Der Österreicher Thomas Hübl gehört zu den verwirklichten Menschen, die in ihren Satsangs und Workshops immer mehr Zulauf erhalten. Kein Wunder: Sein pures Sein ist angenehm zurückhaltend, offen und doch äußerst kraftvoll. Man spürt, dass da ein Mensch sitzt, der nichts will, sondern einfach da ist, um andere auf ihrem Weg zu unterstützen. Diese Haltung zeigt sich auch im Verständnis seiner selbst: ein Katalysator ja, aber kein Lehrer. Worum es ihm geht, ist „Sharing the presence“ – im Moment miteinander ganz da zu sein – einfach da sein.

SEIN: Kann man etwas tun, um zu erwachen und wenn ja, was?
Thomas Hübl: Im Prinzip kannst du nichts machen. Alles, was du machst, ist ein Versuch, dich selbst zu verhindern. Alles Machen entsteht aus einem Versuch, in der gleichen Ebene etwas zu tun, wo du bist. Und damit bleibst du auf dieser Ebene, kommst nicht darüber hinaus. Und doch gibt es Wege, wie du dein Bewusstsein so weit öffnen kannst, dass du das Konstrukt an Persönlichkeitsebenen und Seelenebenen loslassen kannst.

SEIN: Ist das mit einem Mal getan?
Thomas Hübl: Das kann so sein, kann aber auch in Schritten geschehen. Die verschiedenen Wege helfen, die in unseren Konzepten gebundene Energie zu lösen, sodass wir entspannter sind und leichter loslassen können. Auf der anderen Seite kann das Loslassen auch dann geschehen, wenn du sehr verkrampft und in deinem Drama gefangen bist, weil irgendwann der Moment kommt, in dem du das nicht mehr halten kannst.

SEIN: Wie hilfst du den Menschen, aus ihrem Drama auszusteigen?
Thomas: Ich bin einfach nur da. Ich nenne meine Workshops darum auch „Sharing the presence“. Wir kommen einfach zusammen und es entwickelt sich ein Feld. Diese Energiestruktur ist die Grundlage für das, was passieren will. Und da gibt es kein Konzept. Ich sitze da, der mind ist still und plötzlich beginnt „ES“ zu sprechen oder es entsteht eine Möglichkeit, wie die Interaktion aussehen soll. Vorher gibt es keine Überlegung, was passieren soll. Wir sitzen einfach in Stille und plötzlich kommt etwas durch: Sprache, Begegnungen, Übungen, was auch immer. Es entsteht ein Prozess, in dem der Verstand zunehmend ruhiger wird und wir in einen immer tieferen Zustand des Daseins gleiten, immer mehr im Hier und Jetzt ankommen.

SEIN: Wie kann ein Erleuchteter das Erwachen unterstützen?
Thomas Hübl: Ich glaube, dass das Zusammensein mit Menschen, die in einem erwachten Zustand leben, die in einer tieferen Ebene des Seins ruhen, wie ein Katalysator wirken kann. Ein Erwachter repräsentiert ein Feld von Loslassen und die anderen Menschen können sich in dieses Feld einklinken. Sie gehen in Resonanz. Aber das alles ist nicht unbedingt notwendig. Es gibt alle Möglichkeiten zu erwachen, die du dir vorstellen kannst.

SEIN: Wie arbeitest du mit den Menschen, die zu dir kommen, damit das Loslassen leichter geschehen kann?
Thomas Hübl: Es gibt mehrere Ebenen, auf denen wir gemeinsam Zeit verbringen und schauen, was da passieren will. Das eine ist, zu schauen, wo im Energiesystem die stärksten Kontraktionen sind, die stärksten Neins, wo du dich dem Lebensfluss am stärksten entgegen stellst. Die andere Ebene ist die, dich zu unterstützen, dich selbst klarer zu sehen. Es kann sein, dass du einfach eine Frage stellst und ich antworte. Es kann auch sein, dass plötzlich ganz skurrile Sachen kommen, die dich ganz klar widerspiegeln. Darin liegt eine Chance für ein Erkennen, für einen Klick. Das führt dann oft zu einem höheren Zustand von Präsenz, von wachem Dasein, um so etwas wie einen ersten Geschmack zu bekommen, worum es geht. Im Grunde kennst du es ja, aber du schaust permanent woanders hin. Es gibt öfter Momente, in denen das Fixiertsein auf das Wegschauen plötzlich aufhört. Das ist dieser Klick. Du bist da, ohne dass du es verstehst mit dem Verstand. Du erkennst, dass dann, wenn du in dich reinschaust, nichts drin ist, dass da Leere ist.

SEIN: Manifestiert sich das Nichts immer öfter und leichter, je öfter du Kontakt dazu bekommst?
Thomas Hübl: Ja, diese Erfahrung intensiviert sich dann immer mehr, du sinkst immer tiefer in dieses Nichts-Sein. Dadurch, dass du immer wieder in diesen Zustand fällst, erkennst du, dass das dein Zuhause ist. Und der, der das als sein Zuhause erkennt, fällt langsam weg. Was übrigbleibt, ist einfach das Leben ohne die ganze Filterstruktur dazwischen.

SEIN: Ich habe gehört, dass du die Energiematrix der Menschen siehst. Was genau kann ich mir darunter vorstellen und wie arbeitest du damit?
Thomas Hübl: Ich sehe, wo bei den Menschen die Neins sitzen, wo die Matrix des Lebens Knoten hat. Und dann versuchen wir herauszufinden, ob sich da etwas bewegen will, damit die Leute mehr Freiheit erleben. Oft sehe ich ein ganz grelles Licht, das langsam in die Gruppe fließt, das die Bereitschaft des Einzelnen erhöht, damit sich diese Konten lösen. Ich nenne dieses Licht einfach die Quelle. Das Feedback der Menschen ist tatsächlich so, dass mir viele erzählen, dass im Laufe des Prozesses bestimmte Sachen einfach weggefallen sind, dass da eine echte Öffnung geschehen ist, sodass sich ihr Leben wirklich verändert. Das Schöne ist: Wenn du nicht mehr so stark in deinen Konzepten hängst, bekommst du viel mehr vom Leben mit.

SEIN: Was zum Beispiel?
Thomas Hübl: Du siehst beispielsweise andere Menschen auf einer tieferen Ebene, siehst ihre Reaktionsmuster und warum sie sich so verhalten. Du nimmst einfach in größeren Zusammenhängen wahr.

SEIN: Ist es eigentlich wichtig, woher unsere Neins kommen?
Thomas Hübl: Nein. In jedem von uns gibt es Geschichten. Was wir machen, ist hinter die Geschichte zu schauen. Wir schauen, was jetzt in diesem Moment da ist. Es kann ein mentales Verstehen geben, wenn sich ein Knoten löst, aber das muss nicht sein.

SEIN: Warum sind wir eigentlich nicht im Sein, woher kommt die Fixierung auf die Neins?
Thomas Hübl: Es ist ein ganz natürlicher Prozess sich zu inkarnieren, um die Erfahrung des Getrenntseins zu machen, um sich dann wieder zu öffnen. Anfänglich bist du in einem Zustand des All-Eins-Seins und baust dann immer mehr die Vorstellung auf, dass du ein getrenntes Wesen bist. Wenn du in deinen Konditionierungen hängst, ist das, wie wenn du ein Computerprogramm hast, das sich immer wieder aufhängt. Ich sehe die Wachheit der Menschen, erkenne aber gleichzeitig, wie sich die Impulse aus dem Kern immer wieder in diesen Konditionierungsschleifen verfangen und darauf beschränken. Ähnlich wie eine Maschine funktioniert. Da gibt es ein riesiges Potenzial, das sein könnte, doch es läuft immer wieder auf der gleichen, kleinen Ebene ab. Meine Aufgabe besteht darin, den Menschen zu helfen, sich darüber bewusst zu werden, was da abläuft und dass sie das alles selbst machen. Ich spreche ihr bewusstes Sein an, die Ebene von Wachheit, damit sie erkennen, was sie da machen. Wenn sich im Zusammensein ein solches Fenster des Verstehens öffnet – das sind diese „Klicks.“ In dem Moment bricht das Programm auf und die Konditionierung fällt weg. Es kann durchaus sein, dass dann noch Wellen nachkommen, aber du hast es gesehen und verstanden. Damit bist du größer als das Muster und es kann dir nicht mehr wirklich etwas anhaben. Wenn sich wirklich so ein Knoten löst, dann befreit sich unglaublich viel Energie. Das ist der Schritt in die Freiheit.

SEIN: Kann es nicht sein, dass wir uns wieder verlaufen und in das alte Muster zurückfallen, weil an anderer Stelle noch viel Energie gebunden ist?
Thomas Hübl: Das kann durchaus geschehen, aber der Knoten ist dann nicht mehr so fest und löst sich jetzt viel schneller.

SEIN: Haben wir darauf Einfluss, ob wir uns in diesen Konditionierungen drehen? Können wir im normalen Leben die Knoten erkennen oder müssen wir hilflos zusehen, wie immer wieder das alte Programm abläuft?
Thomas: Wir sind nicht die Opfer unserer Muster. Auf einer Ebene, ob du dir dessen bewusst bist oder nicht, entscheidest du dich, in dieses Muster zu gehen. Je präsenter du bist, mit dem was passiert, je mehr du wirklich hier bist, desto mehr bekommst du mit, wo sich die Weiche stellt. Und dann kannst du bewusst da bleiben. Du kannst sehen, dass es eine Tendenz gibt, in das Muster zu gehen, aber du kannst wählen, da nicht hinzugehen. Du kannst einfach in der Einheit bleiben. Aber das ist kein Tun. Du bewegst dich nicht. Du siehst die Weiche und entspannst dich in den Moment hinein. Die Energie des Einheitsbewusstseins hat einfach eine höhere Attraktion als das alte Muster. Und mit jedem Mal, wo das Muster nicht anspringt, wird es schwächer, es verliert an Energie. Es ist zwar immer noch da, hat aber keine Kraft mehr.

SEIN: Wir stehst du zu Methoden wie Psychotherapie, Meditation oder Yoga?
Thomas Hübl: Für mich gibt es keine generellen Konzepte. In jeder Technik, die es gibt, liegt ein wahrer Kern. Und der ist wirksam. Doch was für den einen sehr unterstützend sein kann, kann für den anderen genau das Gegenteil sein. Es gibt viele Bewusstseinsebenen, bis du dieses All-Eins-Sein erkennst. Je nachdem, wo Menschen stehen, gibt es Methoden, die zu ihnen passen. Es ist eine Frage der Resonanz. Für den einen ist es gut, Zen-Buddhismus zu praktizieren, weil das sehr zentriert, für andere ist es aber zu rigide, es unterstützt vielleicht sogar noch ihre Muster.

SEIN: Wie geschah dein Erwachen? Haben dich bestimmte Methoden unterstützt?
Thomas Hübl: Es gab durch Meditation mehr und mehr Erfahrungen, in denen sich diese Ebene von Dasein geöffnet hat. Und dann irgendwann gab es ein ganz eindrückliches Erlebnis, in dem sich das, was der Thomas ist, aufgelöst hat und dieses Nichts übrig geblieben ist.

SEIN: Gab es Rückfälle in Egostrukturen?
Thomas Hübl: Es gibt immer Schwankungen. Beim Sprechen darüber oder in Workshops ist das Sein sehr präsent, und dann gibt es Momente, in denen es zwar auch da ist, aber mehr in den Hintergrund tritt. Doch das löst sich dann schnell wieder auf und das Einheitsbewusstsein scheint wieder hervor. Es ist ein ständiges Vertiefen. Eine Reise ohne Ende – ohne einen, der reist.

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