Die Angst vor dem Absturz 1. Juni 2006 Neue Wirtschaft Interview mit Daniel Herbst In seinem neuen Buch “Hermann Hesses Erleuchtung” widmet sich Daniel Herbst dem Guru unter den deutschen Dichtern. Hermann Hesse war bewandert in christlicher Mystik, schwärmte für den Buddhismus und pries die indische Spiritualität. Dennoch ging ihm bis zum Ende seines Lebens materielle Sicherheit über alles. Ein typisch deutscher Fall? Dietmar Bittrich sprach mit dem spirituellen Lehrer Daniel Herbst über Geld und Erleuchtung. Dietmar Bittrich: Der ehemalige Wohlfahrtsstaat Deutschland sackt ab. Die Angst vor dem Absturz grassiert. Zu Recht? Daniel Herbst: Natürlich. Bisher mussten die wenigsten von uns die Konsequenzen des Marktes am eigenen Leibe erfahren. Jetzt bringt die Globalisierung die Opfer dort zu Tage, wo sie hingehören: bei uns. Das ist lehrreich und gerecht. Wir beginnen, die Auswirkungen eines selbstherrlichen Marktes zu begreifen. Die Opfer hat es immer gegeben. Anderswo. Jetzt werden wir selbst zu rechtlosen Leiharbeitern. Statt es Sklaverei zu nennen, nennen wir es noch Markt. Das ist uns so beigebracht worden. Zusammen mit dem Glauben, der Markt habe das Recht, brutal zu sein. Aber wer hat ihm das Recht dazu gegeben? Ein Sprichwort sagt: Von dem Geld, das wir nicht haben, kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen. Werden wir jetzt ärmer und ehrlicher? Mit unseren Privilegien lösen sich auch einige unserer Fehlsichtigkeiten auf – und ein Teil unserer Arroganz. Bisher war es warm und trocken. Wir waren gewohnt, auf hohem Niveau zu jammern. Jemand anderes besaß, was ich mir nicht leisten konnte. Wie ungerecht! Dieser Kult von Bedürftigkeit hat uns daran gehindert, den Dingen Aufmerksamkeit zu schenken, die für ein erfülltes Leben wirklich wichtig sind. Um spielen zu können, braucht ein Kind nicht immer mehr Spielzeug. Es braucht Raum, Zeit und Zuversicht. Dann kann sich ein anderes Spiel entwickeln. Erst jetzt lernen wir, das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden. Insofern ist es notwendig, die Sinnlosigkeit des Scheinbaren am eigenen Leib zu erfahren. Behindert Wohlstand die Freiheit? Wem es primär um Wohlstand geht, dem ist an Freiheit nicht gelegen. Wer es sich leisten kann, ist privilegiert. Wer Geld hat, hat das Recht auf Nahrungsmittel und Komfort, das Recht auf Bedienung und professionelle Hilfe, das Recht, eigene Ideen durchzusetzen. Geld “schenkt” Sicherheit. Es verleiht Macht. Wer kein Geld hat, ist zwar noch Mensch, aber einer ohne Potenz. Deshalb heißt es: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt … Denn „der Reiche“ macht Unterschiede, wo es keine gibt. Er ist nicht bereit, seinen Überfluss zu teilen. Statt Not zu lindern, gibt er nur, wenn es sich für ihn lohnt. In jedem von uns steckt so ein verkappter Reicher. Einer, der selbstherrlich ist und sich vom gemeinen Volk abgrenzen möchte. In dieser Abgrenzung besteht die Grenze zum Himmelreich. Sind Penner in Indien glücklicher? Das Armsein wird in Indien mit einem für Westler nicht zu begreifenden stoischen Gleichmut hingenommen. Der Hinduismus hat ein wasserdichtes Konzept. Die Idee, dass jeder sein Schicksal verdient, treibt in Indien besonders groteske Blüten. Aufgrund der Karmaidee wird das Schicksal meist absolut klaglos angenommen. Uns ist ein besseres Angebot gemacht worden: das der Nächstenliebe. Sie ist uns aber so fern wie der wahre Kommunismus. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Amerikaner ihr Glaubensbekenntnis gleich auf die Dollar-Noten drucken: „In God we trust“. Das ist nichts als ein belangloses Lippenbekenntnis. Was damit gemeint ist, ist: „The others pay cash.“ (Die anderen zahlen bar.) Und eben deshalb scheint ein armer Inder zufriedener als ein armer Westler zu sein. Hier wird der Masse vorgegaukelt, dass sie am Reichtum partizipieren kann. Das ist die Illusion, der viele mehr oder weniger angestrengt nachrennen. Darf ich mich nach Sicherheit sehnen, oder ist das spirituell total unter der Gürtellinie? Grundsätzlich darfst du alles. Du darfst hoffen und wünschen, was du willst und du darfst schlimm finden, wie ungerecht die Welt ist. „Dürfen“ trifft es nicht wirklich. Es ist das falsche Wort. Wer sich nach Sicherheit sehnt, hat Angst. Wer sich nach Liebe sehnt, dem fehlt Zuversicht. Solche Eingeständnisse können dich weiterbringen. Statt Bestellungen beim Universum aufzugeben und Engelkarten zu ziehen, schneidest du deinen Vermeidungsstrategien den Weg ab. Du hörst auf zu flüchten und siehst hin. Das ist eine sehr heilsame Form von spirituellem Realismus. Ein Mensch, dessen Wert davon abhängt, was er in den Augen der Allgemeinheit wert ist, kann sein Potenzial nicht entfalten. Er beginnt sich zu fürchten. Solange du glaubst, dass du dich irgendwie oben halten musst und für alles eine Bestätigung brauchst, wirst du bereit sein, dich wieder und wieder zu verleugnen. Wenn dir klar wird, dass du mit deinen Manipulationsversuchen gescheitert bist, wirst du den nötigen Mut haben, dein eigenes Leben zu riskieren. Buchtitel: „Hermann Hesses Erleuchtung“, ISBN 3-8334-4574-2, Preis 12,90 Euro, erhältlich überall im Buchhandel, auch online, www.daniel-herbst.de Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar Antwort abbrechenDeine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.KommentarName* E-Mail* Meinen Namen, meine E-Mail-Adresse und meine Website in diesem Browser für die nächste Kommentierung speichern. Überschrift E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.Auch möglich: Abo ohne Kommentar. Durch Deinen Klick auf "SENDEN" bestätigst Du Dein Einverständnis mit unseren aktuellen Kommentarregeln.