The long way home

Drogen, Therapien, Workshops – unser Autor Mushin J. Schilling benutzte jede Art von Hilfmitteln auf seiner Suche nach sich selbst. Die Auflösung der persönlichen Verwicklung sah dann allerdings ganz anders aus, als er gedacht hatte. Über eine spirituelle Reise durch die Zeit

 

Meine bewusste Suche danach, worum es in diesem Leben geht, fing Ende der 60er Jahre an, als Erleuchtung und Befreiung noch äußerst exotisch waren und höchstens von Aussteigern ernst genommen wurden. Ich war Hippie und nahm neben anderen „Bewusstseinsaufhellern“ eine Menge LSD. Dieses enthüllende Mittel zeigte mir unmissverständlich, dass die allgemein für wahr gehaltene Wirklichkeit nur ein winziger Zipfel eines unendlichen Raums ist, in den hinein sich das Bewusstsein entfalten kann.
So wurde ich zum Anhänger der „kalifornischen Spiritualität“, zu deren Leitfiguren u.a. Timothy Leary, Alan Watts, Ram Dass, Jack Kerouac und John Lilly gehörten. Ein Epizentrum dieser untraditionellen Spiritualität war das inzwischen berühmte Esalen-Institut, zu dem alle hinpilgerten, die in der damals virulenten „Bewusstseinsszene“ Neues ausprobieren wollten. Diese so genannte „Human Potentials“-Bewegung wurde von der Gestalttherapie, der Urschrei-Therapie oder dem Encounter und vielen anderen neuen westlichen Psychologien ebenso geprägt wie vom Buddhismus und Hinduismus mit seinen vielen Gurus.
Die Beatles pilgerten zu Maharishi Mahesh Yogi, die Rolling Stones empfanden „Sympathy for the Devil“ und Mitte der 70er begann ein indischer Guru Furore zu machen: Bhagwan Shree Rajneesh – der heute vielen nur noch als Osho bekannt ist – und den die BILD und der Stern Ende der 70er zum „Sex-Guru“ hochstilisierten. Der empörte, Auflagen steigernde Aufschrei hatte wohl weit mehr mit den feuchten Träumen spießbürgerlicher Zeitgenossen zu tun als mit irgendeiner Kenntnis dessen, was in Poona – Bhagwans Zuhause – wirklich stattfand.

 

Mushin_Osho_72.jpgMir gefielen die weiblichen „Sannyasins“, Oshos Anhängerinnen, sehr. Irgendwie schienen seine Meditationen und Methoden die schönsten Frauen der Welt anzuziehen – aber nicht nur sie, auch viele der besten Therapeuten der „Human Potentials“-Bewegung zog es nach Poona. Mich – trotz der Frauen – allerdings nicht. Als „Psychonaut“, der bis Ende der 70er mit LSD, Meskalin, Zauberpilzen und -kräutern experimentierte, kam mir das alles zu ‚indisch‘ vor. Mein Ego auf- oder einem Guru hinzugeben, war nicht mein Stil. Das war mir alles zu unkritisch, altbacken, ‚unwestlich‘ und – mit all den Gewändern und Rolls Royces – zu barock.

Dann las ich ein Buch von Franklin Merrell-Wolff, einem ehemaligen Mathematiker, den die Erleuchtung Mitte der 30er Jahre ereilt hatte: „The Philosophy of Consciousness without a Subject and an Object“. Ein Buch, das meinen Verstand bediente und nach dessen Lektüre ich zu glauben begann, dass die im Osten so heiß gehandelte Erleuchtung auch für jemanden wie mich, einen philosophisch angehauchten Wahrheitsjunkie, eine echte Möglichkeit war. Ich beschloss, in diesem Leben erleuchtet zu werden, aber … ich hatte eine Bedingung: Es musste in der Stadt geschehen, etwas, das Merrell-Wolff explizit nicht für möglich hielt. Aber wenn er Recht hatte, sagte ich mir, dann haben 60% der Weltbevölkerung keine Chance – und Erleuchtung wäre für uns alle nicht wirklich relevant. Also entweder in der Stadt oder gar nicht.

 

Ein Tritt in den Hintern

Und dann kamen die ersten Poona-Therapeuten in den Westen, machten aussergewöhnliche Dinge in großen Gruppen und gaben der gesamten Psychologie und Philosophie, die trotz der Human-Potentials-Bewegung noch immer ziemlich freudianisch und autoritär geprägt war, einen Tritt in den Allerwertesten. Ein Tritt, der bis heute nachwirkt und fast alle Therapieformen und spirituellen Methoden nachhaltig beeinflusst.

Irgendwann kamen dann auch die Indianer und solche, die sich dafür ausgaben. Bei einem, Art Reade, machte ich zusammen mit 120 anderen 1983 das so genannte „Basic“, das mich tief in das „positive Denken“ einführte und in die Kunst der Affirmation. Das befriedigte zwar mein Denken, aber spirituell erwies es sich eher als dürftig. Immerhin: Es gab inzwischen Gruppenräume, die groß genug waren, um so viele Teilnehmer aufzunehmen – der Markt entwickelte sich. Brigitte und Cosmopolitan brachten die ersten Artikel über Yoga und wie gesund das ist, und Der Spiegel mokierte sich süffisant und intellektuell eher unlauter über das ganze bunte Völkchen.

 

Der Urgrund der Existenz

Ein Jahr später lernte ich meinen Lehrer Michael Barnett kennen – den als Somendra bekannten einstigen Star von Bhagwans Sannyas-Bewegung. Spiritualität, die wirklich etwas bedeutete, sollte mir eine konkrete Erfahrung verschaffen – und das geschah auf meiner ersten Gruppe mit ihm. Plötzlich öffneten sich die Dimensionen erneut, an denen ich ein Jahrzehnt zuvor in meinen Drogenexperimenten – wie mir nun klar wurde – lediglich geschnuppert hatte. Ich fiel erstmals tief hinein in den „strahlenden subjekt- und objektlosen Raum“, den undifferenzierten Urgrund der Existenz.

 

„Esoterisches Zeug“

Anfang der 90er erweiterten dann die Satsang-Bewegung, die Familienaufstellungen nach Hellinger und der prophezeite Weltuntergang zur Jahrtausendwende den bereits üppigen „Nudel- topf“, an dem sich der spirituell Suchende laben konnte. Mitte der 90er ging mir das ganze esoterische „Zeugs“ allerdings immer mehr auf den Senkel. Mir wurde schmerzlich bewusst, wie sehr die Suche nach Sinn und Spiritualität mit Geplapper und allerlei Schnickschnack vermischt ist. Aber das war erst der Anfang meiner ‚spirituellen Krise‘. Nach und nach wurde mir klar, dass ich, wie die meisten anderen Menschen, eigentlich auf der Suche nach Trost war – denn wir waren verletzt vom Leben und unseren Beziehungen, auch von der offensichtlichen Ungerechtigkeit, Oberflächlichkeit und dem extremen Egoismus einer Welt, die offenbar nur an Beweisen, Wirtschaftlichkeit und Nützlichkeit des Lebens interessiert ist.

 

Erleuchtung in der Großstadt

So nahm ich einen Konflikt mit meinem spirituellen Lehrer zum Anlass, mich nicht nur von ihm und seiner Wild Goose Company abzuwenden, sondern ich fand die ganze Spiritualität schlicht zum Kotzen. Ich konnte keines der Bücher zum Thema aus meinem Schrank nehmen, ohne dass mir speiübel wurde. „Re-inkarnieren kann jeder“, sagte ich damals einem Freund, „aber ich werde jetzt nur noch in-karnieren: Ich werde Fleisch; Materie und sonst nichts. Der Rest ist sowieso nur Gespinst – einfach nur eine Variante der Wirklichkeitsflucht, wie man sie auch bei Schrebergärtnern, Fußballvereinen oder Kirchgängern findet. Es hat mir was gebracht, solange es dauerte – und jetzt ist es vorbei.“

Und dann, als ich eines Tages durchs Fenster ein paar Krähen bei ihrer Luftakrobatik zuschaute, ereignete sich meine „völlige Ernüchterung.“ Mir wurde klar, dass weder ich noch mein Leben einen „Sinn“ haben, dass wir alle nirgendwohin gehen; dass das Universum kein Ziel hat und keinen Grund; dass es im Wesentlichen in dieser Welt – und überall sonst – um nichts geht. Und auf einmal war ich frei! Plötzlich durfte alles einfach so sein, wie es ist – nichts musste sich ändern und niemand. Alle Motive verschwanden. Und ein paar Tage später tat sich eine weitere Tür auf: Alles, jeder Stein und jeder Vogel, jeder Baum und jede Blechdose, alles, alles feiert seine Existenz – insgeheim, vielleicht, aber für mich ganz offensichtlich. Das Dasein ist ein völlig sinn-, grund- und zielloses Fest.

 

Eine spirituelle Reise durch die Zeit – Reise von Moment zu Moment

Und nun enthüllte sich meine Reise bis zu diesem Moment auf ganz neue Art; der ganze spirituelle Weg, all die zahllosen Methoden – ich musste sie alle abhaken, bevor ich bereit war, die einfachste aller Wirklichkeiten zu akzeptieren: grundloses Dasein, zielloses Bewusstsein und pragmatisches Handeln. All meine vielen und teils radikalen Bemühungen und der Weg, den ich bis dahin gegangen war, hatten mich dahin gebracht, eine simple Wirklichkeit zu akzeptieren, die mir den Teppich ein für allemal unter den Füßen wegzog und mich zu Fall brachte.

Aber das war nur der Start einer neuen Etappe auf einem unbekannten Weg, den ich heute gehe. Denn obgleich es kein Ziel gibt, so entfaltet sich doch alles seiner Natur gemäß – und das Erstaunliche ist: wenn man dieser Entwicklung nicht im Wege steht mit Bestrebungen, Sinngebungen und erhabenen Zielen, dann nimmt all das, was wahr, schön und gut ist, auf immer mehr Ebenen Gestalt an. Denn alles speist sich aus der Quelle, dem grund- und bodenlosen Fest der Existenz.

Heute sehe ich die zahllosen Methoden, die esoterischen und spirituellen Angebote als unvermeidliche Zweige und Äste am Baum einer natürlichen Entwicklung, die jeden, der bereit ist, sich ihr offen und ernsthaft zu widmen, an die Quelle führt – und vielleicht auch darüber hinaus.

 


 

Dieser Artikel wurde erstmals im Juli 2003 in SEIN veröffentlicht.

Abb.: © Jürgen Rogner
Abb 2: Osho – für Psychonauten zu indisch

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