In der griechischen Mythologie gibt es die Geschichte von der Büchse der Pandora, aus der jede Menge Schlimmes und Schreckliches entwich. Das Elend verbreitete sich in der Welt, die vorher keine Übel und Krankheiten und auch keinen Tod gekannt hatte, aber nun von all dem heimgesucht wurde. Als Einziges verblieb in der Büchse die Hoffnung und konnte so den Menschen dienen. Seit Menschengedenken bilden sich nun zwei Lager, die die Hoffnung angesichts des schlimmen Zustandes der Welt entweder als das größte Geschenk für die Menschheit ansehen oder die – wie Nietzsche – sagen, dass die Hoffnung in Wahrheit das größte Übel unter all den Dingen sei, die in der Büchse gewesen waren, weil die Hoffnung auf Besserung die Qual der Menschen bis ins scheinbar Unendliche verlängert. Diesen Dualismus finde ich zu platt.

Aus meiner Erfahrung heraus kann die Hoffnung genauso Lebensretter sein wie Lebenszerstörer. Es kommt einfach auf die Situation an. Ich habe beispielsweise seit über zehn Jahren Hautsymptome, die man unter dem Begriff Neurodermitis zusammenfassen kann und die mich sehr quälen und meine Lebensqualität extrem einschränken. Wenn ich nicht die Hoffnung hätte, dass sich das eines Tages ändert, wüsste ich manchmal nicht, warum ich überhaupt morgens aufstehen sollte. Für die Heilung dieser Symptome habe ich die ganzen Jahre sehr viel Zeit und Geld investiert, mir sind verschiedenste Hintergründe davon bewusst geworden, aber bisher hat sich die Symptomatik nicht wirklich verbessert. Ich bin der Hoffnung und den Instanzen in mir, die diese Hoffnung immer wieder genährt haben, sehr dankbar, denn sie haben mich durch all die Jahre des Elends getragen. Auf der anderen Seite gibt es in mir eine Struktur von „Ich bin nicht in Ordnung, wie ich bin“, die sich schon im Mutterleib etabliert und dann im späteren Leben auf fast alles projiziert hat.

Die Folge war und ist noch, dass ich mit allem, was ich tue, den Menschen um mich herum und Gott beweisen will, dass ich doch nicht falsch bin. Ich habe diese ganze Struktur schon sehr gut durchdrungen, kann meine starke Sehnsucht nach Bestätigung, meine Rechtfertigungen dafür, was ich mache und bin, beobachten, das alles aber nicht ändern. Denn dahinter steckt die Hoffnung, dass ich mit meinem Verhalten doch irgendwann einmal erfolgreich bin und die anderen sehen, dass ich in Ordnung bin. Dann, so sagt dieser Persönlichkeitsanteil, wird alles gut und das Ziel ist erreicht. Und diese Art von Hoffnung ist selbstzerstörerisch, weil sie ein Verhalten nährt, das mich in seiner Außenorientierung von mir selbst entfernt…

Jörg Engelsing

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Innenweltreisender, Redakteur der SEIN.

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