Wir leben in einer Zeit der Revolutionen. Fast jede wissenschaftliche Disziplin muss derzeit drastisch umdenken – und selbst die noch recht junge Genforschung hat schon die erste kopernikanische Wende hinter sich.

Die so genannte Epigenetik räumt gründlich mit Vorstellungen auf, die gerade erst richtig in der Gesellschaft angekommen waren. Sie zeigt: Gene sind alles andere als starr oder schicksalsbestimmend. Sie lassen sich durch Ernährung, Lebensstil und den Geist ein Leben lang sozusagen „umschreiben“: Jeder Mensch kann seine Gene fast willentlich an- und ausschalten – und diese Veränderung sogar an seine Kinder weitervererben.

Die Gene sind nicht unser Schicksal

Es war der Gipfel des materialistischen Denkens: Unser Erbgut, ein klein bisschen Chemie sollte unser Aussehen, unsere Persönlichkeit, unsere emotionalen, intellektuellen und gesundheitlichen Veranlagungen bestimmen. „Die Gene sind unser Schicksal“ echote es allerorten durch die Presse und wöchentlich glaubte man, das „Raucher-Gen“, das „Depressions-Gen“, oder dergleichen mehr gefunden zu haben. Man meinte gar, der Natur nun endlich auf die Schliche gekommen zu sein: Das Human Genome Project bräuchte den Code nur noch entschlüsseln, und der Mensch wäre für die Wissenschaft fortan kaum mehr als eine Maschine, vorhersagbar bis auf das Lieblingsgericht.

Damit ist es aus. Das gesamte bisherige Wissen über unsere Gene und unsere Vorstellung über eine genetische Identität muss schon wieder zu den Akten gelegt werden. Denn wie die Epigenetik zeigt, sind unsere Gene nicht das Gehirn unserer Zellen, sondern vielmehr eine Art Bibliothek von Programmen, die je nach Bedarf aktiviert werden können.

Gene an- und ausknipsen

Eigentlich, so wissen wir jetzt, haben wir zwei Genome: Unsere DNS uns das Epigenom, das bestimmt, welche Informationen aus der DNS ausgelesen werden. Die so genannten „epigenetischen Marker“, kleine chemische Anhängsel, die entlang des Doppel-Helix-Strangs verteilt sind, wirken wie Schalter, die Gene an- oder ausknipsen können. Methylgruppen heften sich an die DNS und verhindern dadurch, dass ein Gen ausgelesen werden kann – man spricht von der Methylierung eines Gens. Und ob ein Gen methyliert und damit ein- oder ausgeschaltet wird, das hängt von den äußeren Umständen ab – eine Revolution in der Genforschung. Der Körper reagiert damit nämlich dynamisch auf Umwelteinflüsse und schreibt das aktive genetische Material quasi laufend um. Das dürfte es nach Darwin gar nicht geben. Und zur großen Überraschung der Forscher wird das Epigenom sogar noch bis in die dritte Generation an Nachkommen vererbt.

Epigenetische Veränderungen können durch viele Faktoren ausgelöst werden. Nahrung, Umwelt. Emotionen, Meditation und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen schalten munter in unserem Erbgut herum. Forschungen haben klar gezeigt: Intelligenz, Gesundheit und Charaktereigenschaften lassen sich nachträglich verändern. Unser Geist ist stärker als die Gene. Die Gene steuern uns – aber wir steuern auch sie.

 

Radikales Umdenken

Die Epigenetik entwirft damit ein völlig neues Bild von der Rolle der DNS und ihrer Wechselwirkung mit der Umwelt. Sie ist ein Erdrutsch für das materialistisch-deterministische Denken der Vergangenheit: Unsere Gene sind wandelbar, kreativ, dynamisch. Dachte man bisher, nur über Generationen und durch Selektion und zufällige Mutation in diesem starren Schicksals-Code könnten neue Eigenschaften entstehen, so weiß man jetzt: Unser Lebensstil, unser Verhalten und unsere geistige Verfassung sind kreativer Bestandteil der Evolution – und die scheint damit weit mehr zu sein, als die von Darwin postulierte Verkettung zufälliger Mutationen.

Unsere DNA reagiert mit epigenetischen Phänomenen auf ihre Umwelt. Und sie hat ein Gedächtnis. Nicht nur was in den Genen steht, ist entscheidend, sondern auch, was diese Gene erleben. Sie reagieren auf Erfahrungen, Emotionen und soziale Reize ebenso sensibel, wie auf Gifte aus der Umwelt.

Der Spielraum für den Menschen ist damit tatsächlich sehr groß. Fast alles, was man bisher genetisch erklärte, ist tatsächlich viel mehr eine Folge von Erfahrungen. Versuche mit eineiigen Zwillingen – die vollkommen identisches Erbgut haben – können nun eindeutig nachweisen: Es sind die Lebensumstände und der Lebensstil, die den Ausschlag geben. Eine gute Diät verändert Hunderte Gene, Meditierende verändern tatsächlich die Struktur ihres Gehirns.

 

 

Trauma wird vererbt

Der Neurologe Michel Meaning wies als einer der Ersten nach, dass Gene aus Erfahrung lernen und Mutterliebe bei Mäusen über das Epigenom vererbt wird: Die Liebe der Mäuse-Mutter schaltet ein Gen an, das dafür sorgt, dass ein Rezeptor im Gehirn Stresshormone abbaut. Ohne die Liebe hingegen wurde das Gen ausgeschaltet und die Stresshormone gerieten so außer Kontrolle, dass die Mäuse auch ihren eigenen Nachwuchs lieblos behandelten – wodurch sie das Gen auch bei ihnen ausschalteten. Sobald man ein Junges jedoch in die Obhut einer liebvollen Mutter übergab, wurde das Gen wieder angeschaltet und auch so weitervererbt.

Sowohl Glück als auch Trauma betrifft also schon genetisch betrachtet nicht nur eine Generation, sondern Erfahrungen sind vererbbar. Ein Forscherteam der Universität Zürich konnte nachweisen, dass ein Trauma sich bei Mäusen epigenetisch an die drei nachfolgenden Generationen vererbt: Durch das Erlebnis werden bestimmte Gene methyliert und bleiben es auch in den nächsten Generationen ausgeschaltet, die dadurch die gleichen körperlichen Symptome und Verhaltensstörungen aufweisen – wohlbemerkt ohne dass es zu einer Mutation der DNS an sich kommt.

Dass Erfahrungen und die dadurch entwickelten Verhaltensweisen sich vererben lassen, hat weit reichende Konsequenzen: Wir haben damit buchstäblich die Erfahrungen unserer Ahnen in den Genen. Lawrence Harper, Psychologe an der University of California vertritt die These, dass unser epigenetisches Erbe und unsere Persönlichkeit sich gegenseitig sehr stark beeinflussen. Er geht davon aus, dass es auch beim Menschen mehrere Generationen dauert, um in einer Bevölkerung die epigenetischen Folgen von Armut, Krieg und Vertreibung zu heilen.

Das dürfte für viele Menschen, die sich mit alternativen Heilmethoden beschäftigen keine neue Information sein. DNS-Heilung, Klärung des Zellgedächtnisses und ähnliche Schlagwörter geistern schon länger durch die Szene – kommen wir einer wissenschaftlichen Erklärung näher?

 

Was wir schon immer wussten…

Die Epigenetik fördert Erkenntnisse zu Tage, die vieles unterstützen, was uns die ganzheitliche Heilkunde schon länger lehrt. Eine Studie mit Krebspatienten zeigte dies eindrucksvoll. Die Patienten mussten jeden Tag eine halbe Stunde spazieren gehen, meditieren und eine Diät aus frischem Gemüse, Obst, Körnern und Vitaminen einhalten – nach drei Monaten hatte der neue Lebensstil über 500 Gene auf förderliche Weise ein- oder ausgeschaltet und die Gesundheit dadurch nachhaltig verbessert.

Eine andere Studie zeigt, dass grüner Tee eine Reihe von normalerweise ausgeschalteten Genen aktiviert, die Krebstumore abbauen. Bei Agouti-Mäusen kann man allein durch erhöhte Zufuhr von Vitamin B12 und Folsäure die genetische Veranlagung zu Krebs und Diabetes ausschalten – und vieles dergleichen mehr. Vielleicht bringt uns die Genforschung, die von vielen eher als Gegensatz zu alternativen Heilmethoden angesehen wird, letztlich eine wissenschaftliche Grundlage auf der sich besser verstehen lässt, was Gesundheit wirklich ist.

Der Lebensstil, das zeigt die Epigenetik deutlich, hat erheblichen Einfluss auf unsere Gene. In zahlreichen Studien wurde der verheerende Einfluss von Stress, Rauchen, Fast Food und Suchtstoffen nachgewiesen. „Wenn ein Zwilling anfängt, zu rauchen, Drogen nimmt oder in eine Gegend mit höherer Luftverschmutzung zieht, selbst nur für ein Jahr, dann kann das epigenetische Profil deutlich voneinander abweichen. Das ist sehr dynamisch“, berichtet Manel Esteller vom spanischen Krebsforschungszentrum über Versuche mit eineiigen Zwillingen.

Unser Lebensstil beeinflusst sowohl unser eigenes Genom, als auch die Evolution der Menschheit als Ganzes – eine Verantwortung, der wir uns mit dem genetischen Determinismus schon enthoben glaubten.

Ist Spiritualität eine Sache der Gene?

Die Epigenetik dürfte auch im spirituellen Bereich viele interessante Spekulationen zulassen. Welchen Einfluss hat Meditation oder gar Erleuchtung auf das Epigenom? Werden hier wohlmöglich Gene aktiviert, die sonst in uns schlafen? Ist der Bewusstseinssprung, der uns bevorstehen soll, wohlmöglich auch ein genetisch-evolutionäres Ereignis? Können bestimmte Praktiken epigenetische Veränderungen bewirken? Ein ganzes Feld der Grenzforschung tut sich hier auf.

Vielleicht geht es uns am Ende, wie in dieser kleinen Geschichte: Ein Genforscher macht sich auf die Reise zum Gipfel der wissenschaftlichen Erkenntnis. Oben angekommen, trifft er dort meditierend den Erleuchteten. „Was machst den Du hier?!“ ruft er erstaunt aus. Der andere lächelt ihm zu: „Wo hast du denn so lange gesteckt?!“

 

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6 Responses

  1. Florian Dandler
    Epigenetische Thesen zu Ähnlichkeiten zwischen nicht verwandten Personen von Florian Dandler (Florian.Dandler@gmx.at)

    Epigenetische Thesen zu Ähnlichkeiten zwischen nicht verwandten Personen von Florian Dandler
    Email: Florian.Dandler@gmx.at

    Der Sohn erbt das Y-Chromosom immer vom Vater und hat das gleiche wie der Vater. Der Sohn kann aber vom Vater zu einem anderen Mann wechseln. Dadurch wird sein Y-Gen dem des anderen Mannes ähnlicher. Das macht vor allem dann Sinn, wenn der andere Mann stärker oder angesehener ist als der Vater oder einfach der Chef in der Arbeit. Denn Männer, die das gleiche Y-Chromosom haben, verstehen sich besser? Kann man als Mann öfters wechseln?

    Laut meiner Theorie ändert sich nicht nur das Y-Chromosom, sondern mehrere Gene. Und der Hauptgrund für die Änderungen sind Beziehungen.
    Vor allem der Phänotyp kann sich ändern.

    Ein Beispiel aus meiner Kindheit:
    Mein Freund J. E. sagte in der Volksschule zu mir: „Flo, du musst jetzt so wie ich auch braune Haare bekommen, sonst mag ich dich nicht mehr.“ Das hat mich schwer getroffen. Meine damals noch blonden Haare, wurden kurz darauf dunkelblond und immer dunkler bis sie einige Jahre später ca. gleich braun waren wie die Haare von J. E.
    Inzwischen bin ich 28 Jahre alt und habe noch immer braune Haare.

    Ich denke, dass es aus evolutionärer Sicht Sinn macht, sein Äußeres an die Mitmenschen „anzupassen“. Denn oft versteht man sich besser, wenn man sich ähnlich ist. Im Normalfall wird sich der hierarchisch niedriger gestellte dem in der Hierarchie höher gestellten anzugleichen versuchen und nicht umgekehrt. Und das kann nicht nur derart passieren, indem man versucht sein Verhalten nachzumachen, sondern eben auch auf der genetischen Ebene. Sichtbar ist das natürlich nur im Phänotyp.

    So gesehen kann es zwar ein Hinweis sein, dass die Mutter fremdgegangen ist, wenn der Sohn dem Fußballtrainer und Vorbild (fast schon) ähnlicher sieht als dem Vater, muss es aber nicht.

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  2. Ich
    Komplette Fehlinterpretation von Laien

    Es tut mir Leid Sie enttäuschen zu müssen, aber dieser Artikel wurde von einem Laien verfasst, welcher leider keinerlei Verständnis bezüglich des gesamten thematischen Zusammenhangs hat.
    Die Epigenetik beschäftigt sich vor allem mit der Regulation (An- & Ausschaltung) von Genen und die Vererbung eben jener Regulation. Es werden aber nicht, wie hier behauptet „Erfahrungen“ vererbt, sondern lediglich ein eventuell aktiv geschaltetes Gen.
    Daraus zu schließen, man könne mit irgendwelcher Spiritualität oder banalen Verhaltensweisen ein Gen aus und anschalten ist wunderbar naiv….
    Wer also die Sachzusammenhänge nicht kennt oder versteht, sollte diesen Artikel besser nicht lesen, da dieser fachlich nicht korrekt ist und zu fatalen Fehlinterpretationen führt.
    An den Genen kann man nach wie vor nicht rütteln, außer vor der Embryonalentwicklung. Man kann zwar später zufällige Mutationen hervorrufen durch Strahlung und chemische Mutagene, aber die Folgen wären unberechenbar und unerwünscht (z.B Tumore können auf diese Weise entstehen).
    Viele Gene werden von Hormonen reguliert z.B. für die geschlechtliche Entwicklung. Damit werden bestimmte Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiviert und deaktiviert. Aber auch dieser Zeitpunkt ist genetisch reguliert.
    Nun zurück zur Epigenetik: Ein Gen kann unfassbar viele Regulatoren und Regulatoren-Regulatoren usw. haben. Ein ganz bestimmter Umwelteinfluss kann eventuell ein Gen „plötzlich“ aktiv schalten. Doch welcher Einfluss dies war, wenn er es überhaupt war und welche unzähligen Faktoren oder Kaskaden von Faktoren dort noch hinein spielen, ist noch nicht zu überschauen.
    Die Aussagekraft der DNA wird durch die Epigentik nicht verringert, sondern im Gegenteil eigentlich bestärkt.
    Wer sich ein wenig mit der Thematik auskennt, wird den vorherigen Satz verstehen.

    Und zu einem anderen Kommentar:
    Vorsicht! Genetik wird oft falsch mit Psychologie verbunden (auch wieder von Laien)

    Es ist insgesamt ein komplexes Thema und nicht umsonst studieren Experten jahrelang, um diese Zusammenhänge zu durchschauen.
    Jemand der kein derartiges Studium oder keine derartige Ausbildung absolviert (hat), sollte sich nicht einbilden, die Zusammenhänge zu verstehen und sollte schon gar nicht versuchen zu interpretieren.

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  3. Dr. Sutter

    Eigentlich, so wissen wir jetzt, haben wir zwei Genome: Unsere DNS —*uns— das Epigenom, das bestimmt, welche Informationen aus der DNS ausgelesen werden
    *und

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  4. Andreas Hamann

    Vielen Dank für die Mühen dieses Berichts.

    Ich möchte gerne aktiv und ganz konkret ein einzelnes Gen deaktivieren. Wie würde ich das anstellen?

    Zu einigen erwähnten Studien in diesem Kommentar wären Quellen sehr hilfreich.

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  5. Anonymous

    Wir können unsere unterbewussten Programme, also unsere als wahr anerkannten Ansichten/ Meinungen, die die Basis all unserer Prioritäten, Wahrnehmungen und darauf aufbauende Interpretationen, wie auch unsere Handlungen oder Unterlassungen sind, jeder für sich oder mit Unterstützung anderer, umschreiben.

    Der Vorteil:
    Die Basis für psychsche oder körperliche Krankheit kann so abgebaut und als Basis für Gesundheit gewandelt werden.

    Hardskills ändern, in dem „softskills“ geändert werden:
    Jeder, der einigermaßen auf dem Laufenden ist, weiß, dass die Unterscheidung von so genannten harten und weichen Fakten völlig daneben ist. Wäre ich gedanklich gegen etwas (so genannter weicher Fakt), könnte daraus überhauot keine Interaktion oder materiell erlebbare Manifaestation entstehen, der daher von immer weniger Menschen als so genannter „Hart Skill“ bezeichnet wird.

    Umprogrammierung – kongruente Änderung der Prioritäten – geändertes Erleben. So einfach ist es vom Prinzip her.

    Methoden dazu gibt es satt und genug:
    Quanten-Heilung, Psych-K, EFT, Der Sanfte Weg, etc.

    Die letztgenannte Methode habe ich entwickelt und erlebte, wie ich auch immer wieder erlebe, faszinierende, manchmal unglaubliche Änderungen.

    Mein Grundsatz:
    ‚Manchmal erlebe ich es als faszinerend, wie schnell Änderungen erlebt werden können. Und ein andermal als frustrierend langsam.

    Herzliche Grüße

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  6. sam

    „Ein Genforscher macht sich auf die Reise zum Gipfel der wissenschaftlichen Erkenntnis. “

    wohl eher ein Physiker. Die Genforscher botanisieren doch auch nur.

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