Fast alle Eltern würden wohl behaupten, dass sie ihre Kinder zu mehr Ehrlichkeit erziehen wollen. Bei der Behauptung bleibt es aber anscheinend auch, denn wie eine Studie jetzt beweist, sind sie in puncto Lügen allzu oft nicht die besten Vorbilder. Wenn man Kind ist, sollte man den „Großen“ also besser nicht alles glauben: Auch Eltern lügen.

Besonders merkwürdig: Vor allem Eltern, die angeben, dass ihnen Ehrlichkeit besonders wichtig ist und die ihre Kinder teilweise sogar fürs Lügen betrafen, erziehen ihre „Zwerge“ besonders häufig mit Unwahrheiten. Überhaupt scheinen Eltern wenig moralische Bedenken beim Anlügen ihrer Kinder zu haben – der Zweck heiligt hier offenbar die Mittel.

Die Motive der Eltern für das Anlügen der Kinder unterteilte die Studie in zwei Kategorien: 1. unwahre Schmeicheleien („Das hat du aber toll gemalt, wirklich ganz toll!“) und Lügen, mit denen das Kind zu einer Verhaltensänderung bewegt werden sollte („Wenn du jetzt nicht … dann kommt das Kindermonster!“). Nicht gewertet wurden dabei spielerische Lügen und religiöse Inhalte („Dann ist der liebe Gott ganz traurig“).

Das Verhalten der Eltern in Bezug auf Lügen ist deshalb fatal, weil Kinder weniger auf das achten, was ihre Eltern behaupten, als auf das, was sie tatsächlich tun. „Modelllernen“ heißt das in der Pädagogik: Kinder kopieren das Verhalten ihrer Vorbilder und sind dabei längst nicht so dumm, wie sie manchmal scheinen mögen. Kinder anlügen, heißt ihnen beizubringen, wie man lügt. Und das man lügt.

Eltern lügen zum Wohl des Kindes?

Vielleicht glauben manche Eltern, es sei vor allem zum Wohl des Kindes, wenn sie hin und wieder mal ein wenig Flunkern. Letztendlich ist es aber wohl vor allem Bequemlichkeit – denn Ehrlichkeit kostet viel Kraft, erfordert geduldiges Erklären und vielleicht muss man dafür dem Kind gegenüber auch die Illusion aufgeben, allwissend zu sein, immer eine Antwort parat zu haben. Letztendlich gibt es aber keine Lügen zum Wohl des Kindes – nur solche zum Wohl der Eltern.

Denn eines ist sicher: Durch nichts lässt sich Vertrauen so nachhaltig zerstören wie durch eine Lüge. Kindern gegenüber ehrlich zu sein, heißt, ihnen stets das Gefühl zu geben, dass sie ernstgenommen sind und respektiert werden. Und das bedeutet nicht, sie wie Erwachsene zu behandeln und alles auszudiskutieren – das hieße, ihnen zu viel abverlangen. Aber sie haben durchaus das Recht zu erfahren, warum Grenzen dort sind, wo sie sind. Manches kann ein Kind vielleicht noch nicht verstehen – aber auch das kann man ihm dann durchaus so sagen, zusammen mit einer „ungefähr-so“-Erklärung.

Selbstbewusstsein

Und die gelogenen Schmeicheleien sind wohl dafür gedacht, das Selbstbewusstsein des Kindes zu erhöhen – aber tun sie dies? Oder wird das Selbstwertgefühl des Kindes auf diese Weise stets von äußeren Urteilen abhängig sein? Erziehen wir das Kind damit langfristig nicht sogar dazu, das zu tun, was andere toll finden, statt das, was es selbst will?

Warum fragen wir das Kind nicht lieber, was es beim Malen eines Bildes empfunden hat, was es daran am liebsten mag und sagen ihm, dass wir uns freuen, wenn es Spaß an etwas hat. Sollten wir Kindern nicht beibringen, dass es nicht darauf ankommt, was andere meinen und sagen, sondern darauf, dass es selbst erfüllt ist und Freude empfindet? Dass unsere Liebe und Anerkennung dem Kind als sich entfaltendem Wesen gilt – und nicht seinen Leistungen? Wird das Kind durch die ständigen Schmeicheleien nicht unweigerlich eine herbe Enttäuschung erleben, wenn auf einmal nicht mehr alles „toll“ ist? Teilweise fragen Kinder jedoch direkt nach einem Werturteil und dann sollten sie ruhig auch ein aufrichtiges bekommen. Solange sie wissen, dass die Liebe und Bewunderung ihnen jenseits aller Urteile sicher ist, wird sie auch ein negatives Feedback kaum in eine Krise stürzen – vielleicht lernen sie sogar zu sagen „Aber mir gefällt es!“ Kinder brauchen ganz sicher Anerkennung – aber ehrliche.

Und ist es so schlimm auf ein „Warum?“ mal keine Antwort zu wissen? Man könnte ja auch mit dem Kind abends im Lexikon stöbern, die Lösung gemeinsam herausfinden. Eine Lüge ist jedoch allemal bequemer.

Integrität

Lügen spielen eine große Rolle in unserer Gesellschaft. Das beginnt beim „Wie geht es ihnen“ und reicht bis in unsere Liebesbeziehungen. Wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, sollten wir uns selbst um Integrität bemühen und vor allem damit beginnen, unseren Kindern etwas anderes vorzuleben.

Oder was meint die Leserschaft – ist Lügen in Ordnung?

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