Was tun, wenn man eine Vision einer besseren Welt spürt, aber sie sich nicht zu verwirklichen scheint? Wie umgehen mit diesem großen Traum, der so nah und doch so fern ist?

Aufwachen zum großen Traum

Viele Menschen sehnen sich nach einem großen Wandel, sie spüren, wie anders das Leben auf diesem Planeten aussehen könnte, wie viel größer das Potenzial der Menschheit ist. Und sobald einem der eigentliche Wahnsinn unseres kollektiven Handelns bewusst geworden ist, sobald seine selbstzerstörerische, oft lebensverachtende Natur sich offenbart hat, erkennt man vor allem noch etwas Anderes: Dass es völlig unnötig ist.

Wir könnten Armut und Hunger auf der Welt sofort beenden, wir könnten die Zerstörung des Planeten stoppen und wirklich im Einklang mit der Natur leben, wir könnten Schluss machen mit einer Arbeitswelt, die Menschen in die Verzweiflung und Depression treibt. Die Kriege, die hässlichen Städte, das schlechte Essen, die Altenheime, die verzweifelten Kinder – es ist alles unnötig. Es ist nur ein tiefes Sehen und eine bewusste Wahl, die uns davon trennen, diesen Planeten in einen Garten Eden zu verwandeln, einen Planeten, der überfließt von Kreativität, Verbundenheit und Schönheit. Einen Planeten, der erblüht.

 

Der Schatten des Traumes

Sobald man einmal wirklich gefühlt hat, was möglich wäre, ist es beinahe zum Verrücktwerden. Warum machen einfach alle weiter? Warum hören nicht alle einfach auf? Warum sehen es die meisten Menschen nicht einmal? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Sobald man diesen großen Traum einer neuen Erde gefühlt hat, spüren kann, wie nah er eigentlich ist, erscheint das Geschehen auf der Welt wie ein irrer Alptraum, die Menschen wie in Hypnose, alles wie auf den Kopf gestellt.

Wie geht man damit um? Wird man Aktivist? Missionar? Verzweifelt man daran? Beginnt man die ‚blinde Masse‘ zu verachten? Dreht man durch? Oder gelingt es, in eigenem Inneren die Verbindung zu diesem Traum aufrecht zu erhalten, zu einer Tür zu werden, durch welche der Traum zumindest tröpfchenweise in die Welt fließen kann?

 

Der Schmerz des Visionärs

Die Versuchung scheint für mache Menschen groß, den eigenen Traum der Welt überstülpen zu wollen, zu belehren, zurechtzuweisen, zu bekehren, zu verurteilen, zu denken, sie wüssten den Weg und das Ziel. Ich denke, diese Versuchung erwächst nicht nur aus einer inneren Arroganz, sie erwächst auch aus dem tiefen Schmerz, diesen Traum unerfüllt zu sehen, der sich so wahr und richtig anfühlt, und statt dessen in eine Welt sinnloser Zerstörung und Trennung zu blicken. Sie erwächst aus einem evolutionären Druck im eigenen Inneren, als würde der Status Quo der Welt wie ein Staudamm den Fluss der Evolution zurückhalten und man spürte diesen ganzen Druck des Universums wie einen Aufschrei im eigenen Inneren. Das ist der Schmerz des Visionärs, der seinen Traum halten und an ihn glauben muss, und ihn doch selbst vielleicht nie verwirklicht sehen wird.

Es gibt vielleicht nur einen Weg, damit fertig zu werden: Die Anhaftung an und die Identifikation mit dem Traum loszulassen und zu begreifen, dass man nur ein Tropfen im Fluss der Evolution ist, nur eine kleine Öffnung, durch welche der große Traum sich seinen Weg in die Welt bahnt. Zu begreifen, dass es nicht unser Traum ist, sondern ein kleines Fragment des großen Traumes der Schöpfung, das sich durch uns träumt, dass wir nichts weiter tun können, als ihn in uns und unserem Leben lebendig werden zu lassen, dieser höchsten Wahrheit loyal zu sein – und zu vertrauen.

Diese Welt ist eine Ko-Kreation von Milliarden von Seelen, die alle einen freien Willen haben. Der große Traum ist darum eine Entscheidung, die wir alle gemeinsam treffen müssen, in dem sie jeder Einzelne für sich selbst trifft, in seiner eigenen Zeit. Man sagt, eine Vision „ist die Anziehung der Zukunft auf die Gegenwart“. Je mehr Menschen, ihr Bewusstsein in diesem Traum verankern, desto lebendiger wird er in uns und der Welt werden. Desto mehr inspirieren wir uns gegenseitig, weiterzuträumen. Niemand von uns hat die Macht, diesen Traum ‚zu machen‘, er gehört niemandem von uns, er entsteht aus dem Feld, das wir alle teilen.

Sei kein Tyrann des Guten

Inspiriert wurde dieser kleine Aufsatz durch einen Facebook-Post meines Freundes und Philosophen Yasuhiko Genku Kimura. Es ist ein Auszug aus einem offenen Brief an einen jungen Visionär, der mich sehr bewegt hat.

„Egal wie visionär, leidenschaftlich, oder gut gemeint er auch sein mag: Der Wunsch, deinen Willen, dein Denken und deine Ideen den Menschen, der Gesellschaft und der Welt aufzuzwingen, trägt in sich den Samen der Tyrannei.

Du bist mit einer Vision gesegnet, die deiner Zeit weit voraus ist. Wisse, dass deine Vision weit größer ist als du, in dem und durch den, dieser innere Tyrann existiert. In der Tat ist es nicht einmal „deine“ Vision. Die Quelle, aus der diese Vision kommt, die Quelle, die dich inspiriert, diese Vision zum Ausdruck zu bringen, ist dieselbe Quelle, welche die Evolution der Menschheit und der Welt bewegt. Die zeitliche Dimension, mit der diese Quelle sich in der Entwicklung und Evolution der Welt und der Menschheit entfaltet, ist eine Ewigkeit im Vergleich zu deinem kurzen Aufenthalt in dieser Ebene der Existenz.

Die Zufriedenheit und Erfüllung im Leben des Visionärs liegt nicht in der öffentlichen Anerkennung, sondern in der inneren Freude zu erträumen und zu erschaffen und in der tiefgreifenden, ehrfürchtigen Verbindung zu der Quelle, aus der seine Visionen und Ideen entstammen. Steige deshalb auf in deinem eigenen Selbst und erreiche die innere Quelle, aus der alle Visionäre und Schöpfer ihre kreativen Visionen beziehen. Der Zweck deines Lebens ist allein die Entwicklung deiner eigenen Seele (denn wir sind alle gesegnet mit dem Potenzial, eine selbstverwirklichte Seele zu werden, in den höheren Ebenen der Existenz, jenseits der mentalen Ebene). Deine Seele entwickelt sich durch den inspirierten Akt des Voraussehens und durch die geistige Erziehung, die du dadurch aus der Quelle erhältst.

Daher sei bewusst und hüte dich vor dem inneren Tyrann und sei wachsam und aufmerksam mit dem Wunsch, die Welt nach deiner Vision zu verändern und zu formen. Sei die Einladung für die neue Welt, aus der neuen Welt, indem du authentisch und selbstbestimmt dein Leben in einer Art und Weise lebst, die in Übereinstimmung ist mit dem Bewusstsein dieser neuen Welt. Vertraue auf die Quelle und wisse: „Dein Wille geschehe.“

 

 

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8 Responses

  1. Martin

    Hallo David,
    vielen Dank für diesen Artikel!
    Eine so klar umrissene Schilderung dieses Problemfeldes habe ich selten gelesen.

    Wenn wir ein wenig von der Wahrheit geschmeckt haben, wollen wir automatisch mehr, weil wir ja noch mit dem Kopf auf dem Weg sind. Wir wollen dass es immer und überall so friedlich ist wie auf einem Meditationskissen/Yogamatte/ … Wir beginnen die Alltagswelt abzulehnen, weil wir eine „bessere“ Welt gesehen haben und uns die Alltagswelt gefühlt davon trennen will. Die Wut und der Kampf, die daraus entstehen können, gehören aber meiner Meinung nach einfach zum Weg, denn mit der Zeit erkennt man mit Hilfe des Schmerzes, dass diese Gegenwehr, egal gegen was, zu nichts führt und man niemandem damit hilft und man auch niemandem damit einen Gefallen tut. Achtsam beschrittene Holzwege führen auch in die richtige Richtung.

    Allerdings wäre es wünschenswert, wenn die Tyrannei nicht nach außen getragen würde, sofern sich das vermeiden lässt. Mir hat da der gesunde Zweifel geholfen, ob ich es denn tatsächlich schon begriffen habe. Ich hoffe diesen Zweifel verlieren ich auch nicht.

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  2. LilliCo

    Alle visionären Träumer müssen wohl durch diesen Schmerz gehen und die Ohnmacht fühlen und sie bejahen, wenn sie in ihre wahre Macht erwachen wollen.

    Denn die Macht entsteht aus jeder winzigen Regung in uns. Demut – Dankbarkeit – Liebe, im Sinne von Annahme und Mitgefühl in jedem Moment erschaffen wir eine Welt, ganz real.

    Wie trete ich morgens aus dem Haus?
    Wie spreche ich mit mir?
    Wie spreche ich mit der Verkäuferin?

    das sind nur einige Beispiele.

    Dir bewusst zu sein, dass Du in jedem Moment diesen Traum – diese Vision miterschaffst mit Deinem Sein, ist der Anfang der neuen Erde.

    Zu erfassen, dass Du – wir alle – diesen Traum auf die Erde bringen, nachdem wir den Schmerz gefühlt haben, indem wir so sind, wie wir es erträumen ist der Weg.

    Es ist tröstlich zu wissen, dass wir immer mehr werden.
    Danke für diesen Beitrag – von Herzen
    LilliCo

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  3. Daniel

    Lieber David,

    von ganzem Herzen danke ich Dir für diesen Artikel! Mein Verständnis daraus ist der Mut, das eigene Klein-Sein vor dem Universum und dem großen Weg vorbehaltlos und klar anzuerkennen und das berührt mich sehr! Meine momentane Lebens-Entscheidung steckt leider immer noch stark im Verzweifeln, in Depression und Misanthropie. Aber wenn ich innerlich einmal etwas zur Ruhe komme, kann ich beim Lesen Deiner Worte spüren, wie das Anerkennen dieses Klein-Sein-Dürfens mir eine große Entlastung und Erleichterung bringt. Nicht alles retten müssen, nicht alles gut machen müssen. Dennoch nicht aufgeben und – mit Walt Whitman – einen Vers zum kraftvollen Spiel des Lebens beitragen. Ich danke Dir! Herzliche Grüße Daniel

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  4. Kristina

    Dieser Artikel hat mir sehr gut gefallen, weil er demütig ist und zutreffend vor Schatten des Gutgemeinten warnt („Tyranei des Guten“).
    Zitat: „Egal wie visionär, leidenschaftlich, oder gut gemeint er auch sein mag:
    Der Wunsch, deinen Willen, dein Denken und deine Ideen den Menschen, der Gesellschaft und der Welt aufzuzwingen, trägt in sich den Samen der Tyrannei.“

    Ich finde, dass die Natur und der Mensch (als Teil der Natur) schon richtig ist und keine pädagogische Nachbesserung benötigt.
    Alles was stört und zerstört sind Zwang, Ideologie, Bevormundung, Nötigung, Drohung, Lüge, Mobbing, Korruption und Machtmissbrauch.
    Bereits in der Schule werden Kinder mit allen diesen Zerstörungsmechanismen infiziert, so dass wir in erster Linie jeglichen Schulzwang und Arbeitszwang abschaffen müssen. Wenn der Mensch die Möglichkeit hätte alles freiwillig zu machen – und nicht wie jetzt unter Zwang und Bedrohung – würde diese Welt vielleicht nicht sofort paradiesisch sein, aber sicherlich viel menschlicher.

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  5. Susanne Ehlert

    Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel!
    Genauso denke und empfinde ich auch. Ich bin als Träumerin geboren, das ist meine Aufgabe. Wie sich alles entwickelt liegt nicht in meiner Hand. Nichts wollen, nichts erzwingen, nichts forcieren, nur den Focus auf den Traum halten.

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  6. Michael Glass

    Die Philosophen schreiben seit ein paar tausend Jahren Bücher und – was hat sich bei dem Menschen geändert? Nicht viel. Das Produkt des Denkens und Handels liegt uns, oh Grauen, vor. Der Schöpfer „träumt“ durch uns, in uns. Wir sind es als Co-Schöpfer, die die Welt zu einem Paradies machen (können). Sonst niemand. Die Vision muss in dir lebendig sein – und dich zum Handeln bewegen. Ein Ansatz ist der Familienlandsitz nach Anastasia, die Erimitin aus der Taiga. Natürlich ist man gelegentlich verzweifelt ob der ganzen Obrigkeit, wie ein solches Model in D umzusetzen sei. Ich ziehe „meinen Hut“ vor all Jenen, die diesen Traum in kleinen Schritten in ihrem Umfeld umzusetzen beginnen. Du bist das Licht der Welt. Gehe hinaus und lasse es leuchten.

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