Während in den letzten 40 Jahren die Frauen immer mehr ihre weibliche Kraft entdeckten und sich zu ihr bekannten, haben sich die Männer zunehmend in einem fragwürdigen Bild von Männlichkeit verrannt. Burnout, Versagensängste und das Gefühl von Sinnlosigkeit greifen um sich. Zeit für eine Männeremanzipation und ein neues Männerbild, findet Robert Betz.

 

Mit der Frage „Wann ist der Mann ein Mann?” beschrieb Herbert Grönemeyer vor einigen Jahren die tiefe Verunsicherung der Männer über ihr Mann-Sein und über ihre Männlichkeit. Nachdem Frauen seit über drei Jahrzehnten auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis sind und aus den alten Mustern und Rollen ihrer Mütter aussteigen, haben sich die meisten Männer tiefer und tiefer in eine Sackgasse hinein bewegt, in der sie heute an Erschöpfung, Ängsten, Hilflosigkeit und häufig einem Gefühl der Sinnlosigkeit und Leere leiden.

Ohne Übertreibung sind Männer heute in der Mehrzahl leidende Wesen, die nicht gelernt haben, über ihr Innerstes zu sprechen. Sie schämen sich ihrer Verunsicherung und ihrer Misserfolge, Enttäuschungen und Schwächen, ihrer Ängste und ihrer Potenzschwierigkeiten, weil sie es als unmännlich empfinden, sich schwach und verletzlich zu zeigen. Der Mann hat sein Herz verschlossen und seinen rationalen Verstand zum Chef gemacht. Dieser Verstand, gefüllt mit vielen eingefahrenen, seit Generationen konservierten, unwahren Gedanken darüber, was man(n) zu tun und zu unterlassen hat, läuft jetzt immer mehr gegen eine Wand.

 

Der Mann hat lange Zeit sein Herz verschlossen

Die versteinerten, traurigen, todernsten oder hilflosen Gesichter der Männer lassen bei vielen durchschimmern, wie es um ihr Herz bestellt ist. Bisher verstand der Mann nicht, wie er dort landen konnte, wo er heute steht oder liegt, aber er hat auch nicht nach den Ursachen dafür geforscht, sondern sich abgefunden und durchgehalten. Das beginnt sich jetzt zu ändern.

In diesen Jahren steht der Mann wieder auf. Über Jahrtausende hat er vergessen, wozu er und die Frau auf die Erde kamen und was sein Auftrag hier ist. Jetzt, in dieser Zeit des Umbruchs und Aufbruchs – in der Transformationszeit um 2012 –, erinnert er sich wieder an die Essenz seiner männlichen Natur und entdeckt die Begeisterung an seinem Mann-Sein.

 

Frauen und Männer haben die Kleider vertauscht

Erst wenn die Verschiedenheit und damit die Einzigartigkeit des Frau- und des Mann-Seins wieder erinnert werden, erfährt auch die Liebesbeziehung zwischen Frau und Mann eine Wiederauferstehung. Darüber werden beide sehr glücklich sein und wieder den Tanz der Liebe miteinander tanzen.

In den letzten Jahrzehnten haben Frauen und Männer die Kleider vertauscht. Frauen haben die Hosen angezogen, nachdem ihre Mütter ihnen täglich demonstrierten, dass ihr Frau-Sein mit Leid, Ohnmacht, Verzicht und Frustration verbunden ist. Weniger als drei Prozent aller Frauen geben an, dass ihre Mutter gerne eine Frau gewesen sei. Ein solches Vorbild prägt.

Genauso wenige Jungen hörten von ihrer Mutter etwas Positives über ihren Vater. So hatten die Mädchen allen Grund, nicht so werden zu wollen wie ihre Mutter. Und ebenso war die Botschaft für den Jungen klar und deutlich: “Werde nicht so wie dein Vater!”. Dieser Schwur “Ich will nicht so werden wie…” sitzt bis heute tief in Frauen wie in Männern und hält sie in einer Verstrickung mit ihren Eltern und der Kindheit gefangen, deren Ausmaß ihnen nicht bewusst ist und die sie in Zuständen der Verwirrung, Resignation und Verzweiflung hält.

 

Zu leben heißt für den Mann, zu leisten

Männer haben weit mehr gemeinsam, als der einzelne Mann es meist vermutet. Und wenn sie dieses Gemeinsame entdecken, dann erkennen sie, wie sie den heutigen Zustand ihres Lebens selbst erschaffen haben. Der normale Mann geht nach dem Elternhaus in eine Phase, in der er “es” schaffen will. Er stürzt sich in eine Arbeit und klotzt ran. Er will Erfolg haben und gutes Geld verdienen, als Angestellter oder als Selbständiger. Denn ein “richtiger” Mann definiert sich und seinen Wert zuerst über Erfolg und Geld und stürzt sich in das Machen und Tun. Dieser einseitige Leistungsweg wird für die meisten Männer zum Lebensweg. Leben heißt für sie, etwas zu leisten, es zu etwas zu bringen. Von dieser Spur kommen sie so schnell nicht herunter. Erst eine Krise des Körpers, der Psyche oder der Beziehung zur Frau, Arbeitslosigkeit oder die Pensionierung werfen sie aus dieser Spur. An seiner Arbeit hält der Mann fest wie die Table-Tänzerin an ihrer Stange; nimmt man ihm diese Stange weg, fällt er – und das meist tief.

Der Mann versteht sich also vor allem als der arbeitende Mann. Hat er nichts zu tun, kann er mit sich nichts anfangen und ist verzweifelt. Die Angst, diese “Stange” zu verlieren, treibt zurzeit immer mehr Männer um. Und wie Mann auf Angst reagiert, das sehen wir täglich in Firmen und Beziehungen. Er greift verzweifelt zu Pillen und Alkohol. Oder er lenkt sich durch extremes Verhalten im Sport, im Sex oder in anderen Aktivitäten ab. Und er wird aggressiv – besonders sich selbst gegenüber. Entsprechend sehen die Körper von Männern ab vierzig, spätestens fünfzig aus.

Der Magen übersäuert, der Rücken voller Verspannungen, die ersten Bandscheiben dahin, das Herz angegriffen, das Atmen geht schwer, die Gelenke schmerzen, die Galle produziert Steine, die Probleme gehen ihm an die Nieren, nachts schläft er nicht mehr durch und im Bett macht sein Penis schlapp. Impotenz und die Angst davor sind weiter verbreitet als allgemein angenommen. 16 Millionen Viagra-Nutzer in Europa sind lediglich die Spitze eines Eisberges. Und das sind nur einige der weit verbreiteten Symptome.

Die Fixierung auf Arbeit, Geld und Erfolg hat den Mann an den Rand eines Abgrunds geführt. Nicht wenige verzweifeln und nehmen sich das Leben, es sind dreimal so viele wie bei den Frauen – vor der Rente und auch danach. Andere sterben den langsamen Tod an gebrochenem Herzen oder verfallen in tiefe Depression und Antriebslosigkeit.

 

Wer ist schuld?

Das alles beruht weder auf Schicksal noch auf der Dummheit von Männern, sondern auf ihrer Unwissenheit und auf alten eingefahrenen Mustern des Denkens und Verhaltens. Wir Männer können verstehen lernen, warum wir diesen Weg gegangen sind und uns in diese tiefe Krise hinein manövriert haben. Daran sind weder die Wirtschaft noch die Frauen schuld; daran ist niemand schuld, auch wenn sich die meisten Männer so fühlen, als hätten sie ihr Leben versemmelt und “es” nicht geschafft.

Bis ein Mann an seinem unglücklichen Zustand etwas ändert, dauert es meist ziemlich lange. Denn erstens hat er gelernt, dass Durchhalten und Aushalten zum Mann gehört wie das Rasieren am Morgen, und zweitens sieht er einfach keine Alternative zu seinem einmal eingeschlagenen Weg.

Immer mehr Männer begreifen jetzt, dass sie kein Einzelfall sind, wenn sie die Orientierung verloren haben im Leben und sich fragen, wozu dieser ganze Kampf und Krampf gut sein soll. Hier geht es um das grundlegende Problem des Mannes, von dem alle Männer betroffen sind. Es geht um die Klärung von Fragen wie:

  • Wer ist der Mann?
  • Wozu ist er auf der Welt? 
  • Warum hat er sich selbst verloren? 
  • Und wie kann er zu sich selbst und zu einem glücklichen Mann-Sein zurückfinden?

Für diese und ähnliche Fragen öffnen sich in dieser Zeit des großen Umbruchs immer mehr Männer. Nachdem viele Frauen oft schon seit zehn oder zwanzig Jahren auf dem Weg zu einem bewussten Frau-Sein sind, Selbstfindungsseminare besuchen, Yoga und anderes praktizieren, meditieren und Frauen-Bücher lesen, macht sich der Mann jetzt zu sich selbst auf. Natürlich hat es immer schon ein paar wenige Männer gegeben, die sich in Tantra-, Meditations- oder Männergruppen getroffen haben.

 

Die “normalen” Männer wachen jetzt auf

Aber in diesen Jahren wachen die bisher “ganz normalen” Männer auf, die noch vor kurzem für unmöglich gehalten hätten, sich mit anderen Männern über die oben genannten Fragen rund ums Mann-Sein zu unterhalten. Auch der Mann ist jetzt an einer Kreuzung angelangt, an der es nicht mehr geradeaus weitergeht wie bisher, sondern wo er gezwungen wird, sich bewusst zu entscheiden, welchen Weg er mit sich selbst in Zukunft gehen will.

Entweder zwingt ihn sein Körper dazu, der ihm schmerzhaft klar macht, dass er etwas ändern muss und dass Pillen keine Lösung sind. Oder seine Partnerin zeigt es ihm, die ihn nach zehn, zwanzig oder dreißig Jahren Ehe verlässt und aus Starre und Langeweile ausbricht. Oder aber das Klima und der Druck am Arbeitsplatz oder die plötzliche Entlassung lassen ihn zusammenbrechen oder aufwachen. Der Mann begreift jetzt immer mehr, dass er für seinen bisherigen Weg über die Leistung nicht mehr belohnt wird und dass sich dieser Weg letztlich nicht lohnt.

Dem Mann wurde von früh an vermittelt, dass er sich vor allem um das Machen kümmern soll, dass er viel tun müsse, um irgendwann genug zu haben. Und wenn er etwas habe und Geld, Grundstück, Haus oder Auto besäße, dass er dann etwas sei, weil die anderen, die Gesellschaft ihm dann eine Urkunde ausstellen und ihm bestätigen würde: “Du hast bestanden. Gratulation!” Hast du was, dann bist du was! Hast du nichts, dann bist du auch nichts. Jetzt begreifen immer mehr Männer, dass dies ein Irrweg war und ist und dass diese Urkunde, selbst wenn sie sie erhalten würden, absolut wertlos wäre. Der Mann muss und wird sich selbst wieder in den Mittelpunkt seiner ganzen Aufmerksamkeit stellen dürfen und sich zum wichtigsten Menschen in seinem Leben erklären und auch so behandeln – und nicht wie einen Hamster im Laufrad. Davon wird seine Partnerin in großem Maße profitieren.


Abb: © Spectral-Design – Fotolia.com

Literatur:

 

 

 

 

 

Männerseminar mit Robert Betz: “Mach dein Ding, Mann!” am 5. Dezember 2010 in Friedrichshafen.

Infos und Kontakt ­unter Tel.:
089 – 512 661 888 oder
info@robert-betz.de
www.robert-betz.de

Über den Autor

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ist Dipl. Psychologe, Meditationslehrer, Seminarleiter und Autor. Er entwickelte seine eigene Psychotherapie auf christlich-spiritueller Grundlage. Seit zehn Jahren bildet er Psychotherapeuten aus. Er ist ­Autor von fünf ­Bestellern, annähernd 100 Vorträge und Meditationen auf CD können über den eigenen Verlag Roberto & Philippo bezogen werden.
Sein neuestes Buch: So wird der Mann ein Mann!, Integral-­Verlag 2010

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3 Responses

  1. Steffen Rotsch

    Hallo Herr Betz, liebe LeserInnen!
    Offensichtlich scheinen mehrheitlich Frauen den Artikel zu lesen. Ich habe den Link hierher auch von meiner besseren Hälfte bekommen. Sie meinte, dass er auch für mich lesenswert ist. Hab ich natürlich auch gemacht…;).
    Bereits seit vielen Jahren ist es ein Thema für mich, was den einen richtigen Mann ausmachen würde. Ich glaube, dass es keine allgemeingültige Definition darüber geben kann. Letztlich muss jeder Mann seine Position selber finden. Mein Weg der Erkenntnis geht zur Zeit einher mit einem wahrhaftigen Dialog mit meiner Frau.
    Allerdings scheint es mir zur Zeit unmöglich, gewisse Rollenverteilungen radikal zu verändern, ohne meine Existenz und die meiner Frau ernsthaft zu gefährden. Denn „Mann“ braucht dringend eine Auszeit aus dem erwähnten Hamsterrad. Wenn ich die aber für mich in Anspruch nähme, würde meine Frau sich sehr um die Ihre ängstigen müssen (zu Recht).
    Aus meiner Sicht bietet die Einführung eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“ in ausreichender Höhe für „Mann“ und „Frau“ erst die materielle Basis, nicht nur für Erkenntnis sondern vor allem auch für das Handeln!!!! Ich glaube, dass es pure Existenzangst ist, die bis in die oberen Schichten der männlichen Bevölkerung die Männer auf ihren ererbten und scheinbar gesellschaftlich bestätigten Werten erstarren lässt.
    Zur Schuldfrage habe ich eine andere Auffassung. Ich würde es auch nicht „Schuld“, sondern Verantwortung nennen. Und die trägt jeder/jede für sein/ihr eigenes Lebens selbst. Und niemand kann diese an irgendetwas oder irgendjemand abtreten. Ich glaube, dass das auch ein wesentlicher Punkt ist, dass ich die Verantwortung für mein Leben und meine Existenz annehme und wahrnehme, genau so wie es auch meine Partnerin dies tun muss.
    Herzlichst Steffen

    Antworten
  2. Angelika

    Ja, Danke für solche klaren Worte, Herr Betz!
    Das ist genau die Wahrheit, die die männliche und weibliche Welt jetzt braucht. Ich versuche dies schon seit Jahren zu vermitteln und nach einiger Erfahrung mit den Männern gegenüber diesem Thema, merke ich jeden Tag, wie wichtig es auch für uns Frauen ist, die männliche alte Welt zu verstehen. Denn dadurch wird es auch für uns Frauen möglich, auf die Männer einfühlsamer zuzugehen und ihnen die Hand zu reichen.

    Das gegenseitige Verstehen unserer bisherigen Rollen wird es uns ermöglichen, die männlichen und weiblichen Energien in uns in die Balance zu bringen um ein ganz Neues Miteinander leben zu können.
    Die Männer sind immer mehr bereit dazu und das ist ein Durchbruch in der Geschichte der Menschheit – endlich.
    Habt Mut und wir sagen Danke dafür, Angelika

    Antworten
  3. Monika Schäpe

    Ein großes Aufatmen!!!
    Danke für diesen wunderbaren Artikel und Ihre Arbeit, Herr Betz!
    Möge diese Einsicht die Männer UND auch die Frauen erreichen!
    Dazu trage ich gerne das meine bei. Herzlich – Monika

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