Der spirituelle Trip: Durch bestimmte Techniken oder ­bewusstseinserweiternde Substanzen können sich Räume jenseits der ­Alltagswirklichkeit öffnen, die uns unendlich bereichern. Doch irgendwann schließt sich die Tür wieder und wir sind mit uns und unserem ganz normalen Leben konfrontiert. Dann taucht die Frage auf: Was bringen uns spirituelle Erfahrungen ?

 

Während meiner Kindheit und Jugend hatte ich dreimal ein spirituelles Erlebnis – jedes davon so wichtig, dass ich mich fünf bzw. sechs Jahrzehnte später noch in aller Deutlichkeit daran erinnere. Aber das eine, das mein Leben verändert hat, war das vierte und geschah, als ich Ende zwanzig war. An einem Strand in Kalifornien erlebte ich eine halbe Minute lang die immer währende Gegenwart – alle Schleier zwischen Zeit und Ewigkeit waren verschwunden. Ich war nicht auf Drogen. Hinter mir lagen zwei Wochen einer Encountergruppe, die mich zehn Tage zuvor so intensiv mit mir selbst in Kontakt gebracht hatte, dass ich mich danach nur noch fragen konnte, wo ich eigentlich vorher in meinem Leben gewesen war. Nach dem, was am Strand passiert war, brauchte ich nie mehr an Gott zu glauben. Erfahrung macht Glauben überflüssig.

Während der nächsten zwei oder drei Jahre machte ich dann tatsächlich einige tiefgehende psychedelische Erfahrungen mit der spirituellen Dimension im Leben. Ich wusste jetzt, was fortwährend und meistens unsichtbar im gegenwärtigen Leben präsent und immer dann zugänglich war, wenn ich die Pforten der Wahrnehmung öffnen konnte, wie Aldous Huxley sie ­bezeichnet hatte. Bei mir konnten LSD und ­Psilocybin-Pilze diese mystischen Pforten immer wieder öffnen, so wie sie mir unterschiedlichste psychische und physische Abenteuer – von ekstatisch-erotisch bis zu dämonisch-furchtbar – bescherten.

 

Erfahrungen als Falle

Dann, als ich Anfang dreißig war, fand ich zu Osho (oder Bhagwan, wie er damals hieß). Oder fand er mich? Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Meister, heißt das Sprichwort! Jedenfalls ging ich nach Indien, verwandelte mich für die nächsten zehn Jahre in Swami Anand Rajen und lebte die ersten drei davon im Ashram meines Meisters in Poona. Es dauerte nicht lange, bis ich zwischen Selbstzweifel und Zynismus schwankte, wenn ich hörte, wie sich Sannyasins allen Ernstes an den Nachweisen ihrer neuesten spirituellen Erfahrungen ergötzten und dabei eine bunte Mischung aus metaphysischen Begriffen benutzten, die mir überhaupt nichts sagte. War ich noch ignoranter, als ich dachte? Ich fragte Osho, und er beantwortete meine Frage in einem morgendlichen Diskurs, in dem er sagte, ich solle diese spirituellen Ego-Trips nicht weiter beachten und einfach meinem eigenen Weg vertrauen. Er gab das wieder, was ich in meiner Seele spürte, und ich verlor mit Freude jedes Interesse an allem spirituellen Geschwätz. Bald darauf sagte er in einem anderen Diskurs etwas, das ich seitdem nie mehr vergessen habe. Sinngemäß lautete es: „Solange du mit Erfahrungen beschäftigt bist, sitzt du in der Falle. Selbst spirituelle Erfahrungen sind schöne goldene Gefängnisse. Du musst über alle Erfahrungen hinausgehen.“

 

Die heiligen Fallgruben

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, über alle Erfahrungen hinauszugehen. Eine ist zu sterben, die andere ist, in die ewige Gegenwart zu erwachen. Wenn dein Erwachen genauso wenig rückgängig zu machen ist wie der Tod, bist du erleuchtet. Natürlich ist es das Letztere, zu dem Osho, wie alle erleuchteten Meister, uns als seine Schüler einlud und scheuchte. Also saß er jeden Tag bei uns und schenkte uns seine Präsenz, nicht nur als ein Beispiel, sondern als dieser mysteriöse Weg, den solche Wesen für Suchende aus sich machen können. Der Weg ist die Meister-Schüler-Beziehung selbst. Diesem paradoxen Abenteuer gerecht zu werden, würde den Rahmen des kleinen Artikels sprengen. Es reicht zu sagen, dass es ein Weg ist, der mit genauso vielen Fallgruben bestückt ist wie jeder andere spirituelle Weg auch – und die größten, tiefsten und heiligsten Fallgruben waren für uns unsere spirituellen Erfahrungen, so sehr Osho auch mahnte, über sie hinauszugehen. Diese schönen goldenen Käfige machen genauso süchtig wie Sex und Drogentrips. Und etliche Jahre lang, in denen er uns weiter inspirierte und den heiligen Teppich unter uns wegzog, waren Sex und spirituelles Erforschen so ineinander verwoben, dass der Sannyasintrip alles übertraf, was Drogen zu bieten hatten.

 

Spirituelle Junkies

Ein spiritueller Junkie zu sein ist zumindest eine kreativere Form von Sucht, denn jede spirituelle Erfahrung, die wir machen, lädt uns dazu ein, mehr Seelenbewusstsein in unser Alltagsleben zu bringen. (Ich betrachte die Seele als unsere persönliche Brücke zwischen dem sterblichen Ich und dem ewigen Geist.) Aber durch den Junkie-Aspekt neigen wir dazu, die Einladung zu ignorieren. Wir können so sehr an der Erfahrung selbst hängen, dass wir die Einladung, eine Brücke von unserem Wesen zum ewigen Geist zu schlagen, nicht einmal bemerken und schon gar nicht annehmen. Dann sind wir vielleicht nur spirituelle Vergnügungsreisende, die von einer fabelhaften Erfahrung zur nächsten leben und die den gewöhnlichen Alltag dazwischen aushalten, so gut sie können. Oder wir investieren womöglich so viel von unserem Ego ins spirituelle Dasein, dass wir schließlich von unserem eigenen erleuchteten Zustand überzeugt sind und uns in der ultimativen Illusion sonnen: dem Traum vom Erwachtsein!

 

Spiritualität als Fluchtweg

Erleuchtete Egos sind leicht auszumachen – sie brauchen immer Schüler, die zu ihren Füßen sitzen und ihre Illusion streicheln, indem sie begierig ihre Worte der Weisheit aufsaugen. Alan Cohen erzählte mir einmal die Geschichte eines Fed-Ex-Fahrers, der ein Paket in ein angebliches Hare-Krishna-Zentrum bringen sollte. Nachdem er an der Tür geklingelt hatte, um das Paket abzugeben, fielen ihm die Jünger zu Füßen und baten ihn einzutreten. Sie bedrängten ihn mit ihrer Liebe und ihrer Begeisterung, dass endlich Der Eine gekommen war, auf dessen Ankunft sie gewartet hatten, und sie waren so wunderbar überzeugend, dass sie es schafften, ihn auf einen thronähnlichen Stuhl zu setzen, der auf einem kleinen Podest stand. Als er dort saß, flehten sie ihn an, zu ihnen zu sprechen, ihnen irgendetwas zu sagen, das sie auf ihrem spirituellen Weg anleiten würde. Vielleicht schien ihm das der einfachste Ausweg zu sein, denn am Ende akzeptierte er ihre Bitten und hielt ihnen zu seinem eigenen Erstaunen eine wundervolle spirituelle Predigt. Es ist gar nicht so schwer, ein Guru zu sein! Und genau das ist der Punkt. Es ist eine viel größere Herausforderung, ein ganzer Mann oder eine ganze Frau zu werden. Die Jagd nach Erleuchtung – die nur eine von vielen Möglichkeiten ist, nach spirituellen Erfahrungen süchtig zu werden –, ist ein bequemer Weg, dieser Herausforderung auszuweichen. Manche tun es, um ihr Ego zu befriedigen. Andere – wahrscheinlich die meisten –, weil ihre Spiritualität sie davor rettet, sich mit dem anfreunden zu müssen, was sie vor lauter Angst in sich nicht annehmen können.

 

Erleuchtungswerbung

Wichtig ist die tiefere Wahrheit, die in dieser Geschichte verborgen ist. Erleuchtung – der transzendente Zustand, völlig erwacht im eigenem Wesen zu leben – braucht kein Publikum und hat kein Interesse am Sammeln von bewundernden Schülern. Wie in der beliebten Geschichte von Mojud „Der Mann mit dem unerklärlichen Leben“ ist die spirituelle Reise eine persönliche Odyssee, die von dir verlangt, dass du dich ganz auf dein Leben einlässt und auf die Arten, wie dein Leben selbst zu deiner Seele spricht. Spirituelle Erfahrungen kann es unterwegs geben, und gewiss lehren, heilen und wecken sie dich, aber sie sind nicht das, worum es in deinem Leben geht. Wenn Menschen kommen, um von dir zu lernen, dann nicht, weil du mit deiner Erleuchtung dafür geworben hast. Stattdessen beginnt das Geflüster über dich in der Gerüchteküche, der Buschfunk erledigt den Rest. So war es bei Mojud, und so begann es mit Osho. Leider wurde aus der Rajneesh-Gemeinschaft, die sich um Osho scharte, mit der Zeit eine ziemlich geschmacklose Osho-Werbemaschinerie – eine Tatsache, die unvermeidlich Fragen aufwirft. Alles, was ich selbst zu dieser Kontroverse sagen kann, ist, dass ich den Meister, mit dem ich in den 70ern in Poona zusammenlebte, ausschließlich als einen Mann von erstaunlicher Präsenz erlebte.

 

Das eigene Potenzial befreien

Die Schriften von George Gurdjieff, dem wunderbaren russischen Mystiker des frühen bis mittleren zwanzigsten Jahrhunderts, sind meistens schwer zu lesen. Aber er schaffte es, seine gesamte Erleuchtungsbotschaft in einem einzigen Buchtitel unterzubringen: Das Leben ist nur dann wirklich, wenn ich bin. Er widmete sein Leben dem Erschaffen von Situationen, die seine Schüler dazu antreiben sollten, wach zu werden. Osho tat ein paar Jahrzehnte später das Gleiche, aber inzwischen stand eine neue Ressource zur Verfügung. Das Human Potential Movement, die Bewegung zur Freilegung des menschlichen Potenzials – und ihre Pioniere Abraham Maslow, Carl Rogers, Fritz Perls und noch ein paar andere – hatte jede Menge wirksamer Selbsterfahrungskurse hervorgebracht, die innerhalb weniger intensiver Tage Menschen aufwecken und ihr Leben verwandeln konnten. Oshos Genius bestand darin, Gruppenleiter aus dieser Bewegung zu versammeln und das gesamte Spektrum von Workshops für persönliches Wachstum und spirituelles Erwachen in seinen Ashram zu holen. Indem sie offen und ehrlich mit sich selbst und anderen waren und gleichzeitig mit ihm meditierten, konnten seine Schüler nach und nach den Zusammenhang zwischen Wahrhaftigkeit und spirituellem Bewusstsein herstellen. Kurz gesagt: Wenn wir uns für unser gesamtes Wesen öffnen, sind wir völlig wach im Hier und Jetzt – der zeitlosen Gegenwart. Im Kontakt mit uns selbst erleben wir die spirituelle Dimension: „Eins mit allem, was ich bin, eins mit allem, was ist.“ Was Gurdjieff begonnen hatte, konnte Osho umsetzen: einen Weg aufzeigen, um die spirituelle Suche und unsere ganz persönliche menschliche Odyssee zusammenzubringen.

 

Kostbare Juwelen und Plastikimitate

Heutzutage ist das Human Potential Movement ein globaler Marktplatz, der ein reichhaltiges und buntes Spektrum an erweckenden und transformierenden Erfahrungen bereithält. In solch einem riesigen und unüberwachten Markt findest du alles – vom Erhabenen bis zum Absurden, vom kostbaren Juwel bis zum Plastikimitat. Der schiere Überfluss macht es einfach, sich in Sackgassen zu verirren, die ihrerseits verloren im Labyrinth der spirituellen Erfahrungen liegen. Deinen Weg in sie hinein und wieder aus ihnen heraus zu finden ist Teil des Abenteuers der Selbstfindung und der Entdeckung des ewigen Geistes in dir. Wenn du deinen Weg tatsächlich findest, wird dir klar, dass dein Leben dein spiritueller Weg ist. Wenn dein spiritueller Weg dein Leben wird, dann einfach deswegen, weil du erwacht genug bist, um zu merken, dass du von Anfang an wie jeder andere auch in diese Richtung gegangen bist. DU selbst bist die spirituelle Erfahrung – und ohne jegliches Interesse, diese Tatsache weiterzuverbreiten.


Abb: © rolffimages – Fotolia.com

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