Die heilende Kraft der Trauer: Trauer ist ein natürlicher Heilungsprozess, der uns die Gelegenheit, uns intensiv und radikal mit unserem Leben auseinanderzusetzen.

Der Tod und die Trauer

Wir haben ein Leben lang mit kleineren und größeren Veränderungen, Verlusten oder Abschieden zu tun. Dann sind wir traurig,

Gib Worte deinem Schmerz: Gram, der nicht spricht,
Presst das beladene Herz, bis dass es bricht.

William Shakespeare

ängstlich, wütend, erschüttert – und finden mit der Zeit wieder in die Spur. In Krisenzeiten fühlen wir deutlich unsere Angst, wir spüren aber auch unseren Mut und unseren Überlebenswillen, selbst wenn wir nicht genau benennen können, was da in uns wirkt.

Der Tod ragt, so formuliert es die Psychologin Verena Kast, in unser Leben immer schon hinein. Und doch sind wir fassungslos, wenn ein uns naher Mensch stirbt. Dann fühlen wir tiefen Schmerz und große Verunsicherung. Unser System gerät durcheinander: Wir haben die vertraute Bezugs-Person, einen wichtigen Resonanz-Körper verloren. Manche Menschen fühlen sich wie amputiert. Andere wie betäubt oder sie sind überwältigt von ihren Gefühlen und Gefühlsschwankungen.

Diese langwierige Zeit der Unordnung und des Ordnens, diese besondere Identitätskrise wird Trauer genannt. Wir leiden unter dem Verlust des geliebten Menschen und wir leiden, weil uns gerade jetzt Trost, Rückhalt und Wärme dieser Person fehlen. Wir leiden auch, weil sich andere Menschen in unserem Umfeld oft hilflos und distanziert verhalten. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen.

 

Trauer: Dem natürlichen Heilungsprozess Vertrauen schenken

Nach und nach können wir erkennen, wie die heilende Kraft der Trauer in uns wirkt, wie sie uns sanft leitet. Wenn es uns gelingt, diesem natürlichen Heilungsprozess Vertrauen zu schenken, können wir unseren Schmerz, unsere Angst, Verzweiflung, Wut und Ohnmacht, unser Lachen und unsere Sehnsucht leichter wahrnehmen und uns immer wieder beruhigen.

All diese Gefühlsregungen sind Hinweise, mit denen wir etwas anfangen können: Was sagt mir die Angst? In welche Richtung weist die Sehnsucht?

Trauernde Menschen haben die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, was ihnen gut tut und was ihnen nicht bekommt. Manchmal ist es ein wichtiger Schritt, sich professionelle Unterstützung zu suchen. In vertraulichen Einzelgesprächen kann man in Ruhe besprechen und sortieren, was der Verlust eines geliebten Partners oder Freundes, eines Eltern- oder Geschwisterteils auslöst und wie man Erinnerungen bewahren kann. Oftmals fällt es auch leichter, die Selbstheilungskräfte in sich zu spüren, wenn uns jemand darauf aufmerksam macht. Und vielen hilft es, dass ihr Ausnahmezustand überhaupt gesehen, anerkannt und auch erklärt wird.

 

Trauer ist eine Emotion der Wandlung

In einer Welt, die Kopf steht, sind wir erst einmal orientierungslos. Landkarten gibt es nicht, dafür aber Wegbegleiter – wenn wir wollen. Wir verändern uns durch die Trauer und wir lernen uns selbst neu kennen. Trauer ist eine Emotion der Wandlung. Sie gibt uns die Gelegenheit, uns intensiv und radikal mit unserem Leben auseinanderzusetzen. Wir entwickeln eine neue, andersartige Beziehung zu dem Menschen, der gestorben ist, finden dafür Orte, Symbole, Rituale. Indem wir zu fassen versuchen, was wir verloren haben, werden wir auf besondere Art vertraut mit unseren Empfindungen. Sind wir vorher schon gut im Kontakt mit unserer Gefühlswelt, dann kann es etwas leichter sein, sich auf die Trauer einzulassen, ihre Qualitäten ­anzuerkennen und Geschenke entgegenzunehmen – in Form von erfreulichen Begegnungen, liebevollen Gesten oder reichhaltigen Träumen …

 

Von Trauer zu einer neuen Lebendigkeit 

Die meisten Trauernden, denen ich begegne, sind in ihrer Versehrtheit mutige und feinfühlige Wesen. Sie haben sich entschieden, mit der Erinnerung an die verlorene Person und mit der Erfahrung der Sterblichkeit weiterzuleben. Vielleicht haben sie oft mehr Lebensmut, als sie selbst glauben. Es berührt mich tief, wenn ich miterlebe, wie sich Menschen über Jahre entfalten, wie aus dem notwendigen Überlebensimpuls eine neue Lebendigkeit erwächst. Als hilfreich empfinden trauernde Menschen auch den Austausch mit anderen, die Ähnliches erlebt haben: In einer Trauergruppe oder bei einem Trauer-Spaziergang können sie über ihre Verluste und Fragen miteinander reden. Für alle ist es dabei von großer Bedeutung, dass sie in einer geschützten und wohlwollenden Atmosphäre andere Menschen und deren Erfahrungen kennen lernen.

Erleichtert und gelöst, manchmal heiter, gehen sie dann auseinander. Die Tage darauf klingt das Erlebte oder Gehörte nach. Der Schmerz, die Angst klopfen ­wieder an. Es geschehen keine großen Wunder. Die zarten Hoffnungsschimmer und Lichtblicke aber glimmen auf wie Glühwürmchen an dunklen ­Tagen.

 


 

Abb: © kmiragaya – Fotolia.com

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