Es gibt sie noch: Journalisten, die tief graben und sich nicht für die Sicherheit einer Festanstellung verkaufen. Die echte Gesellschafts- und Systemkritik wagen. Die Hintergründe und Kontexte ­veröffentlichen, die im deutschen Fernsehen nicht auftauchen. ­Fabian Scheidler, einer der Gründer von Kontext TV, erzählt von der Verwirklichung eines Traumes: Ein anderes Fernsehen ist möglich.

 

Ein ganz anderes Fernsehen schaffen, das nicht lethargisch macht, sondern anregt, herausfordert, nachdenklich macht, Kontexte statt zusammenhanglose Nachrichtenschnipsel bringt – das war vor mehr als vier Jahren unser Traum. Inzwischen ist aus dem Traum eine Wirklichkeit geworden. Einmal im Monat sendet Kontext TV eine Stunde über das Internet und ein Netzwerk von nicht-kommerziellen Fernseh- und Radiostationen in Berlin, Wien, Magdeburg, Rostock und vielen anderen Städten. Wir berichten jenseits medialer Moden und kommerzieller Interessen über Klima, Umwelt, soziale Bewegungen, Finanzkrise und vieles mehr – zuletzt vom Weltsozialforum in Tunis.

Aber zurück zu den Anfängen. Alles fing mit dem Plagiat der Wochenzeitung „Die Zeit“ an. Im Frühjahr 2009 hatten Jutta Sundermann, Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, und ich die Idee einer Zeitung aus der Zukunft entwickelt. Inspiriert von der amerikanischen Aktivistengruppe „The Yes Men“ machten wir eine Zeitung mit positiven Nachrichten aus einer Zukunft, in der die Menschen nicht mehr warteten, sondern ihr Leben in die Hand nahmen. In dieser nahen Zukunft waren die – damals vor der Pleite stehenden – Opelwerke in Belegschaftshand und stellten intelligente öffentliche Transportmittel statt Spritfresser her; eine Weltwährung nach Vorbild von Keynes’ Bancor war geschaffen und verhinderte Handelsungleichgewichte und Währungskriege; erstmals wurden Ölkonzerne und andere Klimasünder juristisch für die Folgen ihrer Handlungen haftbar gemacht. Das Ganze kam daher im traditionellen Layout der „Zeit“ und wurde von Attac-Gruppen in über 100 Städten an mehr als 300.000 Menschen verteilt. ZDF-„heute“ und andere Medien berichteten ausführlich, „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, beeindruckt von der Qualität des Plagiats – in dem auch die Nähe seiner Zeitung zu wirtschaftlichen und politischen Elitezirkeln kritisiert wurde –, lud uns nach Hamburg zur Blattkritik ein, und die Otto-Brenner-Stiftung verlieh uns den Medienpreis für kritischen Journalismus.

 

Oberflächliche Talkshows

Einer der Journalisten, die über das Plagiat berichteten, war David Goeßmann. Bei der Begegnung stellten wir schnell fest, dass wir beide ähnlich unzufrieden mit der deutschen Medienlandschaft waren, besonders mit dem Fernsehen, das uns, mitten in der Finanzkrise, mit oberflächlichen Talkshows und den immer gleichen „Experten“ abspeiste, die trotz ihrer stets falschen Voraussagen die Sendungen dominierten. Und beide waren wir begeisterte Zuschauer des amerikanischen Senders „Democracynow“, wo wir die ersehnten Hintergründe und Kontexte fanden, die wir im deutschen Fernsehen so vermissten. Democracynow wurde vor mehr als 20 Jahren von Amy Goodman, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, gegründet, und sendet täglich eine Stunde über Internet und ein Netzwerk von über 800 lokalen Sendern. Um von den Einflüssen von Konzernen, Werbekunden und Regierungen unabhängig zu sein, verzichtet der Sender ganz auf Werbung und finanziert sich ausschließlich über Spenden.

David und ich hatten beide das Gefühl, dass es höchste Zeit wäre, so etwas auch in Deutschland ins Leben zu rufen. Dem Trommelfeuer von zusammenhangslosen Schnipseln von Krisen- und Gewaltnachrichten wollten wir etwas entgegensetzen, das den Zuschauer als denkenden Menschen ernst nimmt und ihn zum Engagement anregt, statt Ohnmacht und Apathie auszulösen. Wir wollten den vielen beeindruckenden Menschen auf der ganzen Welt, die mutig neue Wege hin zu einer lebenswerteren Welt beschreiten, aber in den Mainstream-Medien kaum vorkommen, eine Stimme geben. Die Entwicklung des Internets und die extreme Verbilligung von fernsehtauglichen Kameras machten es denkbar, auch mit wenigen Mitteln ein Fernsehen von unten zu machen. 

 

Keine Werbung 

Allerdings hatten wir uns am Anfang alles einfacher vorgestellt. Wir hatten gedacht, eine so zündende Idee ließe sich leicht finanzieren. Doch tatsächlich zeigte sich, dass es in Deutschland praktisch keine Förderungsstrukturen gibt, die kontinuierliche journalistische Arbeit finanzieren. Sponsoring und Werbung kamen für uns nicht in Frage – das machte die Sache nicht leichter. Aber all das hielt uns nicht davon ab, einfach anzufangen. Mit unserer Pilotsendung zum Klimagipfel in Kopenhagen stürzten wir uns ins kalte Wasser, luden gleich fünf Studiogäste ein, darunter zwei Gäste aus Lateinamerika, die im Rahmen einer Klimakarawane nach Kopenhagen unterwegs waren, den renommierten Klimaforscher Hartmut Graßl und schließlich – per Skype-Schaltung – Rob Hopkins, Gründer der Transition-Town-Bewegung in England. Dass die erste Sendung – trotz aller Kinderkrankheiten – funktionierte und wir gleich viel Zuspruch von Zuschauern bekamen, hat uns ermutigt, weiter zu machen. Seitdem haben wir über 20 Sendungen produziert, mit Gästen wie Noam Chomsky – der Kontext TV auch offiziell unterstützt –, der indischen Ökologin und Frauenrechtlerin Vandana Shiva, dem Weltsystemtheoretiker Immanuel Wallerstein, Harald Schumann (einem der letzten wahrhaft investigativen Wirtschaftsjournalisten Deutschlands), mit Aktivistinnen wie Maude Barlow, die seit mehr als 20 Jahren gegen die Zerstörung und Privatisierung unserer Wasserreserven kämpft, mit Amy Goodman (die noch immer ein leuchtendes Vorbild für uns ist) und Heiner Flassbeck, der als Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung mit großem Elan gegen die Zerstörung Europas durch die Merkel-Regierung und die Finanzmärkte angeht.

Die meiste Arbeit verrichten wir als Redaktionsteam zusammen mit den etwa 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch immer ehrenamtlich. Ein langsam wachsender Förderverein deckt die laufenden Kosten –  und wird hoffentlich bald auch eine Teilzeitstelle ermöglichen. Aber wir wollen lieber langsam durch die Unterstützung unserer Zuschauer wachsen als schnell durch die falschen Geldgeber. Das Schöne daran, bei uns Fördermitglied zu werden, ist: Man weiß, dass man ein Fernsehen fördert, das nicht den wirtschaftlichen und politisch Mächtigen dient, sondern den Menschen, die einen sozialen und ökologischen Wandel gestalten wollen.


Abb 2: Die indische Ökologin und Frauenrechtlerin Vandana Shiva

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