Abb: © tarasov_vl - Fotolia.com Der Lebens-Erwecker – Mit Lycopodium das Eigene wagen 15. September 2017 Homöopathie Homöopathische Antworten am Puls der Zeit von Werner Baumeister Einst ein mächtiger, bis zu 40 Meter hoher Baum mit riesigem Stamm, hat sich Lycopodium zurückentwickelt zu einem winzigen, farnähnlichen, vital schwachen Pflänzchen, das heute schüchtern auf Waldböden entlangkriecht und auch Schlangenwurz genannt wird. Früher ganz groß, heute ganz klein, verlangsamt und vitalreduziert. Diese evolutionäre Regression von einer unglaublich kraftvollen Vitalität zu größter vegetativer Schwäche mit Kleinmut und Minderwertigkeitsgefühlen findet sich auch in unserer Biographie, wenn wir Lycopodium brauchen. So kann mehrfaches Gebrochenwerden oder der Verlust des rechtmäßigen Platzes – ein anderer bekommt alle Aufmerksamkeit und macht einem den eigenen Raum, das eigene Revier streitig – eine Regression der Persönlichkeit einleiten, die der des Lycopodiumbaumes über die Zeit ähnelt und es damit für uns zu einem Heilmittel macht. Der Andere Mich selbst konfrontiert Lycopodium zunächst massiv mit Depressionen und abgrundtiefer Verzweiflung und hilft mir dann – das ist das Beeindruckende an diesem homöopathischen Mittel – noch einmal ursächlich zu durchfühlen, wovor ich ein Leben lang weggelaufen bin. Über einen Traum führt es mich an das heran, was ich schon so lange krampfhaft versuche zu kontrollieren. Der Traum: Kurz vor Beginn eines sehr gut besuchten Homöopathie-Workshops, den ich veranstalte, ist auf einmal ein anderer Therapeut in meinem Raum, in meinem Revier. Er hat den Fokus der Aufmerksamkeit total auf sich gezogen und nutzt meinen Raum, um für seine Veranstaltung Werbung zu machen. Ich fühle mich gelähmt und total gehemmt, weil ich denke, dass es uncool vor den Seminarteilnehmern ist, ihn jetzt einfach rauszuwerfen. Mein Ärger staut und staut sich an, aber ich bin nicht in der Lage, seine „Werbeveranstaltung“ abzubrechen. Irgendwann entscheide ich mich doch, ihm eine Grenze zu setzen. Ich gehe zu ihm, aber da ist er auch schon fertig mit seinem „Vortrag“. Ich erwische ihn noch an der Tür und sage: „Wenn du jetzt nicht sowieso gegangen wärst, dann hätte ich dich rausgeschmissen!“ Er guckt mich nur fies lächelnd an und sagt: „Ich bin noch längst nicht fertig (mit dir)!“. Was ich in dem Traum noch einmal sehr stark gespiegelt bekommen habe, ist das Konkurrenzthema mit meinem jüngeren Bruder. Er wird geboren, kommt in meinen Raum und zieht durch jahrelange lebensbedrohende Krankheit mit späterer Todesfolge alle Aufmerksamkeit meiner Eltern auf sich – und ich werde praktisch überhaupt nicht mehr beachtet. Durch den Traum ermöglicht mir Lycopodium, diesen ursächlichen Schmerz, der die Ursache für meine tiefe Resignation – vor allem auf der Beziehungsebene – ist, noch einmal durchzuspüren. Als erwachsener Mann musste ich mich nämlich mit diesem Thema in Form von Angst vor männlichen Rivalen ständig auseinandersetzen. Irgendwann hatte ich dann einfach keine Kraft mehr, dagegen anzukämpfen, dass überall die Konkurrenz (Bruder) lauern könnte und ich in jeder Sekunde meinen Platz an der Seite einer Frau gefährdet sah. Wenn andere mir sagten, dass meine Wahrnehmung überhaupt nicht stimmen würde, erreichte mich das gar nicht. Über Jahrzehnte hinweg habe ich mir daher einen engen, lebens-reduzierten Raum geschaffen, in dem ich – zumindest scheinbar – die absolute Kontrolle habe, sowohl in Beziehungen als auch im Beruf. Nur ja nicht mehr rausgehen, mich nicht mehr exponieren als nötig und damit dem Risiko aussetzen, dass mir jemand wieder die gesamte Aufmerksamkeit des Du stiehlt. Ende Legende Lycopodium holt sehr unangenehme Themen an die Oberfläche. So fies will man weder sich selbst sehen noch von anderen gesehen werden! Es zeigt uns unsere ständig verdrängte Wahrheit, berührt die Stellen, an denen wir Minderwertigkeitsgefühle und Kleinmut überspielen mit Pseudostärke, einem aufgeblasenen Ego (Lycopodium ist das Hauptmittel für Blähungen) und einer selbstbewussten Maske souveränen Funktionierens. Der Preis, den wir dafür zahlen, ist das permanente Risiko, entlarvt zu werden – die Ursache von jeder Menge Stress! Analog zum Thema Entlarvung lassen sich mit Hilfe des Sporenpulvers von Lycopdium in der Forensik Fingerabdrücke sichtbar machen! Auch unsere Angst vor Nähe findet sich in der Signatur dieser Arznei. So mühsam es ist, aus der harten Sporenkapsel des Lycopodiums den weichen Inhalt (Keimzellen) freizusetzen, so hart und rational selbstbeherrscht verschließen wir unsere weiche emotionale Seite. Zerrieben als Pulver dient Lycopodium als pharmazeutisches Trennmittel (damit Pillen nicht zusammenkleben) – und zur Kondombeschichtung. „Immer etwas Schützendes dazwischen und bloß nicht zuviel Nähe“ ist auch unser Lebensmotto, wenn wir Lycopodium brauchen. Die Gebrochenen Homöopathisch thematisiert Lycopodium das Gebrochene in unserer Biographie, markiert den Ort, wo wir bis heute in der Kindheit hängengeblieben sind. Folgende Reflexion eines Klienten nach Lycopodiumgabe verdeutlicht das: „Wir kommen in diese Welt als Lichtsamen, als reine Liebe. Dann erleben wir während der Schwangerschaft und Geburt Schmerz und Angst – so unfassbar stark, dass sie uns zu überwältigen drohen. Wir verkrampfen uns dagegen und trennen uns damit vom dauernden Strom der Liebe ab, in dem wir nur durch kontinuierlichen fühlenden Kontakt bleiben können. Ich selbst wehrte mich und wollte nicht geboren werden. Ich kam tot auf die Welt – und wurde von den Ärzten reanimiert. Das Leben war stärker als ich und hatte meinen Willen gebrochen. Als Nächstes brach mein Vater immer wieder – und teils gewaltsam – den Rest meines Willens, meine Mutter machte das mehr auf subtile Weise (ich wundere mich seit Jahren, warum ich immer, wenn ich zu meiner Mutter fahren will, Widerstand fühle, obwohl ich sie durchaus mag. Sie ist einfach Teil des Unterdrückungssystems, von dem ich mich befreien will). Und so ging es weiter. Als Kind willst du spielen – und landest in der Schule, wo man dir vorschreibt, was du zu tun hast (früher gab es sogar Noten für Betragen). Du musst Klassenarbeiten schreiben und wirst in deinen Anstrengungen, den Vorgaben zu entsprechen, bewertet. Wenn du die Vorgaben nicht erfüllst, bekommst du eine Sechs und wirst als Versager ausgemustert und abgeschoben, wenn das zu oft und in zu vielen Fächern passiert. Immer weiter wirst du gebrochen: in der Familie, in der Ausbildung, im Studium, an der Arbeit – überall die gleichen Strukturen. Irgendwann endest du in einem Job, den du vielleicht sogar hasst, denn die Wut darüber, dass du gebrochen bist, ist ja in dir eingeschlossen. Dein Aufbegehren hat man dir auch nicht gelassen, sondern es vielleicht sogar brutal niedergeknüppelt. Aber meist hast du Licht, Liebe, Freude und Freiheit schon total vergessen und reihst dich apathisch bis resigniert ein in die Armee der Gebrochenen, die sich noch irgendwie vormachen, dass das Leben doch erträglich ist: Der neue Flachbildschirm, einmal im Jahr in den Urlaub und eine Dauerkarte bei Borussia Dortmund sind die Lichtpunkte, die das Leben wenigstens äußerlich erträglich machen. Gratuliere: Du hast das Ziel aller Erziehungs- und Ausbildungsmaßnahmen erreicht. Du bist domestiziert. Doch unter der sozialen Anpassungsschicht liegt eine hochexplosive Mischung von Wut, Hass, Angst und Schmerz, die immer wieder – da weiter ungefühlt und unterdrückt – in mehr oder weniger brutaler Gewalt bis hin zu Kriegen ihren Ausdruck findet.“ Frustrierte Eigenmacht Lycopodium ist das homöopathische Lebermittel Nr. 1. Aus der Sicht der Alchemie drückte sich in Leberproblemen der mangelnde Glaube an das eigene Leben und damit verbunden ein Mangel an Lebensmut bis hin zu Lebensüberdruss und Lebensmüdigkeit aus. In der Leber sitzt der Lebenswille, der Wille zur Tat und der Drang zum Selbstausdruck, das Innerste nach außen zu bringen. In der Rubrik „Feigheit“ hat Lycopodium demgemäß die höchste Wertigkeit, und gemeint ist hier mehr oder weniger unser aller Feigheit, wirklich unser eigenes Leben zu wagen. Die Leber produziert Galle – und Gallensteine sind nichts anderes als die innere Unzufriedenheit (Wut, Hass), die in uns rumort über die „Ersatzveranstaltung“, den Abklatsch von uns selbst, den wir hier leben. Statt unser Recht auf das Eigene zu erkennen, rechtfertigen wir uns ein Leben lang für unser Dasein (Leitsymptom: fürchtet Verantwortung; Gefühl des Kleinseins). Wir versäuern (Leitsymptom: harnsaure Diathese (Neigung zur Gicht); merke: Schmerz und Entzündung ohne Versäuerung gibt es nicht!). Die frustierte Eigenmacht mündet schließlich in selbstzerstörerische Depression oder sie gebiert Gewalt! Unterdrückte Leberkraft findet sich also überall da, wo jemand sich nicht selbst verwirklichen kann. Lycopodium ist damit nicht nur ein Leber-Erwecker, sondern auch ein Lebens-Erwecker. Ein mächtiger Vitalimpuls, wie Hahnemann es bereits formulierte, denn er wusste, was für eine unglaubliche Arznei Lycopodium ist. Homöopathischer Themenbereich Lycopodium: Früher ein großer Baum, heute ein ganz kleines Farngewächs, verlangsamt und vitalreduziert (Leitsymptom: gestörter Leberstoffwechsel), dafür aber zäh, ausdauernd mit unglaublicher Überlebensfähigkeit über Jahrmillionen. Lycopodium braucht zum Überleben die Symbiose mit einem Pilz (LS: Pilbefall), ohne den es weder Chlorophyll bilden, noch sich eigengeschlechtlich fortpflanzen kann. Gemeinsames Arzneithema von Lycopodium und Cryptococcus neoformans (Hefepilz) ist die Angst vor Enthüllung und Bloßstellung unseres wahren Ichs und genau damit als Außenseiter bloßgestellt und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden! Dafür sind wir sogar bereit, unseren Wesenskern und damit die Quelle unserer Lebenskraft zu opfern! Beide Arzneien führen uns zu den biographischen Wurzeln dieser Ur-Angst, ausgeschlossen zu werden. Schlagworte (mit Links zu weiteren Artikeln von Werner Baumeister): Homöopathie – Regression – Depression – Verzweiflung – Resignation – Maske – Selbstausdruck – Eigenmacht – Übersäuerung – Leber – Lebenskraft Werner Baumeister ist Arzt und bietet individuelle homöopathische Begleitung an. 30 Jahre Erfahrung in eigener Praxis in Berlin. Einzeltermine nach Vereinbarung, Behandlungstermine zum Thema des Artikels jederzeit möglich. Information zu aktuellen Workshops immer auf der Seite „Homöopathie am Puls der Zeit“ (mit Themenregister aller Artikel) sowie unter Tel.: 0172 – 391 25 85 . Oder Newsletter mit aktuellen Terminen abonnieren unter E-mail w.baumeister{at}gmx.net . Die homöopathischen Arzneibilder von Werner Baumeister verstehen sich auch als homöopathischer Spiegel aktuellen Zeitgeschehens. Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.