Wie man im Schmerz zur Quelle der eigenen Kraft finden kann. Eine Frau, die Mann und Kinder verlor über den Schmerz und das Erwachen zur eigenen Kraft. Kraft im Schmerz ­entdecken.

Nach einem Todesfall oder einem anderen ­persönlichen Unglück leben wir anfangs meist in einer Schockstarre: Überwältigung, alles zu viel, erstmal wegpacken. Doch wie den Schmerz dann fließen lassen? Wie ihn ­ertragen? Barbara Pachl-Eberhart schreibt in ihrem neuen Buch genau darüber – und wie sie selbst den Schmerz als Quelle großer Kraft entdeckte.

Herausgerissen aus dem Leben

Einen geliebten Menschen unerwartet und plötzlich zu verlieren, das gehört wohl zum Schlimmsten, was man sich vorstellen kann. Noch schlimmer muss es sein, wenn es nicht nur ein Mensch ist, der stirbt, sondern gleich mehrere. Will man sich das überhaupt vorstellen? Will man denken, dass ein Mann und seine Kinder tödlich verunglücken, mitten an einem sonnigen Frühlingstag? Will man sich ausdenken, was eine junge Mutter fühlt, die als einzige zurückbleibt, herausgerissen aus einem Leben, das gerade noch gut, vielleicht sogar perfekt war und von einem Moment auf den anderen zerbrochen ist? 

Barbara Pachl-Eberhart hatte zu Ostern 2008 keine Wahl. Was für uns wie eine Schauergeschichte klingt, wurde für sie zur Realität. Eine Realität, mit der sie zu leben lernte und zu der sie heute, nach sechs Jahren „Ja“ sagen kann – nicht zaghaft, nicht zögernd, sondern aus vollem Herzen: Ja. 

Barbara Pachl-Eberhart war Clown von Beruf. Ihren Weg durch die Trauer gestaltete sie unkonventionell, mutig und authentisch. „Ich musste meinen Weg so nehmen, wie es sich richtig anfühlte. Ich hatte keine Kraft, mich zu verbiegen. Außerdem spürte ich, dass ich nach allem, was mir verloren gegangen ist, nicht auch noch mich selbst verlieren darf“, sagt die heute 40-Jährige. 

In ihrem Buch „vier minus drei. Wie ich nach dem Verlust meiner Familie zu einem neuen Leben fand“ erzählte die Wienerin 2010 vom ersten Jahr ihrer Trauer. Das Buch wurde über Nacht zum Bestseller, über 160.000 Exemplare verkauften sich bisher allein im deutschsprachigen Raum. „Ich staune auch heute immer noch. Meine Art zu trauern, die anfangs von vielen als ungewöhnlich, ja sogar teilweise als ungehörig beanstandet wurde, ist offenbar gar nicht so atypisch wie man denkt. Fast jeden Tag bekomme ich Mails von Menschen, die mir sagen: Ja, genau so war es bei mir auch!“ 

 

Authentisch trauern

Nun hat Barbara Pachl-Eberhart ihr zweites Buch herausgebracht: „Warum gerade du? Persönliche Antworten auf die großen Fragen der Trauer“. „Mein Buch ist vor allem ein Mutmach-Buch. Ein Buch, das Erlaubnis gibt, so zu trauern, wie es sich möglichst gut anfühlt, und mehr auf die eigene innere Stimme als auf die Ratschläge der anderen zu hören. Es ist ein Buch über die Kraft, die in uns steckt und nur darauf wartet, dass man sie zum Fließen bringt. Diese Kraft hat viele Quellen. Sie steckt in unserem Körper, der uns trägt, auch wenn unser Hirn gerade keine Ahnung mehr hat, wie es weitergehen soll. Sie steckt auch in unserer Phantasie, in den Bildern, die wir uns vom Himmel machen, und die uns Hoffnung schenken können. Nicht zuletzt ist es der Schmerz, der vieles an Kraft befreit. In Zeiten schlimmer Trauer können wir lernen, den Schmerz nicht zu verdrängen, sondern uns für ihn zu öffnen. Wir lernen: Er tut weh, aber er geht immer wieder auch vorbei. Diese Erfahrung macht stark und nimmt uns vieles an Angst. Ich bin überzeugt: Die ­Fähigkeit, authentisch zu trauern, macht das Leben, das vor uns liegt, kräftiger. Lebendiger. Ein Leben, das sich nicht mehr vor dem Tod und vor dem Schmerz versteckt, ist in höchstem Maße ­lebenswert … Alle Menschen ­können fühlen. Jeder hat die ­Fähigkeit, in Krisenzeiten neu aufzustehen und aus dem Schmerz herauszuwachsen. Es scheint ­meine besondere Aufgabe zu sein, Worte zu finden für das, was viele Menschen empfinden. Vielleicht kann mein Buch dabei helfen, dass Trauernde besser verstanden werden und auch sich selbst ein bisschen besser verstehen.“

 

Auf Spülgang stellen

Schmerzen an sich heranzulassen, die Wucht der Trauer wirklich zu spüren – diese Fähigkeit haben Trauernde oft nicht gleich zur Verfügung. Auch Barbara Pachl-Eberhart lief immer wieder Gefahr, zu verdrängen, was sie wirklich fühlte. Oft waren es Zufälle, kleine Worte oder Gedankenblitze, die das, was gerade stockte, zum Fließen brachten: 

„Ich schnappte meine Jacke und ging nach draußen. Im Gehen beruhigten sich meine Gedanken. Während ich spazierte, begann ich mir selbst gut zuzureden. ,Du bist also noch nicht bereit, den Schmerz an dich heranzulassen. Du willst ihn nicht fühlen. Was könnten wir tun? Vielleicht wollen wir versuchen, ihn – nur fürs Erste – ein bisschen zu … spülen?‘

Seltsam. Kaum hatte ich dieses Wort – spülen – in Gedanken formuliert, begannen meine Tränen zu fließen. Der Wasserhahn war endlich aufgedreht. Ich ,spülte‘ meine Trauer, die Scham, ich spülte das Brennen in meinem Bauch, ich spülte die Wut und auch den Schmerz. Irgendwann ging ich zurück nach Hause. (…) Wir müssen nicht immer alles selbst tun, schon gar nicht, wenn wir gerade zu aufgewühlt sind, um klar zu denken. Oft hilft die Zeit. Wir dürfen inzwischen weiter atmen, weiter fühlen, weiter spülen, so lange, bis alles, was den Frieden verhindert, ausgewaschen ist. ,Man darf auch mal etwas an die Erde delegieren‘, so formulierte es eine Atemtherapeutin, bei der ich eine Zeit lang Stunden nahm. Auch diese Vorstellung mag ich gern. Denn wenn ich Schmerzen habe, fällt es mir nicht immer leicht, mich an Gott zu wenden. Als Kind habe ich ja gelernt, dass er oben im Himmel wohnt. Für mein grollendes, schmollendes, wütendes Trauertier, dessen Blick stets nach unten geht, ist der Himmel ein allzu weit entfernter Ort. Wie kann ich einem solchen Monster nur erklären, dass Gott überall zu finden ist, dass er uns durchdringt und auch von unten trägt? Das ist ihm viel zu fortgeschritten. Mein Monster ist wild, bockig und ganz sicher nicht erwachsen. Gott ist im Himmel, und das ist zu weit weg. Basta. Für solche Fälle kommt mir das Bild der tragenden Erde gerade recht.“ 

 

Kraft im Schmerz ­entdecken – Das Glück neu entdecken

„Was sagen wir, wenn jemand traurig ist? Wir raten: Kopf hoch. Ich denke, das ist schade. Denn ein trauernder Mensch, der nach unten schaut, tut intuitiv genau das Richtige. Er schaut seine Füße an und die Erde, die ihn trägt. Für mich birgt dieses Bild zwei der größten Geheimnisse der Heilung: Die Geduld, langsam, Schritt für Schritt vorwärts zu gehen. Und das Vertrauen, dass wir nicht ­alles ganz alleine schaffen müssen.“ Mitten im Leben auferstehen – dazu gehört für Barbara Pachl-Eberhart auch der Glaube an das Glück. Im letzten Kapitel ihres Buchs erzählt sie davon, wie sie dieses Glück für sich neu entdeckte und was ihr half, sich dabei nicht zu verkrampfen.

„Irgendwann werde auch ich in den Himmel fliegen. Ich stelle mir vor, wie man dort auf mich wartet, aufgeregt vielleicht und auf jeden Fall sehr, sehr neugierig. ,Wie war’s?‘, wird man mich fragen, und ich werde eifrig erzählen. Wie die Geschichte meines Lebens lauten wird, weiß ich heute noch nicht. Im ungünstigsten Fall klingt sie so: ,Es war wahnsinnig arg. Zuerst war ich Clown, aber dann ist ein riesiger Zug mitten in meine Familie gefahren und alle waren tot! Ich habe ein Buch darüber geschrieben, aber dann, irgendwann, konnte ich nicht mehr aufstehen, nicht mehr reden, und nicht einmal mehr denken. Dann habe ich siebzehn Jahre lang im Bett gelegen, und noch einmal siebzehn Jahre lang war ich komplett unglücklich. Es war das schrecklichste Scheißleben überhaupt. Stellt euch vor!‘

Egal, wie ich von meinem Leben berichten werde, ob ich es dereinst als Unglück deute, als Zumutung oder als Geschenk, es ist doch immer nur ein Ausschnitt der großen, ganzen, wertvollen Wirklichkeit. Mein Leben ist dann wertvoll, wenn ich es lebe, so gut ich kann. Ich brauche nur das zu tun, was gerade zu tun ist. Ich muss dafür aber nicht unbedingt glücklich sein. Es mag paradox klingen. Aber in der Tat lag der wichtigste Schlüssel zu meinem neuen Glück darin, dass ich aufhörte, das Glücklichsein von mir selbst zu verlangen.“ 

„Warum gerade du?“ ist ein Buch voller lebenspraktischer Erfahrungswerte. Doch es ist auch ein Buch über einen Glauben, der durch den Tod an Tiefe gewonnen hat und das Leben der Autorin in hohem Maße prägt.

 

Den Engel leben, der ich schon bin

„Für den Moment bin ich in einem Glauben angekommen, in dem der scheinbare Gegensatz zwischen Leben und Tod immer mehr verschwimmt. ,Bist du am Leben oder tot?‘, das ist für mich beinahe gleichzusetzen mit der Frage, ob ich nackt oder angezogen bin. Natürlich sitze ich gerade, während ich diese Zeilen schreibe, angezogen vor meinem Computer. Und doch: Die, die gerade noch nackt unter der Dusche stand, habe ich nicht im Badezimmer vergessen. Sie ist auch da, vollständig, so wie sie eben noch, nach dem Abtrocknen, im Badezimmerspiegel sichtbar war. Sie ist da, gleich unter meinen Kleidern. Natürlich bin ich angezogen. Und natürlich bin ich nackt. Das schließt einander nicht aus. Ebenso ist auch die, die ich nach meinem Tod sein werde, längst in mir. Der Tod wird mich nicht automatisch, wie durch Zauberhand, zu einem völlig anderen Wesen machen. Er wird mir vielleicht ein bisschen mehr Spielraum verschaffen und mir helfen, mehr von dem zu erkennen, was es zu wissen gibt. Doch ich glaube, es gibt keinen Grund, den Engel, der ich bin, nicht jetzt schon zu leben.“

 

 

„Warum gerade du? 

Persönliche Antworten auf die ­großen Fragen der Trauer“. 

Integral-Verlag, 2014

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