Die einfachen Erkenntnisse eines Menschlers im 21. Jahrhundert

Gedankenzanken

Jeder Mensch hat einen eigenen Körper. Und dieser faszinierende Organismus funktioniert im Grunde genommen ganz ohne uns. Wir müssen nur immer mal wieder Nahrung zu uns nehmen, sie in Energie umwandeln und locker wieder ausscheiden, damit unser Körpermotor läuft. Wir könnten eigentlich fast den ganzen lieben langen Tag irgendwo sitzen und zufrieden und glücklich durch die Gegend pfeifen. Doch leider pulsieren in unserem Kopf unablässige Gedankenströme, die ständig mit „unserer“ Vergangenheit und „unserer“ Zukunft beschäftigt sind. Wir denken immerfort an vergangene Dinge, Personen, Informationen und Ereignisse – oder wir erwarten und erhoffen uns etwas Besseres als Ideen und Visionen für uns in ferner Zukunft: Karriere, Erfolg oder das Paradies.

Nun. Der Aufbau der unvorstellbar komplexen Neuronen-Netze, die unsere Millionen von Gedanken ermöglichen, beginnt schon ab der Geburt. Und steigert sich dann zunehmend zu einem Normalzustand heran, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind. Wir befinden uns allesamt in einem unaufhörlichen Wiederkauen von mentalen Loops, die wiederum ständig mit neuen Wissensbissen und Informationshappen gespeist werden. Wir denken, reden, lesen und hören den ganzen Tag über Millionen von kleinen Gedankenfetzen, die uns und unser Leben völlig unmerklich bestimmen und dirigieren. Es gibt nur wenige Momente, in denen wir mit unserem Gedankenstrom wirklich etwas länger zur Ruhe kommen: Das ist in aller Regel nur der Tiefschlaf. Den Rest der Zeit denken und beschäftigen wir uns fast unaufhörlich. Als Elite sogar in Think-Tanks und Querdenker-Clubs. Oder einfach am Stammtisch.

Gefühlenwühlen

Eigentlich halb so wild. Doch ausgehend von den Gedanken übermächtigen uns ständig Gefühle und Emotionen. Sie sind direkt miteinander verbunden, sozusagen als Rückkopplung: Wir denken etwas – wir fühlen daraufhin unmittelbar etwas. Und die Gefühle lösen wiederum Gedanken aus. Beide durchdringen und bestimmen völlig unser Leben. Denn was wir ständig denken und fühlen, das halten wir für unser „Ich“. Am Ende leider gar ein Trugschluss.

Unbewusst – tief in unserm Herzen – merken wir das. Um jedoch diesen Kreisläufen der Gedanken und Gefühle zu entfliehen, haben wir Menschen tausende von Ab- und Umlenkungen geschaffen: Arbeit, Alkohol, Joints, Sex, Lust, Drogen, Sport, Feste, Spiele, Hobbys, Vereine (u.a. Stammtische und Think-Tanks), Bücher, Theater, Fernsehen, Kino, Radio, Zeitungen, Schriftstellerei etc…Malerei, Musik, Tanz und Sexualität gehören in gewisser Weise auch latent dazu – wobei es hierbei allerdings oft vorkommt, dass eine längere Unterbrechung von Gedanken und Emotionen – und letztlich sogar eine Umwandlung – möglich ist. Doch dazu intensiver an anderer Stelle. Eins nach dem anderen. Erst mal easy.

Leider verfolgen uns unsere Gedankenberge und Gefühlsbäche auf Schritt und Tritt. Sogar beim Putzen, Aufräumen, Wandern und Joggen. Selbst der Aussteiger packt sie allesamt in seinen Rucksack ein. Die Flasche Wein und der Joint halten leider nur für ein paar Stunden der fröhlichen Dumpfheit, das halbe Gramm Kokain leider nur für einen kurzen Kick und Fick – und selbst das spannendste Aussenprojekt hält uns nur für kurze Zeit von unserem eigenem unaufhörlichen Gedanken- und Emotionsalat fern.

Alle unsere vermeintlich effektiven Auswege und Unterbrechungen aus Gedanken- und Emotionsloops führen uns am Ende hin zur puren Leidenschaft – der Sucht: Wir alle unterliegen unseren Süchten. Und wechseln sie ständig wie unsere Hemden und Moden: Der ehemalige Alkoholiker stürzt sich nun Hals- über Kopf wieder in seinen Job als Vorstandsmitglied, der Ex-Drogenjunkie sitzt nun Tag und Nacht vor dem Internet und die Ex-Profisportlerin nimmt jetzt jeden Tag als Geschäftsführerin ihres Sportunternehmens drei Prisen Kokain zu sich.

Leidenmeiden

Die ganze Menschheit befindet sich in tiefgreifenden Störungen von Gedanken, Emotionen und Süchten – scheinbar völlig darin gefangen – und baut darauf das eigene „Ich“ auf: das Ego. Und dieses arme kleine gestörte Ego bestimmt unser völlig oberflächliches Leben: im unablässig hin- und her gerissenem Kampf, in einem leidenschaftlichen Haben- und Hinwollen, in einem gestörten Reagieren und Agieren zwischen einzelnen oder kollektiven Egos auf zwei Beinen. Aber das ist noch lange kein Grund, nun mutlos den Kopf in den Sand zu stecken, sich im eigenen Mitleid nur noch mehr zu suhlen oder sich gar letztes Endes umzubringen.

Denn jetzt kommen die guten Nachrichten: Wir können zwar nicht unsere Gedanken abstellen (wie z.B. ja auch unsere Nahrungsaufnahme und Verdauung nicht), aber all die ganzen Störungen und Emotionen drumherum. Und wir haben als Verbündeten etwas sehr entscheidendes: Etwas, das uns keiner nehmen kann, weil es schon immer da war – weil es ja grundlegend unter all dem gedachten, gefühlten, emotionalen Wust schon immer ist: Unser tiefes Sein! Etwas, das tief spürbar still und als Ruhepol in jedem Menschen verankert ist. Und unseren einfachen Organismus – den funktionalen Körper – wie ein inneres Feld tief durchwebt und durchdringt. Zwar fühlen wir dies nicht mehr allzu oft, aber das ist nicht weiter schlimm. Wir können einfach anfangen, uns unserem tiefen Sein immer mehr bewusst zu werden, die Störungen alle Stück für Stück spielerisch zu erkennen und mit Hilfe von einfachen bewussten Unterbrechungen und Übungen aus den Kreisläufen herauszukommen und sich in seinem tiefe Sein zu verankern.

 

Der erste Schritt ist super schnell. Und einfach: das Erkennen der Störungen. Nun, und wie?

Ganz einfach: Indem man die gestörten Zusammenhänge zwischen den Gedanken, Gefühlen, Süchten und dem „Ich“ als Ego direkt schon gleich nach dem Lesen dieses Textes eigenständig Stück für Stück an sich entdeckt, erforscht – und immer schneller erkennt: Jeder Mensch schafft es ganz alleine, einen Beobachter in sich zu entwickeln, der alles um sich herum betrachtet. Etwa in dieser Form: „Aha, jetzt kommen wieder diese Gedanken. Oh, da kommen gerade die heftigen Gefühle, die daraus entstehen. Wow! Ah, und jetzt greife ich schon wieder zur Flasche. Ich nehme gerade einen Schluck.“

Das Entscheidende dabei ist: Der innere Beobachter muss dabei sofort so kommentarlos wie möglich – und gleichsam milde wie auch humorvoll – mit sich umgehen! Denn wir neigen ja immerzu, alle Dinge direkt nach unserem eigenen Maßstab und unseren konditionierten Werten zu beurteilen, zu analysieren und abzulegen. Das ist im Grunde sehr fatal. Denn wenn wir uns mitten in der Beobachtung dabei erwischen, dass wir es nicht sofort schaffen, aus den Gedanken-, Gefühls- und Suchtkreisen herauszukommen, sind wir gleich wieder allzu streng, ungeduldig und strafend mit uns selbst. Hier erschaffen wir direkt wieder einen neuen Teufelskreis – und kommen aus allen drei Loops in einem übergeordneten Loop – in dem direkten Anfall von Selbstmitleid und Selbstbestrafung – nicht heraus. Eine Rückkopplung: Wir bleiben darin verfangen. Und lassen uns selbst gerne darin hängen.

Also keine Bewertung.
Nur still beobachten.

Den edlen, wachen Narren – oder die Närrin – ins uns erwecken.
Und zwar den Narren am eigenen Hofe.

Narrenmachen

Der Hofnarr besaß früher zur Zeit der absolutistischen Herrschaft die wichtigste Funktion des ganzen Königreiches: Er durfte offiziell der einzige sein, der dem König noch die Wahrheit übermittelte – und ihn damit gleichsam als wichtigstes Bindeglied mit allen Geschehnissen in seinem Königreich verband. Der Narr am Hof des Königs war somit in seiner vordergründigen Form als Spaßmacher oder Künstler letztendlich als Trojanisches Pferd das wichtigste Ventil: Er beobachtete das Zeitgeschehen und ließ sich von den Ratgebern und Hofleuten zur Übermittlung von Informationen und Meinungen instrumentieren, um essentiell lebensnotwendig Wahres und Nachdenkenswertes dem König spielerisch und humorvoll zu vermitteln. Andererseits durfte er natürlich auch unter dem Hofstaat und dem Volk all die unerlaubten Dinge sagen, die sich ein „normaler Mensch“ schon lange nicht mehr öffentlich so pur zu sagen getraut hätte. Seine Position als Vermittler zwischen den Welten hatte somit tiefere Bedeutung. Und er verfiel damit nicht nur in die rein oberflächliche Clownerie, Lachfiguren- und darüber hinaus Auslach-Darbietung – wie so viele unserer (Comedy-) Zeitgenossen. Wobei lachen natürlich nicht schadet, im Gegenteil – vor allem herzhaft über sich selbst. Ein kleiner elementarer Unterschied.

Nun. Wenn wir uns jetzt einmal spielerisch übertrieben einen königlichen Hofstaat ohne Narren anschauen,
dann entdecken wir auch all unsere eigenen Störungen darin:

Unser tiefes ursprüngliches Sein ist der König, der allerdings nur noch von früh morgens bis spät abends auf seinem Thron sitzt. Um ihn herum ist ständig ein wild fuchtelndes Gestöber und Getöne, Gelaufe und Gegackere – sein ganzer Hofstaat läuft unangemeldet hinein und hinaus. Alle paar Minuten rufen ein paar lautstarke Burschen Nachrichten in den Raum, worauf mindestens hundert wild schreiende Wasch- und Klageweiber auf den König weinend und jauchzend einstürmen. Einige davon krallen sich dabei an seinem Wams fest, so dass ihm kurzzeitig immer wieder die Luft ausgeht. Seine Minister und Berater rufen dazwischen andauernd Kommandos und jede halbe Stunde kommen Besucher angemeldet zur Audienz, um Neuigkeiten auszutauschen, über die Vergangenheit zu reden und Wünsche vorzutragen. In der einen Hand hat der König ein Buch, um sich weiter zu bilden – und in der anderen eine brandneue Zeitung, die ihn über alle Neuigkeiten und Trends informiert. Zwischendurch wird ihm schnell ein Happen an Essen gereicht – spät abends läuft er noch ein paar Kilometer auf dem Laufband, während er dabei von seinen Kundschaftern alles Wissenswerte erzählt bekommt. Im Halbschlaf wälzt er sich sodann im Flimmern seines Fernsehers noch einige Zeit hin und her, bis er nach einer Stunde Tiefschlaf – beim ersten frühen Weckschrei der Wache – wieder aus dem seinem königlichen Alptraum erwacht. Nun. Wohl eher „erschläft“. Täglich weiter – vor allem unbewusst – schläft.

Bis er einen Narren hat, der ihn zur Seite nimmt und ihm die eigene Wahrheit spielerisch aufzeigt. Des Königs neue Kleider werden damit von einer Sekunde auf die andere sichtbar – das Sein erkennt sich wieder, vom humorvollen Kind in uns erweckt. Ganz einfach. Und klar. Und nun kann langsam wieder Ordnung in das eigene Leben kommen. In völliger konzentrierter Bewusstheit. Am Ende so universell, wie jeder kleine König seines Lebens das nun für sich braucht. Und jeder erwachte Narr. Man kann nun all die gestörten Kreisläufe, die alle über dem tiefen Sein liegen oder es durchweben – also die Gedanken-, Gefühl, und Suchtloops mitsamt dem übergeordneten „Ego“ – jederzeit wachsam beobachten und aufbrechen. Von einem Teufelskreis zu einem Engelskreis. Stück für Stück. Erst einmal mit ganz einfachen Übungen.

Fortsetzung | Teil 2 unter www.urmitte.de

 

 

 

 

 

 

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2 Responses

  1. Christa Füglein

    Lieber Yvelle…
    wie Recht Du hast..!
    Es gibt leider sehende „Blinde“, die müssen halt dann im nächsten Leben ran, oder in vielen weiterin. Sehende, begreifende, Zusammengehörige..sehen was kommt. Was das WAHR ist und gelebt werden kann, in aller Einfachheit. In unserer Zeit ist es gut, dass sich immer mehr Menschen finden, die an sich und das Gute glauben!

    Ohne Bewertung und Anmaßung, man muss eben einen offenen, freine Geist haben und ihn bewegen!
    Weiterhin viel, viel Erfolg auf Deinem Weg. Christa

    Antworten

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