Unsere Welt wandelt sich rasant – ob wir das wollen und akzeptieren oder nicht. Vor nur 40 Jahren beispielsweise gab es noch keine Pille, vor 20 Jahren noch keine Videorecorder und PCs und vor 10 Jahren noch kein Internet. Und wir alle erinnern uns sicherlich noch an die Zeit vor der heutigen Erleuchtetenschwemme, als Lichtarbeiter und Channel der letzte Schrei aus dem Jenseits waren. Der Wandel unserer Welt ist rasant – und ob wir das wollen oder nicht, ist irrelevant.

Wandel – aber wohin?

Um die letzte Jahrtausendwende gab es eine Menge spirituell Suchende, die den apokalyptischen Visionen gruselnd Glauben schenkten, die die Medien – auch die esoterischen – genüsslich aufbereiteten. Auffallend in der Rückschau auf all die prophezeiten Erdachsenverschiebungen, Dritten Weltkriege und Katastrophen ist, dass sich niemand zu fragen scheint, wieso Nostradamus und die prophetischen Schamanen der Ureinwohner von Bayern bis ins Land der Hopi sich so getäuscht haben – und wieso von all den Prophezeiungen nicht eine eingetroffen ist. Sicherlich, der eine oder andere verrenkt sich in Interpretationsakrobatik – und viele Aussagen waren auch so nebulös, dass sie eine kreative Interpretation brauchten – nur die einstigen Interpretationen waren dennoch so deutlich, dass selbst einige Skeptiker aus meinem Umfeld die schaurigsten Bilder an die Wand malten.

Dass man sich aber einmal öffentlich überlegte, wie man zu der apokalyptischen Überzeugung gelangte und wie sehr sie sich von der realen Weltwandlung unterscheidet … , dass man daraus lernen könnte, wie sich Überzeugungen gestalten, denen man dann sein Leben überlässt – diese Auseinandersetzung hat nicht stattgefunden. Die Welt hat sich gewandelt und ist nicht untergegangen, sondern entwickelt sich in immer rasanter werdendem Tempo weiter – und so verschwindet im Taumel des kurzlebigen Alltags eine wundervolle Gelegenheit, aus dem Wandel zu lernen.

Wohin führt Wandel, wenn man seine Vergangenheit nicht reflektiert?

Zu Wiederholungen. Er führt im Kreis, die eine Überzeugung ersetzt unreflektiert die andere – wie manche Leute ihre Partner wechseln und doch im Grunde immer wieder dieselbe Beziehung führen. Wir interpretieren fortwährend die Welt und die Menschen um uns herum. Wenn wir nicht hin und wieder nachsehen, wie wir bestimmte Situationen in der Vergangenheit betrachtet haben und wovon wir überzeugt waren und was dann tatsächlich geschah – wenn wir unser Denken und Fühlen nicht anhand des tatsächlichen Wandels überprüfen, wenn wir uns von Überzeugung zu Überzeugung treiben lassen, ohne sie mit größtmöglicher Klarheit und Hunger nach Wahrheit zu befragen, wohin könnten wir gehen, außer im Kreis? Wer sich vom Wandel der Dinge nicht wandeln lässt – wiederholt sich notgedrungen.

Unser Kosmos gewährleistet den Wandel – alles ist endlich; von den Galaxienhaufen bis zu den verletzlichsten Lebewesen, alles wird geboren, lebt eine Weile und stirbt; entsteht, bewahrt eine Weile die Form und vergeht. Diese unentrinnbare Endlichkeit hat den Buddha vor 2500 Jahren auf seinen Trip gebracht, auf dem er zur Erleuchtung gelangte und zur Erkenntnis, dass jegliches Leiden dem Wunsch oder Versuch entspringt, Endliches zu verewigen. Wenn wir an angenehmen Objekten, Phänomenen, Gedanken, Gefühlen, Bewusstseinszuständen, Situationen usw. kleben – oder ihnen durch Abneigung oder Widerstand Energie und Aufmerksamkeit zuführen – dann tun wir das, weil wir die Vergänglichkeit, wenn nicht ganz unterbinden, dann doch „ewig“ verzögern wollen: das schöne Gefühl, die Glückseligkeit, das erleuchtende Erlebnis mögen doch bitte ewig bleiben. Vergängliches lässt sich jedoch nur durch eine mehr oder weniger subtile Verkrampfung festhalten – das gilt gleichermaßen für den Versuch, es gegebenenfalls loszuwerden. Beides führt zu Leiden.

Von allem, woran man kleben bleiben kann, scheinen mir Überzeugungen das Hartnäckigste zu sein. Das mag daran liegen, dass sie einem Sicherheit in der sich kontinuierlich wandelnden Wirklichkeit zu verschaffen scheinen. Und wer nach Sicherheit strebt – und sei es auf spirituellem Wege – der sucht nach Bestätigung und nicht nach Wandel. Dieses Streben beruht nicht auf Vertrauen, sondern bringt sich und der Welt großes Misstrauen entgegen, es fürchtet sich im Grunde vor der eigenen Verletzlichkeit und Sterblichkeit und ebenso fürchtet es sich vor der Ekstase, bei der man aus der vermeintlichen Wirklichkeit entrückt und in eine unkontrollierbare versetzt wird – vermeintliche Wirklichkeit deshalb, weil es eine von automatischen und unüberprüften Überzeugungen gefilterte ist. Für die unkontrollierbare Wirklichkeit des stetigen Wandels brauchen wir Mut und Vertrauen, ja, Liebe für das Gegebene, die Situationen, Menschen, Dinge, wie sie sind – wie sie sich entfalten.
Alles wandelt sich, das ist die Natur der Dinge. Ist es dann nicht ein wenig absurd, etwas festhalten zu wollen? Wer das sieht – und dieses Sehen zeigt sich darin, dass man nichts mehr festhalten kann – und sich daher dem Wandel anheim gibt, der entdeckt in seiner Tiefe das Lächeln im Hintergrund des gesamten Kosmos. Eine heitere Gelassenheit, die die konkrete Erfahrung in der modernen Metropole in ein transparentes Licht taucht und dich zu einem Gastfreund aller Phänomene des Lebens macht.
Auf dem Weg dorthin gilt es allerdings, einiges zu überwinden. In einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Kultur aufgewachsen, scheint einem die Welt zunächst ein grausam zufälliges Phänomen zu sein: man wird auf einem Planeten geboren, in einem Sonnensystem, das wie alle stellaren Phänomene eine Ausgeburt des Urknalls und aller Zufälle seither ist. Und man wird in einem Körper geboren, der das Produkt einer vor allem zufälligen Evolution ist (wo wären wir ohne den Kometen, der den Dinosauriern ein Ende bereitete?). Das ist die herrschende Überzeugung, die uns allen eingraviert worden ist. Auf dieser Basis allerdings kann man dem Wandel nicht vertrauen, er beschert einem im Zweifelsfall immer etwas Unangenehmes. Man muss sich als verletzliches Wesen vielmehr davor schützen. Misstrauen herrscht also – woher sollen das Verständnis und das Vertrauen kommen, dass wir in diesem Kosmos gut aufgehoben sind und genau das erleben, erfahren, lernen, durchmachen, was wir brauchen?

Hier kann uns eine Binsenweisheit dienen: „Vertrauen fällt nicht vom Himmel.“ Vertrauen erwächst uns aus Erfahrung, aus ganz konkreter, überzeugender Erfahrung – aus spiritueller Erfahrung. Da nützen weder ein spiritueller Lehrer, und sei er noch so brillant, noch eine spirituelle Lehre, und sei sie noch so hilfreich; wenn Verständnis und Vertrauen wachsen sollen, nützt einem lediglich die Erfahrung aus erster Hand.

Vergänglichkeit

Die Vergänglichkeit aller Dinge und Phänomene ist eine unübersehbare Tatsache. Und sie ist wunderbar! Denn wer sich klaren Kopfes und reinen Herzens dem Wandel überlässt, den trägt er immer mehr „nach Hause“. Das zeigt mir die Erfahrung, die ich auf meinem Weg gemacht habe und das, was ich in der spirituellen Arbeit erlebe: Menschen, die sich mit einiger Ausdauer auf den Weg begeben, werden freundlicher, offener, klarer und schöner – das könnte einem sogar das Vertrauen in den Wandel wieder geben, oder?

Die Welt, so wie ich sie sehe, ist eine Schule für Buddhas. Jeder Mensch, jedes Wesen hat bereits Buddhanatur. Jeder Mensch ist bereits erleuchtet – und verdunkelt oder vernebelt sich und seine Wahrnehmung auf ganz persönliche Art und Weise. Die Verdunkelung und der Nebel lichten sich jedoch in dem Maße, in dem man sich dauerhaft vertrauensvoll, neugierig und von ganzem Herzen dem Wandel in all seinen Fassetten öffnet. In diesem Raum tauchen nach und nach all die Dinge und Phänomene auf, denen man sich widmen muss. Das wiederum von ganzem Herzen…

Es ist die Aufgabe jedes Buddha, sich der Wirklichkeit zu stellen, sowie sie in Erscheinung tritt und nicht, wie er sie gerne hätte. Das ist die eigentliche Arbeit in der Schule für Buddhas: die Wirklichkeit wachen Geistes anzunehmen – und dann mit tiefem Verständnis und Mitgefühl zu antworten und zu reagieren. Je mehr man den Wandel bejaht und ihm Raum lässt, desto mehr reifen das Vertrauen, Einfühlungsvermögen und die bedingungslose Liebe in einem heran. Das führt uns zur Quelle des Wandels zum Guten, Wahren und Schönen, dessen bin ich gewiss.

Über den Autor

Avatar of Mushin J. Schilling

pragmatischer Mystiker, macht seit frühster Jugend spirituelle Erfahrungen; seit 1984 in äußerst lehrreichem, persönlichen Kontakt zu Michael Barnett; verbindet sich in seinen Events mit dem „lebendigen Feld“ jenseits aller Worte und nutzt vor allem den direkten Zugang zur Energiedimension, um es den Teilnehmern zu erleichtern, spirituelle Erfahrungen zu machen.

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