Meine erste Depression hatte ich im Kindergarten, und die Hälfte meines Lebens war ich mehr oder weniger krank. Und das hat mich oft verzweifelt und wütend gemacht. Jahrelang dachte ich, dass ich hinter diese Wut und Verzweiflung kommen müsste, den tiefen Schmerz spüren, den dieses vermeintliche Verstoßensein von der göttlichen Liebe bei mir auslöst. Bis ich irgendwann einmal verstand, dass es nicht darum geht, irgendein Gefühl als Trittbrett zu einer höheren Ebene zu benutzen, sondern jedes Gefühl als göttlich zu achten – auch das Gefühl, nichts zu spüren oder sich abgetrennt und unlebendig zu fühlen. Ohne die vollkommene Akzeptanz und Integration von allen Gefühlen – auch Hass, Neid oder Geiz – sind Liebe und Mitgefühl nicht möglich. Ohne das Ja zu uns und allen unseren Gefühlen wird es kein echtes Ja zu anderen Menschen und dem Leben an sich geben. Viele Jahre habe ich das nicht wirklich verstanden und die Diskrepanz meines Lebens zwischen einzelnen Erleuchtungserfahrungen und einem Alltag, den ich meinem schlimmsten Feind nicht gönnen würde, einfach nicht verstehen können.

Mittlerweile kann ich Wut und Hass gut zulassen. Ich bin nun einfach mal kein netter pflegeleichter Sansobär, sondern ein Skorpion. Ich weiß, dass sich in mir noch einiges an unterdrückter Wut und Hass tummelt und dass das Leben diese Gefühle an die Oberfläche holen und wieder in Fluss bringen will. Dafür kreiere ich unbewusst Situationen, in denen diese Gefühle hochploppen. Ich habe gelernt, mich dann zum Verarbeiten und Verstehen der Gefühle zurückzuziehen, keine voreiligen Entscheidungen zu treffen und die Wiederaufnahme der Kommunikation auf den nächsten Tag zu verschieben, weil ich weiß, dass all die Situationen und Menschen, über die ich mich aufrege, Projektionsflächen sind, an denen ich mich abarbeiten kann, um weiter und tiefer zu heilen. Natürlich bin ich ab und zu auch übers Ziel hinausgeschossen und ausgerastet. Aber auch das hatte sein Gutes: Ich habe dadurch gelernt, mich zu entschuldigen – eine der schwersten Herausforderungen für mich.

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Innenweltreisender, Redakteur der SEIN.

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