Macht bedeutet, jemand zu sein – ob es sich dabei um jemanden handelt, der reich an Besitz ist, eine große Klappe hat, schön ist, Muskeln oder Verstand hat, ist dabei unerheblich. Macht, egal in welcher Form, macht jemanden zu einem Vorbild, man wird zu Talkshows eingeladen und ist eine willkommene Erscheinung. Als niemand hingegen, hey, da braucht man gar nicht erst irgendwo anzutreten. Über die Macht des Niemand-Seins

Ein Unfall und die Folgen

Navanita investierte viel in ihren Körper. Ein Körper, auf den sie sich verlassen konnte, der stark, robust und flexibel war. Sie war eine gute Tänzerin, eine ehrgeizige Sportlerin und Aerobiclehrerin. Daran ist nichts auszusetzen. Um jedoch ihr Image zu erhalten, verlangte sie sich das Äußerste ab.
Ein dramatischer Verkehrsunfall, bei dem 14 Personen ums Leben kamen und viele schwer verletzt wurden, brachte sie 1994 zu einer 180-Grad-Wendung in ihrer Lebenshaltung. Als der Bus, in dem sie sich befand, einen Hügel hinabstürzte und sich überschlug, verlor sie ihr Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kam, sah sie von oben auf ihren Körper hinunter.

Einen Augenblick später befand sie sich wieder in ihrem Körper. Navanita: „Ein Teil von mir – ich nehme an, es war mein Bewusstsein – ging systematisch durch den Körper, um zu prüfen, ob noch alles funktionierte. Ich bekam die Botschaft „Du wirst nicht sterben“, dann „Du hast keine inneren Verletzungen“. Tatsächlich waren beide Beine und drei Rippen gebrochen und die Wirbelsäule hatte eine Kompressions-Fraktur. Die gleiche Stimme riet mir später, meinen Körper zu bewegen, um bei Bewusstsein zu bleiben – z.B. manchmal mich aufzurichten und dann wieder hinzulegen.“

Das war nur der Anfang für Navanita auf dem Weg, den Zugang zu der Weisheit ihres Körpers zu entdecken und kennen zu lernen. Sie sagt, es war, „als ob sich die alte, mir so gewohnte Kraft der Anstrengung in eine weichere, empfänglichere verwandelte“. Um wieder vollkommen gesund zu werden, brauchte sie einige Jahre. Während dieser Zeit wuchs ihr Vertrauen in die Kraft ihres Körpers. Der Unfall und die Heilungszeit nahmen einen gewaltigen Einfluss auf ihre schon 20 Jahre dauernde Arbeit als Leiterin von internationalen Workshops in Tanz, Bewegung und „Body Love“ (Liebe zum Körper).

“Wenn ich die Menschen betrachte, sehe ich, wie sie ununterbrochen die verschiedensten Anstrengungen unternehmen, um “erfolgreich“ zu sein. Dabei brechen sie unter dem Druck innerlich zusammen und kommen an einen Punkt, an dem sie feststellen müssen, dass sie sich nicht ohne Ende weiter antreiben können. Die Körper ist wie ein Instrument und seine Sprache ist die der Empfänglichkeit. Der Körper birgt unglaubliche Kraft und Energie in sich, muss jedoch in seiner Einzigartigkeit respektiert werden. –
Was ich lehre, ist, anstatt zu versuchen, etwas zu erringen und das Leben unter Kontrolle zu bringen, sich vom Leben unterstützen zu lassen – und der erste Schritt dabei ist, zu lernen, die Botschaften des Körpers wahrzunehmen. Und gleichzeitig zu verstehen, dass wir noch etwas ganz anderes als der Körper sind“.

No-Mind –  No-Body

Was im Zen als „no-mind“ bezeichnet wird, ist in Navanita’s Erfahrung das geworden, was sie „no-body“ (niemand/ „Nicht-Körper“) nennt. In seiner Essenz ist es dasselbe und kann als Bewusstsein, Geist, Beobachter oder Zeuge erfahren werden. Das Niemand-Sein ist Teil ihres alltäglichen Lebens und diese Erfahrung gibt sie an die Menschen, mit denen sie arbeitet, weiter.
Navanita: “Ich erinnere mich an das Gefühl während meines Krankenhausaufenthaltes: ’Nichts, was passiert, berührt mich!’. Ein Teil von mir war immer da und hat das ganze Drama einfach nur beobachtet.
Dieser Raum von Losgelöstheit, Schweigen und Stille diente mir als Anker. Er war stärker als der Schmerz und die Sorgen, ob ich wieder gesund werden würde. In diesem Raum habe ich alles gefunden, was ich brauchte – der Rest war wie ein Kinofilm! – Ließ sich das, was ich als Losgelöstheit empfand, vielleicht auf den Schockzustand nach dem Unfall zurückführen? Nein, es war kein Zustand von In-Sich-Zurückgezogen-Sein oder Gegenwartsverlust. Oder wenn doch, dann bin ich es jetzt, sechs nach dem Unfall, immer noch, ohne jemals herausgekommen zu sein! Es war – und ist -ein erweiterter Zustand von Ungebundenheit vom Körper. Ein Zustand, der weit über den Körper hinausreicht.

Und nicht nur das: ich habe erfahren, dass wenn immer ich nicht mit dem Körper identifiziert war, d.h. zwar präsent mit ihm bin, aber nicht gefangen in ihm bzw. gefangen mit den körperlichen Schmerzen und dem Unwohlsein, wenn ich mich also frei vom Körper gefühlt habe, hat mich der Körper gelehrt, wie ich in den “no-body“ – (Niemand-) Zustand finden konnte. Ich habe keinen Zweifel, dass sich die Heilung in den Momenten vollzogen hat, in denen ich in meinem Bewusstsein als beobachtender Teil verankert war. Das ist, was ich als Heilkraft des Niemand-Seins bezeichne.“

Wie kann Navanita diese Weisheit anderen Menschen vermitteln?

“Die Sprache des Körpers und des Niemand-Zustandes kann erlernt bzw. wiederentdeckt werden. Als Kinder waren wir damit noch auf natürliche Weise in Berührung, jedoch beim Erwachsenwerden – in einer Erziehung, die auf äußere Vorbilder gerichtet ist, vergessen wir unsere natürliche Verbundenheit mit uns selbst. Also beginne ich in meiner Arbeit mit der Erdung im Körper, d. h. das Bewusstsein für den Körper zu erweitern, indem ich die Menschen frage: ’Wie fühlt Ihr euch mit der Erde verbunden? Wie nimmst du deine Füße wahr?’ Und dann: ’Wie fühlt sich Spannung an? Was passiert beim Entspannen?’ – einfach diese Phänomene im Körper beobachten.
Wenn man weiß, wie sich Spannungen im Körper anfühlen, weiß man auch, wie es sich anfühlt, entspannt zu sein. Es ist nicht möglich, in einem Moment einfach sofort zu entspannen, deshalb kreiere ich Spiele, bei denen es ganz von allein geschieht. Entspannung ist der Weg zum Niemand-Sein.“ 

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