schweiz und da auch immer wieder im Zusammenhang mit Fragen betreffend des Verhältnisses Schweiz-EU. Interessant!
    Volmer

    Antworten
  2. Mo

    Jeder kann mit wenigen Klicks mithelfen und die Petition zeichnen:
    Mehr Infos / Aktionsblog zu ‚Stop the Lisbon Treaty – support Vaclav Klaus‘ unter http://bit.ly/cMpIW #EU #Lissabonvertrag #Reformvertrag

    Antworten
  3. Mo

    Hier kann jeder wenigen Klicks mit seiner Stimme mithelfen:
    Mehr Infos / Aktionsblog zu ‚Stop the Lisbon Treaty – support Vaclav Klaus‘ unter http://bit.ly/cMpIW #EU #Lissabonvertrag #Reformvertrag

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