Der Weg zum Licht 1. Februar 1999 Bewusstsein Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten Der lange und manchmal mühevolle Weg der persönlichen Transformation Zweiter Teil des Artikels »Der Weg zum Licht« von Markus Klepper, den wir in der letzten SEIN-Ausgabe mit den Abschnitten »Der Beginn des Weges – »Die Aufgabe des Lehrers« – und »Die Natur- und Gesetzmäßigkeiten des Weges« begonnen haben. Wir alle kommen immer wieder an den Punkt an dem die persönliche “Suche nach dem Licht”, die Überwindung persönlicher Krisen und Schicksalsschläge zur drängenden Notwendigkeit wird. In einer Welt an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, die sich in einem geradezu dramatischen Umwandlungsprozeß befindet, ist es natürlich und wenig verwunderlich, daß auch wir, jeder einzelne, mit großen und manchmal unüberwindlich scheinenden Herausforderungen auf seinem Lebensweg konfrontiert wird. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die Welt, in die wir hineingewachsen sind, schon längst nicht mehr so funktioniert, wie wir es einmal gelernt haben, sollte es uns leichter fallen, persönlichen Krisen und Schwierigkeiten und unser ganz privates Leid nicht nur als Beleg unseres persönlichen Versagens oder gar unserer Unfähigkeit zu begreifen. Die Erfahrungen von Krisensituationen oder Leid sind immer auch eine deutliche Aufforderung des Lebens an uns, den inneren Wandel, unsere persönliche Transformation und Heilung zum Gegenstand zu machen. Sie fordern uns auf, unser eigenes Wohlergehen wichtig und ernst zu nehmen. Sie bieten immer auch die Chance, unsere persönliche Antwort darauf zu finden, was das Leben von uns fordert. Wie die vielbewunderte Lotosblume ihre Schönheit und Faszination aus dem sumpfigen Brackwasser bezieht und ein funkelnder Diamant erst durch den Druck entsteht, dem der rohe Stein ausgesetzt war, erwächst auch bei uns Menschen oft aus dem zunächst Schlimmen unsere wirkliche Kraft. Die Methoden und “Werkzeuge”, diesen inneren Aufbruch zu vollziehen und zu bewältigen sind in der heutigen Zeit im Überfluß vorhanden. So vielfältig und unüberschaubar, daß man sich schnell im Labyrinth der Techniken und Wege verirren kann. Und doch gibt es Wegmarkierungen, die uns dabei helfen und leiten können. Peggy Dylan, die große Frau des modernen Feuerlaufes, hat sie in der ihr eigenen Metaphernsprache sehr schön beschrieben. Ich stelle ihr Modell vor, weil es mir aus der Seele spricht und mir selbst immer wieder Mut gemacht hat. Peggy: »Unser Weg beginnt meist – ausgelöst durch unangenehme und leidvolle Erfahrungen – in den Höhlen des Schmerzes und der Unzufriedenheit. Aufgabe dieses Schmerzes oder der Unzufriedenheit ist es, uns aus alten Gewohnheiten im Denken und Handeln “herauszuschütteln”. Schmerz, Leid und Unzufriedenheit erzeugen die Energie und Motivation, die uns durch die Schwierigkeiten des Weges trägt. Sie bringen uns in Bewegung und halten uns auf Kurs. So führen Schmerz und Unzufriedenheit zu Wachstum und Entwicklung. Sie sind die stärksten Triebfedern jeder Entwicklung und können so unsere Verbündeten werden. Von dort gelangen wir meist in den Wald der Unruhe und Angst. Die meisten unserer alten Denk- und Verhaltensweisen wurden in der Kindheit geprägt, um uns zu schützen, vielleicht sogar, um unser Überleben zu sichern. Tasten wir sie an, machen wir uns auf, sie zu verändern, kann es sein, daß wir große Unruhe oder Angst erleben, denn ein Teil von uns fühlt sich in seinem Überleben bedroht. Angst ist auch eine biochemische Reaktion des Körpers, die uns zeigt, daß etwas Neues bevorsteht. Das, was wir noch nicht kennen, macht fast immer Angst, und oft werden wir anschließend dafür belohnt, uns dieser Angst gestellt zu haben. Jede wirkliche Veränderung macht immer auch und immer wieder mal Angst. Diese Angst ist Zeichen unserer Lebendigkeit und damit gesund und wichtig. Wo die Angst ist geht‘s lang! Von dort gelangen wir meist in den Sumpf des Widerstandes. Flußbett versucht er, die Bewegung zu verlangsamen. Er zeigt sich besonders, wenn wir uns zu schnell bewegen oder verändern, oder wenn wir an Themen und Muster geraten, die wir noch nicht wirklich aufgeben wollen. Der Widerstand kann ganz unterschiedliche Formen annehmen: körperliche Schmerzen, Langeweile, Wut, übermäßige Geschwätzigkeit, Neigung zu ständiger Ablenkung usw. Der Widerstand fordert uns auf, uns erneut zu vergewissern und – vielleicht- etwas langsamer zu werden. So ist der Widerstand, den wir erleben, kein schlechtes Zeichen. Er ist ein Signal, das es zu erforschen, zu beachten und zu respektieren gilt. Jeder Ansatz, der versucht, diesen Widerstand zu brechen, ist gefährlich und schädlich. Hände weg davon! Die nächste Station ist der Berg der Mühe und Anstrengung. Er wirkt manchmal endlos und riesig. Ohne die Erinnerungen an die Höhlen von Schmerz und Unzufriedenheit würden wir uns meist nicht aufmachen, ihn zu bezwingen. Viele der Muster, die wir überwinden und aufgeben wollen, sind eng mit unseren Bedürfnissen nach Schutz und Sicherheit verknüpft. Sie haben früher funktioniert, deshalb fällt es uns nicht leicht, sie aufzugeben. Wir brauchen viel Energie, innere Bereitschaft und eine kraftvolle Intention, um uns von ihnen zu lösen. Der Berg der Mühe und Anstrengung erinnert uns daran, daß wir eine große und ausdauernde Bereitschaft und Energie für unser Wachstum aufbringen müssen. Bleiben wir am Ball, so gibt auch er uns Kraft und trainiert unsere Ausdauer. Auch während wir uns bewegen und weiterentwickeln sind wir vor gelegentlichen Rückschlägen nicht gefeit. Wir erleben sie als unerklärliche Gefühlsausbrüche, unkalkulierbare emotionale Höhen und Tiefen, körperliche Krankheiten oder ungewöhnliche körperliche Symptome. Wenn sie uns begegnen ist dies völlig natürlich! Sie zeigen uns, daß wir am Teich der EGO- Verwandlung angelangt sind. Das EGO verkörpert all die Mechanismen, Programme und Strategien, die wir uns aneignen mußten, um nicht ständig verletzt zu werden. Wie eine Maskerade verbirgt es die Lebendigkeit und Schönheit unseres wahren Wesens vor einer als gefährlich oder feindselig erlebten Welt. Wenn unser maskenhaftes EGO sich verabschiedet können sich wichtige Bereiche unseres Wesens und unserer Persönlichkeit neu ordnen. Wir sind an tiefen und entscheidenden Schichten der Veränderung angelangt, dort wo die Verwandlung und Heilung ihren Ursprung hat. Der Teich der EGO – Verwandlung gehört unweigerlich zum Weg des persönlichen Wachstums dazu. Jeder Weg, jede Methode, die sich damit nicht auseinandersetzt, bleibt in Kosmetik. Jeder Lehrer, der sich dem nicht stellt, bleibt irgendwann auf der Strecke. Auf etwa halber Strecke der Reise kommen wir an eine wichtige Grenze: den Fluss von Schuld und vorwürfen. Ihn zu überqueren ist unerläßlich für den Erfolg unserer Mission! Erst wenn wir begreifen, daß niemand uns jemals etwas Schlimmes angetan hat und niemand jemals kommen wird, um uns zu retten, kann dies gelingen. Mit unserem sich ständig erweiternden Bewußtsein und einer immer größer werdenden Selbsterkenntnis beginnen wir allmählich zu begreifen, daß wir all die Ereignisse und “Umstände” in unserem Leben selbst kreiert und ausgesucht haben – um zu dem Menschen zu werden, der wir sind und sein können. Vielleicht und ganz oft ohne zu wissen, wie und warum und vielleicht gegen unseren ausdrücklichen Willen. Erst wenn wir dies erkennen und die volle Verantwortung für unser Leben übernehmen, erst wenn wir alle Gedanken und Gefühle von Vorwurf und Schuld verabschieden, gelangen wir auf die andere Seite. Der Fluß von Schuld und Vorwürfen markiert die Grenze zwischen Ohnmacht, Leid und Schmerz und Verantwortung, Heilung und Freude. Er ist die wichtigste Weggabelung. Hinter ihr wartet die Belohnung auf uns. Sobald wir den Fluß von Schuld und Vorwürfen überquert haben geschieht eine geradezu wundersame Verwandlung. Die Energie der Höhlen von Schmerz und Unzufriedenheit, die uns bislang gedrängt hat weiterzugehen, ist verschwunden. Jetzt werden wir getragen, angezogen und motiviert von der Freude des Lebens. Wir gelangen zum Haus der Heilung und zu der Wiese der Belohnung Alle Mühe und Anstrengung sind verschwunden, alle selbstzerstörerischen Verhaltensweisen verschwinden einfach – ein Gefühl von Erfolg und Erfüllung breitet sich aus in uns. Wir haben die steinige Straße von Mühe und Anstrengung verlassen und bewegen uns auf der Straße der rechten Handlung, in der indischen Philosophie dem Weg des Dharma. Wir bewegen uns in Harmonie mit unserer Umwelt. Wir haben ein Gefühl dafür entwickelt, mit dem Höchsten in uns verbunden zu sein. Wenn wir von diesem Weg abkommen, spüren wir unmittelbar eine heftige Reaktion, die uns wieder auf den rechten Weg drängt. Die Straße der rechten Handlung, der Weg des Dharma begleitet uns auf dem Weg zu Erfüllung, Freude und Harmonie. Auf ihr gelangen wir in die Gärten des Teilens. Hier können wir nicht mehr anders als unsere vielen inneren und äußeren Reichtümer zu teilen. Wir können nicht länger Schmerz und Leid mit ansehen ohne den starken Wunsch zu verspüren, zu unterstützen und zu helfen. So werden wir Katalysatoren für die Entwicklung und Transformation anderer. Schließlich gelangen wir in die Stadt der persönlichen Verantwortung Hier leben wir in dem Bewußtsein, daß wir jeden Moment unseres Lebens ständig selbst neu erschaffen. Wir erfreuen uns an den ständig sich verändernden Erscheinungen, den vielfältigen Formen, Farben und Gefühlen. Wir sind Zeuge der Schönheit des Unendlichen in seiner Erscheinung in der körperlichen Welt – in uns selbst und in unserer Umgebung. In der Stadt persönlicher Verantwortung erleben wir unsere ewige Verbundenheit mit der gesamten Existenz. Wir erleben uns als Schöpfer, als Gottes Manifestation in dieser Welt. Die Stadt persönlicher Verantwortung liegt genau wie der ganze Kontinent unserer Reise inmitten des Ozeans der Glückseligkeit. Er verkörpert den Zustand von Glückseligkeit und Erfüllung, der wie eine Verheißung und ein Horizont unseren gesamten Weg umgibt. Es ist das Licht am Ende des Tunnels, das wir ganz sicher erreichen, wenn wir irgendwann in unserem Leben dorthin aufbrechen und uns auf dem Weg führen, unterstützen und begleiten lassen.« Fehler,Fallen und Irrwege Nach meiner Erfahrung gibt es einige besonders beliebte Fallen, in die so mancher achtlos fällt. Sie sind in der inneren Haltung begründet von der aus wir den Weg beschreiten. Für viele Menschen ist noch heute der Schritt, Hilfe und Unterstützung zu suchen und einzuladen, gleichbedeutend mit einem persönlichen “Canossagang”. Sie tun es erst in letzter Minute und auch dann oft nur halbherzig. So ist der Besuch eines geeigneten Seminars oder der Weg zum Therapeuten Ausdruck einer großen Not und Verzweiflung. Erst wenn das Haus in Flammen steht, wird die Feuerwehr gerufen. Ist der ärgste Brand gelöscht, geht es ihnen wieder besser oder sogar richtig gut, beschließen sie die eigene Heilung – und wenden sich wieder wichtigeren Dingen zu. Sie haben dann keine Zeit oder kein Geld mehr oder können sich eine Fortsetzung dessen, was schnell zum Ziel zu führen schien, aus wichtigen Gründen nicht mehr leisten. So werden die positiven neuen Ansätze, die noch zarten Pflänzlein der persönlichen “Erleuchtung” von der überhasteten Rückkehr zu alten Denk- und Lebensgewohnheiten platt gemacht. Dies wird dann entweder als Beleg dafür gewertet, daß es – wie befürchtet – doch nichts gebracht hat oder, was noch schlimmer ist, daß “ich selbst eben ein hoffnungsloser Fall bin, was ich insgeheim geahnt habe”. In meinen eigenen Seminarveranstaltungen weise ich mit allem mir zur Verfügung stehenden Nachdruck immer wieder auf dieses Phänomen hin und betone die Notwendigkeit, “am Ball zu bleiben”, das neue Glück zu schützen, es reifen und wachsen zu lassen und mich dabei, wenn nötig, weiter unterstützen zu lassen. Und doch erlebe ich es immer wieder, daß einige es einfach besser zu wissen glauben und damit oft Schiffbruch erleiden. Die in unserer kurzatmigen Zeit so weit verbreitete Hast und Ungeduld ist der ärgste Feind jeder wirklichen persönlichen Veränderung. Die andere Falle hat mit der oben beschriebenen Natur des Weges zu tun. Wenn Menschen ihre persönliche Gefühls- und Erlebenswelt nur in den plakativen Polaritäten von “Gut” oder “Schlecht” begreifen und beschreiben, wird es sehr schnell eng und hoffnungslos. Wir müssen lernen, die inneren Eruptionen, die Veränderungsprozesse mit sich bringen können, auch auszuhalten und für eine Weile einfach sein zu lassen. Manchmal ist es notwendig, daß wir unsere Schmerzen, die Trauer und Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit und Angst spüren. Statt sie sofort “weghaben zu wollen” müssen wir oft nur ein wenig bei ihr “verweilen” und sie als gesunden Ausdruck der “stürmischen Suche nach dem Selbst”, wie Stanislav Grof es formuliert, begreifen und akzeptieren lernen. Gerade hier ist die Begleitung durch gute und erfahrene Freunde, kundige und integere Lehrer und Therapeuten oder eine Gruppe von Menschen, der wir uns für eine Weile anschließen, von unschätzbarem Wert. Eine Organisation oder Gruppe von Menschen, die sich etwa in einem längerfristigen Selbsterfahrungs- oder Trainingsprogramm immer wieder treffen, um sich gegenseitig zu motivieren und zu unterstützen wird dadurch noch nicht zu einer Sekte! Auch wenn die Sektenbeauftragten der Kirchen (!) dies gerne so darstellen. Solange im Selbstverständnis unserer Kultur noch soviel erschreckende Unkenntnis und Unerfahrenheit über die Prozesse und Gesetzmäßigkeiten des Weges unserer inneren Verwandlung und Heilung besteht, brauchen wir diese Form von Unterstützung und Begleitung. Ein Mann, der durch die Wüste ging, sah einen Fuchs, der ein Bein verloren hatte und fragte sich, wie er überleben könne. Da sah er, wie ein Tiger mit Jagdbeute in seinem Maul ankam. Der Tiger fraß sich satt und ließ die Reste des Fleisches für den Fuchs übrig. Am nächsten Tag fütterte Gott den Fuchs mit Hilfe des selben Tigers. Der Mann staunte über Gottes Erhabenheit und sagte sich: “Auch ich werde in einem ruhigen Winkel ausharren, im vollen Vertrauen auf den Herren und er wird mir alles besorgen, was ich brauche.” So tat er viele Tage, aber nichts geschah, und er war schon dem Tode nahe, als er eine Stimme hörte, die sagte: “Oh du, der du auf einem Holzweg bist, öffne deine Augen für die Wahrheit! Folge dem Beispiel des Tigers und höre auf, den behinderten Fuchs nachzuahmen.” Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.