Abb: © Syda Productions-stock.adobe.comDer Vater hält die Tochter zurück 28. März 2020 Beziehung Die Kräfte, die walten, wenn zwei Menschen sich begegnen und gleichzeitig das Wunder der Liebe aufkeimt, sind derart komplex, dass wir sie nie ganz erfassen. Und das gilt natürlich auch für die Kräfte, die dieser Verbindung entgegenstehen. Doch es gibt ganz spezielle Verhinderungsgründe für Beziehungen in und zwischen bestimmten ethnischen Gruppen, die durch kulturell-historische Kontexte entstanden sind und auch heute noch wirken. Ein Gespräch zweier afro-deutscher Freundinnen über einen mehr als 300 Jahre alten Bann – der Vater hält die Tochter zurück. von Rahma Aïssata Odett Sabine Kalixta und Anne Benza-Madingou Rahma Aïssata Odett Sabine Kalixta: Glückwunsch zur Verlobung! Anne Benza-Madingou: Danke. Ich krieg‘ gerade die berühmten kalten Füße… (lacht) Drum prüfe, wer sich ewig bindet! Ich dachte eigentlich, die Prüfung sei erfolgreich absolviert… Mmh. Darf ich dir was dazu erzählen? Du weißt, dass mich immer etwas davon zurückgehalten hat, den Herzallerliebsten zu finden. Meine Beziehungen zu weißen Männern scheiterten immer. Warum betonst du, dass die Männer weiß waren? Weil ich immer spürte: Da waren Kräfte in meinem Rücken, die mich banden und hinderten, und zwar ausschließlich in Bezug auf weiße Männer. Und diese Kräfte haben was mit dem Teil meiner Herkunft zu tun, der in Afrika liegt. Inwiefern? Ich habe mich gefühlt wie unter einem Fluch. Einmal begegnete ich einem Mann im Baumarkt. Ein Flirt zwischen Tapeziertischen und Nägeln. Da war eine große Anziehung, aber ich konnte im wahrsten Sinne nicht auf ihn zugehen. Ich war wie festgenagelt. Er auch. Wir standen zehn Meter voneinander entfernt und haben es fassungslos und machtlos beobachtet. Und da war klar: Da ist was, was energetisch lebt, und mich blockiert! Mehr als ein Jahrzehnt später dann das Aha-Erlebnis. Ich las die Jungianerin Dr. Marie-Luise von Franz, die den entscheidenden Satz formulierte: „Der Vater hält die Tochter zurück.“ Es war wie ein Schock und eine Offenbarung zugleich. Plötzlich machte alles Sinn. Was bedeutet das: Der Vater hält die Tochter zurück? Von Franz sagt: Die unterdrückte Kultur gibt der sie dominierenden Kultur nicht ihre Söhne und Töchter. Auf Afrika und das Trauma von Versklavung und Kolonialismus bezogen: Ihr nehmt unsere Menschen, unsere Bodenschätze, unser Land – aber ihr kriegt nicht auch noch unsere Kinder. Wir übergeben sie euch nicht. Ihr könnt sie rauben, vergewaltigen, zwangsrekrutieren; ihr könnt sogar aufrichtige Liebesbeziehungen eingehen wollen. Aber diese haben nicht den Segen der Väter. Es geht also um die Väter afrikanischer Herkunft, die diesen Segen ihren Töchtern – ebenfalls afrikanischer Herkunft – verweigern, wenn sie Beziehungen mit weißen Partnern und Partnerinnen eingehen? Aber, Aïssata, dieses Trauma ist Jahrhunderte her. Eben nicht. Denn der transatlantische Menschenhandel und der sich daran anschließende Kolonialismus wirken ja nach wie vor. Nicht zuletzt, weil die Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten erst in den 60er und 70er Jahren stattfand; in Apartheid-Südafrika erst Anfang der 90er Jahre mit Nelson Mandelas Wahl zum Präsidenten. Und wir sind uns sicher einig, wenn ich sage: Nicht alle Menschen haben aktuell den gleichen Zugriff auf Ressourcen. Es ist der globale Süden, in dem sie schwereren Zugang zu Bildung haben, verarmen, verhungern, in Kriegen und bei Umweltkatastrophen umkommen. Sie fliehen, sterben auf der Flucht, werden versklavt und vergessen. Stimmt, es gibt dominierende und unterdrückte Kulturen, wie von von Franz formuliert. Aber was hat das mit uns Afro-Europäern oder Afrikanern und unseren Liebesbeziehungen zu weißen Menschen zu tun? Es ist irgendwann ein Bann ausgesprochen worden, so etwas wie: „Weiße Hundesöhne, Hände weg von unserem Söhnen und Töchtern. Jede Verbindung zwischen uns und euch soll verflucht sein. Verschwindet von hier. Euer Blut soll erkalten und eure Samen sollen vertrocknen in eurem kalten Land.“ Meines Wissens ist es eine aktive Bannung von Schamanen aus der Gegend des heutigen Benin und Nigeria vor mehr als 300 Jahren. Die dortige Yoruba-Kultur verfügt über eine komplexe, vermutlich 10.000 Jahre alte spirituelle Praxis: die Orisha-Verehrung. Orishas sind Gottheiten, mit unterschiedlichen Energien und Qualitäten ausgestattet, die – ähnlich wie im Katholizismus bei der Heiligenverehrung – angerufen werden. Hier im Westen gern als „Naturreligion“ abgetan und im schlimmsten Fall als böse okkulte Praktik verunglimpft. Nach aktuellen Schätzungen hängen dieser Weltanschauung mehr als 100.000 Menschen weltweit an. Und was war der Anlass für diese Bannung? Der 500 Jahre andauernde transatlantische Menschenhandel. Das war ein globales, unvorstellbar brutales Big Business. Es wurden zum Beispiel Schiffe gebaut, die die „optimale“ Einpferchung der Menschen berücksichtigten. Es gab Banken, die dafür Kredite vergeben haben; es gab Gesellschaften, die die Transporte versichert haben – und somit auch „Kaufleute“, Menschenhändler, die Versicherungsbetrug begangen haben; und zwar indem sie ihre Menschen-„ Fracht“ einfach haben ertrinken lassen. Es gab ausgeklügelte Ernährungspläne, die dafür gesorgt haben, dass die Entführten auf der Überfahrt nach Nord- und Südamerika nicht verhungerten, aber so wenig bekamen, dass sie schwach genug waren, um nicht aufzubegehren. Zirka 20 Millionen Afrikaner wurden auf Schiffe verschleppt. Und es gibt Schätzungen, dass auf jede verschiffte Person zehn Tote kamen; die, die sich gewehrt oder Suizid begangen haben; die, die in den riesigen Forts an der westafrikanischen Küste auf die Deportation warteten und durch die Folgen von Krankheit, Vergewaltigung, Folter oder Unterernährung gestorben sind. Und was haben sie getan, unsere Ahnen? Es gab viele Anti-Sklaverei-Bewegungen auf dem Kontinent, blutig niedergeschlagene Aufstände oder Verhandlungsversuche mit den Kolonialmächten. Aber eben auch eine spirituelle Form der Notwehr. In der christlichen Welt wären in so einer Situation Gottesdienste abgehalten worden, Fürbitten, Andachten. Neben den monotheistischen Religionen, die ebenfalls im damaligen Afrika praktiziert wurden, gab und gibt es die sogenannten „ATR“, „African Traditional Religions“, wie es in der Religionswissenschaft heißt. Und ganz sicher hat es in diesem Zusammenhang schamanische Rettungsversuche gegeben. Mit Tänzen, Gesängen, Feuer, Trommeln, Trance. Machtvolle Zeremonien in einer ohnmächtig machenden Situation. Und dabei ist der besagte Bann ausgesprochen worden? Ja. Mit der uns Menschen afrikanischer Herkunft bannenden Schlussformel, die von der Psychoanalytikerin von Franz Jahrhunderte später aufgeschrieben wurde: Der Vater hält die Tochter zurück. Puh. Ein schweres Erbe für uns. Ja, letzten Endes kann es leidverursachend sein. Es steht uns aber nicht zu, darüber zu urteilen. Es ist schließlich aus großem Leid heraus geschehen. Aber vielleicht ist das reduziert gedacht. Es könnte auch aus einem starken kulturellen Selbstbewusstsein heraus entstanden sein, schließlich sprechen wir hier von religiösen Praktiken, die sehr viel älter und möglicherweise machtvoller sind, als die, die wir hier kennen. Aber es gibt Beziehungen zwischen Afrikanern und Afro-Europäern mit weißen Europäern, die glücklich sind und halten… Der Vater hält die Tochter zurück Ja, absolut! Aber diese Menschen haben möglicherweise andere Fürsprecher, vielleicht karmische Verbindungen, die diese Kraft entschärfen. Na, das beruhigt mich ja im Hinblick auf meine Beziehung. Es ist also kein Gesetz, dass dieser Bann waltet. Doch, das ist es. Aber es ist nur eine Kraft von vielen, die generell in Beziehungen wirken. Vielleicht sind die Liebenden durch so viele beziehungsstärkende Kräfte begünstigt, dass dieser Bann nicht dominiert, obwohl er da ist. Wenn aber Afro- Europäer oder Afrikaner feststellen, dass ihre Beziehungen zu weißen Menschen immer wieder scheitern, dann wirkt möglicherweise dieser Bann – der Vater hält die Tochter zurück. Der Vater hält die Tochter zurück… Ja, wobei es nicht um einen bewussten Bann des biologischen Vaters bezüglich seiner leiblichen Tochter geht. Es ist ein Bild. Der Bann ist geschlechtsneutral. Er betrifft auch Mütter genauso wie Söhne. Es wirken die Kräfte der Kulturen eines ganzen Kontinents. Und wie gelingt die Heilung, Aïssata? Was können wir tun? Uns neu ausrichten auf die verbindende Kraft zwischen uns Menschen, egal welcher Herkunft. Den Bann aufzulösen liegt nicht in unserer Macht. Aber Heilung kann durch die wirkliche Anerkennung des Traumas entstehen. Durch echte Würdigung der geschundenen Kulturen. Durch Gemeinsamkeit, Respekt, Unterstützung und Hinwendung. Das beginnt erstmal mit dem direkten Gegenüber und kann sich dann ausdehnen. Für alle nutzbar. Und dann ist Raum da für Leichtigkeit, Frieden und Glück. Und für die Liebe… Genau. Und jetzt geh‘ heiraten! Autorinnen Rahma Aïssata Odett Sabine Kalixta (rechts) ist eine vielseitig spirituell Übende in schamanischer Ausbildung. Die in Bayern lebende Berlinerin malischer Herkunft findet hoffentlich auch bald ihren Herzkönig, egal welcher Abstammung. Kontakt über Tel.: 0177- 886 27 87 oder kalixtaziegler@ ymail.com Anne Benza-Madingou (links) ist Journalistin und freie Autorin. Sie arbeitet aktuell an einem Dokumentarfilm über Feminismus und Mutterschaft. Die Berlinerin kongolesischer Herkunft ist Mutter zweier Kinder – und demnächst glücklich verheiratet mit einem weißen deutschen Mann. Kontakt über Tel.: 0176- 617 621 32 oder annebenza@ googlemail.com Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.