Die Begegnung zwischen dem abendländisch-christlichen Kulturkreis und dem Buddhismus. Ein Dialog der Religionen über mögliche innere Befreiungswege

von Regina Laube

Das Kreuz als Symbol des Christentums scheint mehr oder weniger unbeliebt zu sein, auch in unserem abendländisch-christlichen Kulturkreis. Eine gleichmütig lächelnde, wohlgenährte Buddha-Statue als Sinnbild für Gelassenheit ist vergleichsweise deutlich weniger befremdlich als ein Kruzifix.

„Stirb bevor Du stirbst“, sagt Angelus Silesius, ein christlicher Mystiker des 17. Jahrhunderts. Und auch im Buddhismus spricht man vom „Tod auf dem Meditationskissen“. Schmerzliche innere Prozesse, dunkle Täler und Abgründe gehören offensichtlich zu fast jedem inneren Befreiungsweg. Bevor sich dann auf dem früher oder später erreichten Berggipfel ein befreiendes Lachen ereignet.

Der kosmische Witz

Was es mit diesem Erleuchtungs-Lachen auf sich hat, erklärt der buddhistische Achtsamkeitslehrer Tich Nhat Hanh folgendermaßen: „Es ist nicht das Lachen von jemandem, der plötzlich ein großes Vermögen gewonnen hat. Auch nicht das Lachen von jemandem, der einen Sieg errungen hat. Es ist vielmehr das Lachen eines Menschen, der, nachdem er schmerzvoll lange nach etwas gesucht hat, es eines Morgens unerwartet in der Jackentasche findet.“

Darüber hinaus ist das Lachen des Buddha vermutlich auch ein Ausdruck der Erkenntnis, dass letztendlich nur Illusionen sterben – das Wirkliche stirbt nicht. Insofern liegen Erleuchtungs-Lachen und Auferstehungsfreude vielleicht näher beieinander, als gemeinhin vermutet wird. Waren die spirituellen Krisen und der erwähnte Tod auf dem Kissen im Grunde überflüssig, wo das Gesuchte ja immer schon in der Jackentasche zu finden gewesen wäre?

Die Leidhaftigkeit

Zum Dialog der Religionen gehört auch die Beschäftigung mit dem anderen Religionen. Im Buddhismus wird sowohl die Ursache von Leid als auch dessen Überwindung sehr eingehend erforscht. Die buddhistische Philosophie unterscheidet deutlich zwischen nötigem und unnötigem Leid, um es mal stark vereinfacht auszudrücken. Das, was uns das Leben an Verlusten, Vergänglichkeit, Schmerzen, Unberechenbarkeit, Verletzlichkeit und Unsicherheit zumutet, steht auf dem einen Blatt. Wie wir mit diesen Zumutungen umgehen, auf einem anderen. Der erste reflexhafte Gedanke „das und das hätte nicht passieren dürfen“, sowie jeglicher Widerstand gegen das was ist, verfestigt das persönlich empfundene Leiden. Die Anerkennung der banalen Tatsache, dass das Leben oftmals nicht so ist, wie wir es gerne hätten, kann unser individuelles Leiden sehr einfach, aber wirkungsvoll verringern.

Es scheint aber ein ur-menschlicher Reflex zu sein, angenehme Erfahrungen festhalten zu wollen und unangenehme von uns fern zu halten. Zusammen mit der Illusion, eine vom großen Ganzen getrennte Persönlichkeit zu sein, entstehen aus diesem Muster heraus Machtstreben oder abhängige Verstrickungen. Gier und Suchtverhalten. Ausbeutung von Schwächeren. Und Raubbau an der Natur (um nur einige Auswirkungen zu nennen). Bisher ausgeblendete unangenehme Aspekte der Realität an sich heran zu lassen, die verheerenden Auswirkungen des menschengemachten globalen Unrechts, mitsamt dem eigenen Anteil daran anzuerkennen, das wäre ein erster Schritt. Ein erster Schritt, die Muster von Haben-wollen des Angenehmen und Weg-haben-wollen des Unangenehmen zu durchbrechen und zum Dialog der Religionen zurückzukehren.

Mit offenem Herzen leiden

„Nur wenn wir uns dem Unglück der Welt stellen, können wir Freiheit finden. Dies ist die grundsätzliche Vorraussetzung, wenn wir zum Erwachen gelangen wollen. Wir erwachen zu einer schmerzlichen Empfindung der Zärtlichkeit, die über unsere eigene Verwundung hinausreicht. Unser persönliches Leiden verringert sich, doch unser Gewahrsein des Kummers und Schmerzes der Welt wird immer stärker. Unser Herz ist offen und wir fühlen uns allen Dingen gleichermaßen verbunden… . Wenn wir Leiden sehen, werden wir davon berührt. Wenn wir uns von der leidenden Person verabschieden, die wir selbst zu sein glauben, tragen wir unseren Segen überall hin.“  (Jack Kornfield, Psychologe und buddhistischer Lehrer)

Ähnliche Aussagen sind bei Richard Rohr (Franziskanerpater und Gründer des „Zentrums für Aktion und Kontemplation“ in Albuquerke, New Mexico) zu finden. Er spricht ebenso wie Jack Kornfield davon, mit weitem Herzen zu leiden. Und gerade durch dieses bewusste Leid-Tragen sowohl Ganzwerdung zu erfahren als auch dem Ganzen zu dienen. Es geht um „das Akzeptieren der ganzen Realität“ und um den Dialog der Religionen. Und um das Sterben „vieler kleiner Tode, die uns lehren, unser künstlich erschaffenes Selbst loszulassen und in der einfachen Freude des Eins-Seins mit Gott zu leben. …Das Evangelium verleiht unserem Leid sowohl eine persönliche als auch eine kosmische Bedeutung. Indem es unseren Schmerz mit dem Schmerz anderer vernetzt und uns letztendlich sogar mit dem Schmerz Gottes vereint“. (Richard Rohr)

So oder so
scheint Sonne
auf das Wohl
wie auf das Übel.
Nicht wohl oder übel
scheint Sonne auf alles,
in alles rein
und aus allem raus
und durch und durch,
durchs Nichts wie durch
Alles in Allem in Allem.

Leidender Christus und lachender Buddha – ein Dialog der Religionen

Es geht also nicht um eine lebensfeindliche Art von Leidenskult. Und auch nicht darum, Leid und Schmerz zu suchen. Auf unserem inneren Weg der Ganzwerdung und dem Dialog der Religionen entscheidet das Leben selbst über Gipfelerfahrungen oder tiefe Täler, sonnige Wegstrecken und dunkle Nächte der Seele. Es gilt „das Licht und das Dunkel mit einem Herzen zu betrachten, das alles umarmt, weil es alles ist“ (Jack Kornfield). Dunkelheit hat in Wirklichkeit keine eigene Substanz, sondern ist nur die Abwesenheit von Licht.

Der Schatten
ist nicht länger Schatten
wenn er sich in die Sonne traut,
statt dass er auf Matten und Gatten
und auf das Dunkel drauf haut.

„Ich bin lieber ganz als gut“ sagt C.G. Jung, wobei auch diese Aussage sich relativieren kann, wenn man das grundlegende Gutsein unter allem „Unguten“ erkennt. Nicht die Dinge, die sich im Keller unseres Unterbewusstseins befinden sind das eigentliche Problem, sondern einzig und allein die Tatsache, dass sie dort eingesperrt sind. Glücklicherweise hat es die Natur so eingerichtet, dass überfordernde traumatische Belastungen zunächt einmal verdrängt oder abgespalten werden können, bis genügend Stabilität für deren Integration vorhanden ist.

Dialog der Religionen – Die dunkle Nacht der Seele

In seinem Buch „Der Weg zum Christusbewusstsein“ beschreibt der Autor Jim Marion seine Erfahrungen mit der sogenannten dunklen Nacht der Seele. Dieser Begriff wurde zunächst einmal im 16. Jahrhundert von dem spanischen Mystiker Johannes vom Kreuz geprägt, inzwischen wird er aber auch im Dialog der Religionen für spirituelle Krisen auf den verschiedensten Übungswegen verwendet. Dabei werden tiefgreifende Transformationsprozesse beschrieben, in denen es auf der transpersonalen Ebene um die Integration des kollektiven Unbewussten geht.

„Das emotionale Ungleichgewicht und andere Leiden der dunklen Nacht gehen zu einem großen Teil auf Bereiche des Menschen zurück, die jenseits der Begrenzungen seiner individuellen Persönlichkeit liegen. Wie Jesus am Kreuz darf auch der Christ in der dunklen Nacht der Seele an der Erlösungsarbeit Christi teilhaben (Kolosser 1,24). Das soll heißen, dass wir während unserer Reise durch die transpersonalen Ebenen des Bewusstseins ein gewisses Maß an Negativität der Welt in unserer Psyche aufnehmen, und wir transmutieren diese Negativität wieder zurück in den Grundstoff des Universums – Bewusstsein und Liebe.“ (Jim Marion)

Prärational, rational, transrational

Neben diesen persönlichen Erfahrungen thematisiert Jim Marion auch die jeweils unterschiedlichen Interpretationen des Kreuzestodes Jesu auf den von Ken Wilber und Jean Gebser (Spiral Dynamics) beschriebenen verschiedenen Bewusstseinsstufen. Im magischen Verständnis war die Grundeinstellung der Menschen gegenüber ihren Göttern vor allem von großer Angst geprägt. Um die Götter zu besänftigen, waren Menschenopfer weit verbreitet. „Wenn das Kreuz Jesu mit dem magischen Bewusstsein verstanden wird, dann ist Jesus das eine Opfer, das einen willkürlichen und furchtbaren Gott in unser aller Namen besänftigen soll.“

Auf der darauf folgenden mythischen Bewusstseinsstufe glauben wir, „Jesus als Opferlamm habe das Gesetz der Gerechtigkeit seines strengen und in kleinlicher Weise rechtsbesessenen Vaters erfüllt, indem er für unsere Sünden gestorben ist. … Wie die Eltern von Kindern im vorjugendlichen Alter trägt Jesus auch hier noch immer die Hauptlast der Verantwortung für unsere Erlösung.“ (Jim Marion)

Während einige Christen das Kreuz auch heute noch vor dem Hintergrund eines mythischen Christusverständnisses interpretieren, scheint die überwiegende Mehrheit diese Botschaft inzwischen mehr oder weniger zu hinterfragen. In Folge dessen wird nun eine stark rationalisierte Theologie vertreten. Was zunächst einmal auch einen wichtigen Zwischenschritt darstellt, um das prärationale magische oder mythische Denken hinter sich zu lassen, bevor sich früher oder später die transrationale Bewusstseinsebene erschließen kann.

Marion Küstenmacher vertritt in ihrem Buch „Integrales Christentum“ die These, dass Jesus auch ohne den Kreuzestod seine Bestimmung erfüllt hätte. Nämlich die Bestimmung, bedingungslose göttliche Liebe und Einssein mit Gott, der Schöpfung, zu verkörpern. Auch diese sehr zeitgemäße Überlegung scheint mir durchaus bedenkenswert, ebenso wie eine Neu-Interpretation des stellvertretenden Leidens Jesu. So wie wir sie weiter oben bei Jim Marion finden. Aus psychologischer Sicht würde man es vermutlich als Läuterung des kollektiven Unbewussten bezeichnen, im Kontext einer buddhistischen Philosophie als die Auflösung von negativem Welt-Karma. Auch hier wäre ein Dialog der Religionen möglich.

Der eigene Wandlungsweg – vom Leiden zum Erwachen

Letztendlich geht es meiner Meinung nach sehr viel weniger darum an etwas bestimmtes zu glauben oder nicht zu glauben, als vielmehr um den jeweils eigenen inneren Wandlungsprozess. Laut Eckhart Tolle (einem interreligiösen Weisheitslehrer, der sich übrigens auf Meister Eckhart bezieht) ist der Weg des Kreuzes bis heute immer noch gangbar. Dieser Weg bedeutet, dass sich das Schlimmste in unserem Leben in das Beste verwandeln kann. Durch die Bereitwilligkeit, das vermeintlich Unannehmbare anzunehmen, wird es zu einer Quelle der Gnade.

Das Unbewusste entsteht durch Schmerzvermeidung, die Abwehrmechanismen gegenüber dem Unbewussten ebenfalls. Auch körperlicher Schmerz verstärkt und verfestigt sich bekanntermaßen, solange er abgelehnt wird. Viele Bewusstseinslehrer unterscheiden darum sehr deutlich zwischen den Begriffen Schmerz und Leid, wobei Leid in diesem Zusammenhang als Widerstand gegen den Schmerz definiert wird. Wenn erkannt wird, dass Leiden einzig und allein aus der Ablehnung von unangenehmen Realitäten und Bewusstseinsinhalten resultiert, kann dies einen grundlegenden inneren Shift bewirken. Und viel unnötiges Leid kann sich erübrigen.

„Es ist weise, deinen Schmerz auszuhalten – was immer er ist -, bis du seine Lektion gelernt hast. Wenn du Leid bewusst (er)tragen kannst und ihm sogar vertraust, befindest du dich auf einer spirituellen Schwelle, von der aus es höchst wahrscheinlich ist, dass du zu einer tieferen Ebene von Bewusstheit durchbrechen kannst“ sagt Richard Rohr.

Der Schmerzkörper

Eckhart Tolle nennt die energetische Ladung persönlicher und kollektiver Altlasten den Schmerzkörper. Dieser Schmerz aus der Vergangenheit, der noch immer in unserem Körper- Geist-System lebendig ist, bildet ein ungeklärtes Energiefeld. Dieses ergreift von der betreffenden Person Besitz, sobald ein entsprechender Auslöser ihn triggert. Bei den meisten „Normalneurotikern“ fühlt sich dieser Persönlichkeitsanteil wie ein quengeliges inneres Kind an. Bei schwerer Traumatisierten nahezu wie ein Dämön. Auch hier gilt es zu realisieren: das gefühlt Dämonische ist nicht an den Bewusstseinsinhalten selbst festzumachen, sondern an der Tatsache der Abspaltung.

Laut Eckhart Tolle ist es wichtig, sich mit dem sog. Schmerkörper weder zu identifizieren noch ihn zu verdrängen. Hadern und Ausagieren sind ebenfalls keine Lösung. Einfach nur im Hier und Jetzt achtsam damit zu sein, bewirkt eine Verwandlung.

Das Ende der Selbsttäuschung im Dialog der Religionen

„Das Leid zu akzeptieren ist eine Reise in den Tod. Großen Schmerz zuzulassen und ihm Aufmerksamkeit zu widmen, ist wie eine bewusste Begegnung mit dem Tod. Wenn Du diesen Tod gestorben bist, wird dir klar, dass es gar keinen Tod gibt. Und dass es nichts zu fürchten gibt. Nur das Ego stirbt. Stell dir einen Sonnenstrahl vor, der vergessen hat, dass er ein untrennbarer Teil der Sonne ist. Und nun fälschlicherweise glaubt, er müsse um sein Überleben kämpfen. Wäre das Ende dieser Selbsttäuschung nicht eine unglaubliche Befreiung?“ (Eckhart Tolle)

Seperate Sonnenstrahlen
schmerzt es, seperat zu strahlen.
Sonne lacht.

Was das mit mir macht,
wenn SONNE mit mir
wie ohne mich lacht,
auch das macht die
Sonne dann LACHEN.

Regina Laube
https://www.facebook.com/groups/3002134186509345/

 

Eine Antwort

  1. Eduard
    Die innere Haltung der Transformation

    Ja, diese innere Haltung der Transformation sollte stärker herausgestellt werden, dieser mittlere Weg des sich auflösenden Schmerzes, Ertragen und Nicht-Identifikation, jenseits von Verdrängung und Verbissenheit… In diesem Zshg. steht die viel zu wenig beachtete Bibelstelle, in der Christus seine Schüler definiert:
    Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, der kann nicht mein Schüler sein. (Lk 14,27)
    Das besagt es eben, denn man tut ja nichts mit dem Kreuz außer das anzunehmen was ohnehin da ist, und die Augen sind während des Schmerzes nicht auf das Kreuz sondern auf das Ideal gerichtet…

    Antworten

Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*