Die jetzige Zeit erleben viele Menschen als traumatisch, weil das aktuelle Geschehen ähnliche Erfahrungen ihrer Kindheit mit Einsamkeit, Verlassenheit, Angst, Verlust und Ähnlichem berührt und dabei die damals verdrängten Gefühle wieder aktiviert. Trauma ist etwas Furchtbares, etwas, das uns aus unserem bisherigen Leben hinauswirft. Ab diesem Zeitpunkt ist nichts mehr so, wie es war, und wir müssen uns mit einer vollkommen neuen Realität abfinden. Doch in jedem Trauma wartet auch der Keim zu einem Neubeginn, zu Wachstum und Transzendenz. Trauma-Aktivierung in einem neuen Kontext kann also Heilung sein – auch wenn wir das meist nicht so gerne sehen wollen. Was uns neben dem oft rauen Alltagsleben möglichst sanft und sicher in diese Heilung führt, ist der spirituelle Weg – Therapie, Selbsterfahrungsgruppen, Meditation.

Dieser Weg zurück zum Göttlichen, zu Einheit und Liebe wird nach meiner Erfahrung von zwei entgegengesetzten Aspekten angetrieben: einerseits durch die Sehnsucht nach dem Göttlichen, der verloren gegangenen Heimat – einer Sehnsucht, die bei mir vor vielen Jahren durch eine tiefe Erfahrung von Liebe initiiert wurde, etwas, das ich in dieser Intensität vorher noch nie erlebt hatte. Diese Erfahrung richtete den Kompass meines Lebens neu aus und wurde eine – auch in Zeiten, in denen sie nur noch eine ferne Erinnerung war – tragende Ressource, die sich einfach nicht „abschütteln“ ließ und mich durch schwere Zeiten trug. Mein Leben hat sich auch in dem Sinne komplett geändert, dass ab diesem Zeitpunkt all meine bisherigen Ziele zweitrangig waren. Ich wollte nur noch diese Liebe in mir freilegen. Jeder von uns braucht so ein Licht, etwas, das uns anzieht, ein übergeordnetes Ziel.

Was zum zweiten Aspekt meines Weges führt: dem Leiden, der Wahrnehmung, diese Liebe, dieses Gefühl der Richtigkeit des Lebens total verloren zu haben. So unangenehm es auch ist: Dieses Leiden war der notwendige Tritt in den Hintern, der mich in der Spur hielt, wenn ich ausweichen wollte. Hätte ich nicht gelitten, hätte ich sicher das ein oder andere Päuschen eingelegt und mir gesagt: Warum nicht mal einen Monat nach Griechenland fahren und Abstand von allem gewinnen! Warum nicht dies, warum nicht das…? Aber es ging mir so elend, dass ich einen Urlaub überhaupt nicht hätte genießen können. Von daher habe ich all mein Geld weiter in meinen Heilungsweg investiert: gezogen von der Sehnsucht nach dem Göttlichen, geschoben vom Leiden. Vielleicht sehen wir in ein paar Jahren auf die jetzige Zeit zurück und erkennen all die damit zusammenhängenden Aspekte als notwendig für unser Wachstum…

Jörg Engelsing

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Innenweltreisender, Redakteur der SEIN.

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