Radim Ress legt in seinen Aufstellungen einen besonderen Fokus auf die Auflösung von Traumata. Dabei arbeitet er nicht nur auf der Ebene der Seele, sondern auch mit dem Gehirn und dem Körper, weil sich das Trauma dort irgendwann verfestigt hat und unabhängig vom seelischen Raum existiert. „Die seelische Ebene allein reicht nicht“: Ein Interview von Jörg Engelsing.

 

Radim, du nennst deine Art der Aufstellung Trauma-Aufstellung. Was unterscheidet sie von anderen Arten der Aufstellung?
Traumaaufstellungen sind ein integrativer Ansatz der Traumaarbeit. Integrativ bedeutet, dass nicht nur im Raum, im Feld gearbeitet wird, sondern auch ganz direkt mit dem Körper und auf der Ebene des Gehirns. Der Grund dafür ist, dass sich die Traumafolgen auf verschiedenen Ebenen manifestieren. Um das Trauma wirklich aufzulösen, muss man mit all diesen Ebenen arbeiten: im Körper, im Gehirn und in der Seele, die sowohl individuell als auch transgenerational ist. Die seelische Ebene allein reicht nicht.

Die Seele ist ja wohl das, was sich in einer Aufstellung zeigt, oder?
Genau, die seelischen Inhalte werden in einer Aufstellung externalisiert. Erst dadurch kann man die einzelnen Elemente überhaupt auseinanderhalten, das Fremde vom Eigenen trennen. Das Fremde kommt von den Eltern, indem es von der kindlichen Seele unbewusst übernommen wird, und reicht bis ins tiefere Ahnenfeld. Das Eigene sind seelische Anteile der kindlichen Psyche, die in der Kindheit abgespalten wurden.

Was geschieht bei einer Trauma-Aufstellung?
Wenn man Traumata untersucht, dann sieht man, dass sich im Menschen – im Moment eines Traumas – bestimmte seelische Anteile abgespalten haben. In diesen abgespaltenen persönlichen Anteilen sind Angst, Schmerz, Verzweiflung usw. eingefroren. Die Nachkommen identifizieren sich unbewusst mit diesen ins Unbewusste verdrängten Anteilen der Ahnen. Die Nachkommen sind gewöhnlich die Klienten, die zu einem Therapeuten kommen. In einer Aufstellung wird der Weg zum Ursprungstrauma zurückverfolgt. Dabei geht es darum, dass man die Lebensprogramme erkennt und dass alles an die Oberfläche kommt, was damit einhergeht. Erst wenn es an die Oberfläche kommt, kann es gesehen und gelöst werden.

Du arbeitest dabei ja auch mit neoreichianischer Körperarbeit und mit EMI, also Eye Movement Integration, einer Methode, die auf der Ebene des Gehirns Traumata auflösen kann. Warum braucht es diese Hilfsmittel noch? Ist es nicht so, dass der Körper und das Gehirn den feinenergetischen Bereichen nachgeordnet sind und sich dann, wenn wir ein Trauma auf der feinenergetischen Ebene – also auf der seelischen – gelöst und dargestellt haben, sich die grobstofflichen materiellen Ebenen von selbst lösen?

Jain – ich gehe davon aus, dass sich die Traumafolgen auf verschiedenen Ebenen im menschlichen Dasein manifestieren. Aber nachdem sie sich manifestiert und verfestigt haben, bestehen sie dort auch ganz autonom. Im Gehirn werden sie als Programme weitergegeben, die sich dann im Laufe der Zeit auch im Körper manifestieren. Gleichzeitig besteht auf der seelischen Ebene auch eine Übertragung aus dem Familiensystem. Diese drei Aspekte muss man alle in Betracht ziehen und durch verschiedene Methoden angehen. Ein Klient, der den toten Großvater sieht, und auf einmal genauso erstarrt wie der Großvater angesichts des Todes in einer Schlacht, ist verbal gar nicht anzusprechen. Er ist nicht da, weil er im Schock ist. Der Schock zeigt sich natürlich auf einer feinenergetischen Ebene, da sind aber auch körperliche Erstarrung und Eingefrorensein. Hier muss man dann auch mit dem Körper und über die Augenbewegungen arbeiten, damit sich der Schock löst. Denn, und das ist vielleicht das Wichtigste: Egal ob es dem Großvater geschehen ist und in der Übertragung vielleicht auch einem Onkel – es ist hier und jetzt im Stammhirn des Klienten gespeichert. Dort gibt es das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis. Die traumatischen Erlebnisse werden im Kurzzeitgedächtnis festgehalten. Sie laufen dort ständig wie im Kreis herum – das ganze Leben lang. Durch einen Auslöser kommen sie immer wieder an die Oberfläche und überwältigen uns, weil daran eine dramatisierende energetische Ladung gekoppelt ist. Im Kurzzeitgedächtnis werden die Sinneseindrücke auch fragmentiert festgehalten. Mit bestimmten Methoden, wie zum Beispiel EMI, kann man diese Fragmente langsam zusammenfügen, wobei die negative Ladung neutralisiert wird. Dann kann das Ganze ins Langzeitgedächtnis wandern, wo es einfach als Faktum abgespeichert wird – ohne die negative energetische Ladung –, so dass es uns nicht mehr ständig beeinflusst. Um das zu erreichen, kombiniere ich verschiedene Methoden – im Raum kann man die unbewussten Anteile zwar aufstellen, aber die Integration auf Gehirnebene geschieht dabei nicht. Und natürlich arbeitet man auch mit dem Körper, weil auch der Körper Spiegel des gesamten Traumas ist. Der seelische Schmerz wird in der Muskulatur abgelegt, und so bilden sich die so genannten Muskelpanzer. Dies erkannte bereits Wilhelm Reich.

Echte Heilung bezieht also verschiedene Ebenen mit ein, damit sich das System wieder ausbalancieren kann.
Ich suche keine Balance, ich suche die Punkte, wo die Energie von Schock, Angst und Ohnmacht eingefroren ist. Nur dort, wo sie eingefroren ist, kann sie auch freigesetzt werden. Und um diese Lebensenergie geht es letztendlich. Es gibt keine andere Energie, die wir irgendwo anders herbekommen könnten. Es besteht zwar auch die transzendentale, spirituelle Ressourcenquelle der Essenzen, die der spirituelle Lehrer H. Almaas beschreibt und die man durch Gebet, Meditation, Lichtarbeit etc. ansprechen kann. Sie ist zweifelsohne eine vom Trauma unabhängige – da vom leidvollen Dasein in der Welt unabhängige – Quelle, doch eben darin liegt auch eine kaum zu unterschätzende Täuschung der Menschen: Diese feinstoffliche Energie löst nicht die Traumafolgen auf, die sich bereits im Hirn und Körper manifestiert haben. Sie schafft bestenfalls eine davon unabhängige Ressourcenquelle, die einem helfen kann, in den Traumafolgen zu bestehen, ohne darin zu untergehen. Die Traumafolgen bestehen weiter auf allen Ebenen.

Es gibt Aufsteller, die sagen, dass es gar nicht unbedingt nötig ist, seine eigenen Themen aufzustellen, weil man als Stellvertreter immer an die Stelle gestellt wird, wo sich eine Resonanz zu den eigenen Themen befindet, und sich dabei auch das eigene Thema lösen kann. Und das allein wäre ausreichend.

Das stimmt nicht. Es ist zwar der Fall, dass man dann, wenn man in den Aufstellungen der anderen aufgestellt wird, einiges über sich selbst verstehen kann und dass die eigenen Themen in Resonanz geraten, aber indem sie in Resonanz geraten, werden sie ja nicht einfach gelöst. Sie kommen dann an die Oberfläche, aber dort müssen sie dann bearbeitet werden. Die Annahme, dass sie sich durch Resonanz schon lösen und verarbeitet werden, ist falsch. Darum ist der theoretische Ansatz des Aufstellungsleiters auch ausschlaggebend dafür, was in einer Aufstellung geschieht. Wenn ein Ausbildungsleiter beispielsweise angesichts eines Traumas den Klienten darauf hinweist, dass es darum geht, sein Schicksal anzunehmen, wird etwas ganz anderes dabei herauskommen, als wenn ein Ausbildungsleiter mit diesem Trauma arbeitet.

Gibt es eigentlich eine bestimmte Reihenfolge, in der sich Traumata zeigen? Oder kommen die einfach beliebig an die Oberfläche?
Es gibt keine spezielle Mechanik, nach der so etwas abläuft. Es ist allerdings so, dass es oft ein bestimmtes Grundthema gibt, das sich durch die ganze Familie zieht und in mehreren Schichten zeigt, beispielsweise so etwas wie Verlassenwerden oder Verrat oder Gewalt. Beim Thema Gewalt könnte es sein, dass das Erste, mit dem man sich befassen muss, die Verstrickung mit jemandem ist, der gewaltsam ums Leben gekommen ist. Erst nachdem solche Themen gelöst sind, kommen die Themen, die sich in der eigenen Biografie zeigen, an die Oberfläche, um sich zu erlösen. Es gibt einfach Grundthemen, die sich in verschiedenen Schichten zeigen und verschiedene emotionale Ladungen haben. Häufig zeigt sich das, was am emotional belastendsten ist, zuerst, aber auch das ist keine allgemeine Regel. Es hängt auch damit zusammen, mit welcher Art von Aufstellungen und mit welchen Hilfsmitteln innerhalb der Aufstellung der Aufsteller agiert – je nachdem entsteht eine spezielle Perspektive, die für die Auflösung einer bestimmten Schicht die optimale Umgebung ist.

Du sagst ja auch, dass Aufstellungsarbeit keine Einmal-Methode ist, sondern dass meist ein Prozess von mehreren Aufstellungen notwendig ist für eine echte Veränderung.

Ja, C. G. Jung hat gesagt, das es gar nicht so sehr auf die Deutung eines einzelnen Traumes ankommt, sondern dass der Traum immer nur innerhalb einer Serie wirklich einen sinnvollen Ausdruck darstellt. Genau das Gleiche würde ich auch über die Aufstellungsarbeit sagen. Eigentlich nur durch eine langfristige kontinuierliche Arbeit können sich die komplexen Zusammenhänge und Traumata aus den Tiefen des familiären und persönlichen Unbewussten zeigen, und erst so ergibt alles einen Sinn.

Kann es dabei auch so etwas wie eine Erstverschlimmerung geben?
Das gibt es nicht nur, sondern das ist im Grunde Standard. Die Verschlechterungen zeigen an, dass damit eine Aufstellung wirklich ins Schwarze getroffen hat. Da gilt es dann abzuwarten, ob es nur kurzfristige Verschlechterungssymptome sind oder ob sich schon wieder ein neues Thema zeigt, eine vielleicht tiefere Verstrickung oder ein persönliches Trauma, das sich auf diese Weise anmeldet, um erlöst zu werden.

Gibt es einen Unterschied innerhalb der Seele zwischen biographischen Traumata und von den Ahnen übernommenen Anteilen?
Es gibt zwei Aspekte bei Aufstellungen: die Verstrickung im Familiensystem, die man übernommen hat, und die eigenen abgespaltenen kindlichen Aspekte, die es zu integrieren gilt und die man abgespalten hat, damit man in einer Atmosphäre des Alleinseins und der Gewalt überhaupt überleben konnte. Die eigenen Anteile gilt es also wieder zu integrieren, von der Verstrickung im Familiensystem gilt es dagegen sich zu lösen. Natürlich hängen beide Teile zusammen, aber in der konkreten Aufstellungsarbeit kann man sie nicht als eine Einheit betrachten.

Wenn die größten Verstrickungen aufgelöst sind, was ist dann der nächste Schritt?
Man könnte annehmen, dass dann bereits alles getan ist, aber dem ist nicht so. Es ist natürlich notwendig, die größten Verstrickungen zu lösen, damit ein größerer und freier seelischer Raum entsteht, aber dadurch kommt man noch nicht automatisch zu den ursprünglichen Qualitäten der Seele, den Essenzen, die ebenfalls von diesen Verstrickungen überlagert wurden. Diese Essenzen – wie bedingungslose Liebe, Stärke, Wille – sind so etwas wie eine andere Dimension. Sie sind uns mehr oder weniger fremd, schlicht und einfach darum, weil sie kaum einem von uns jemals von unseren Bezugspersonen wirklich gespiegelt wurden.

Und wie gelange ich zu diesen Essenzen?
Eben durch eine Spiegelung. Das ist keine Übertragung oder eine Einweihung, aber indem der Aufstellungsleiter in diese Rolle hineingeht, kann der Klient diese Energie wieder fühlen, sich an sie erinnern. Aber damit kommt natürlich auch oft wieder die Verletzung hoch, mit der die Essenz, beispielsweise die verschmelzende Liebe, überlagert wurde. So wirken die Essenzen auch als Katalysator für die nächste Schicht. Eine tiefgehende Aufstellung schafft immer eine Brücke zu dieser Dimension.


Abb: © psdesign1 – Fotolia.com

Seminar: Trauma-Aufstellungen
Termine: 7./8.4.
und 23./24.6.2012,
jew. Sa u. So,
10 bis 19 Uhr

Ort: Holistic Center Berlin, Einemstraße 16, 10785 Berlin

Teilnahmebeitrag: 170 € pro Wochenende mit eigener Aufstellung, 90 € ohne eigene Aufstellung
Maximale Gruppengröße: 14 Teilnehmer

Anm. und Info: Karin Scarabis,
Tel.: 030-63 91 53 94 oder karinscarabis@web.de oder radim@ress.cz

Kontakt Radim Ress unter Tel.: 0042 (0) 607590533 oder radim@ress.cz
www.trauma-aufstellungen.de
www.ress.cz

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