Am 13. Juni treffen sich zwei große Persönlichkeiten in der Heilig-Kreuz-Kirche: Der in den USA lebende Zenmeister Bernard Glassman, weltweit einer der wichtigsten Pioniere eines sozial engagierten Buddhismus, und Konstantin Wecker, einer der bekanntesten Liedermacher Deutschlands. Beide vereint ein gemeinsames Anliegen: Wege aufzuzeigen zu einem sozial engagierten Handeln, das auf spiritueller Weisheit basiert. Christa Spannbauer sprach mit Konstantin Wecker.

 

Christa Spannbauer: Du triffst im Juni in Berlin mit Bernard Glassman zusammen, einem ungewöhnlichen Zenmeister, der das soziale Handeln seiner Schüler als ebenso wichtig erachtet wie deren spirituelle Übung auf dem Meditationskissen. Für ihn ist das engagierte Tun die eigentliche Meditation. Wie können sich aus deiner Sicht soziales Engagement und spiritueller Weg sinnvoll ergänzen?

Konstantin Wecker: Ich habe immer schon damit gehadert, dass die Spiritualität sich so gerne in eine Ecke zurückzieht, um zu einer Art privaten Erleuchtung und privaten Glückseligkeit zu werden. Natürlich erzählt dir dann jeder, dass er ja auch für die Welt betet oder meditiert, doch trotzdem leidet und verhungert und quält sich die Menschheit währenddessen. Ich fand es daher immer etwas befremdlich, wenn Menschen, die als erleuchtet galten, sich gar nicht darum kümmerten, wie es ihren Mitmenschen geht. Ich verstehe zwar, dass sich Menschen für einige Zeit zurückziehen, von mir aus auch für Jahre, um sich selbst zu entdecken. Doch wer sich in einer Weise selbst entdecken konnte, wie es so vielen anderen Menschen nicht gelungen ist, der sollte dann auch tätig werden und das Erkannte in tätige Güte umsetzen. Für mich war da Albert Schweitzer immer ein großes Vorbild. Was er „tätiges Mitgefühl“ nennt, ist für mich gelebte Spiritualität. Das gilt ebenso für Mutter Teresa, die da eines Tages einfach nach Indien fuhr und die Erleuchtung dadurch erfuhr, dass sie sich ganz in den Dienst anderer Menschen stellte.
Bernard Glassman fiel mir in diesem Zusammenhang auch schon lange auf, noch bevor ich sein neu aufgelegtes Zenbuch „Anweisungen an den Koch“ mit Begeisterung gelesen habe. Er fiel mir deshalb auf, weil er politisches Engagement und Spiritualität in einer Art und Weise verbindet, die ihn in spirituellen Kreisen fast schon suspekt macht. So wie ja auch mein spirituelles Anliegen mich in politischen Kreisen suspekt macht. Wir sitzen da beide zwischen allen Stühlen. Mir persönlich waren die Menschen zwischen den Stühlen aber schon immer sympathischer, weil sie etwas Neues wagen, weil sie neugierig bleiben und aus allen Dogmen ausbrechen. Nur wenn du zwischen den Stühlen sitzt, kannst du lebendig bleiben und dich weiterentwickeln. Wenn du mal fest auf dem Stuhl sitzt und drauf sitzen bleibst, dann klebst du halt irgendwann dran fest.

Ich habe festgestellt, dass das radikale Eintreten für Gewaltlosigkeit und Pazifismus ein spirituelles Anliegen ist und mich weit mehr mit spirituellen Kreisen verbindet als mit linksradikalen Theorien. Und da gehört für mich Bernie Glassman dazu. Du kannst ja eigentlich nur vor Scham erröten, wenn du siehst, was der Mann alles tut und körperlich auch mitmacht und durchmacht, allein schon in seiner Arbeit mit Obdachlosen. Als ich an Weihnachten in meinem überheizten Haus in der Toscana saß, musste ich an Glassman denken, der sein Weihnachten oft auf den Straßen mit Obdachlosen verbracht hat. Der Mann ist wirklich ein Vorbild. Und so sollen Vorbilder auch sein. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass man jetzt das Gleiche tun und zum nächsten Obdachlosen gehen und ihm seine Hilfe aufdrängen muss. Der denkt sich wahrscheinlich: „Was will denn der Depp von mir?“ Doch dieses Vorbild von tätigem Mitfühlen speichert man im Herzen, und das nächste Mal, wenn man wieder versucht ist, irgend etwas nicht zu tun, wird es da sein und einen Schritt in die Richtung des Mitgefühls bewirken.

Die gemeinsame Begegnung von dir und Bernard Glassman steht unter dem Motto: „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“. Diese großartige Zeile stammt aus deinem Lied an die Widerstandsgruppe der Weißen Rose. Was bedeutet für dich diese Aussage? Und was hat sie mit dir und Bernard Glassman zu tun?
Ich habe das Lied kürzlich auf der großen Demo in Dresden gegen die Faschisten gesungen. Und da habe ich bei mir gedacht, wie schön es doch ist, wenn man auch mal siegen kann! Sicherlich geht es in erster Linie ums Tun. Doch das darf durchaus auch beinhalten, dass man siegt. Es kommt natürlich darauf an, für was man siegt und mit welchen Mitteln. In dem Fall haben viele anständige Menschen dafür gesiegt, dass nackte Dummheit sich nicht auch noch öffentlich ausbreiten darf. Der Sieg war der Erfolg der Vernetzung von vielen Menschen, die sich gegen den Faschismus gestellt haben. Und es war ein Sieg über die Dummheit, und wenn man den nicht ab und zu hätte, würde man wahrscheinlich verzweifeln. Die eigentliche Intention des Liedes ist es aber, deutlich zu machen: Selbst wenn wir nie siegen würden, selbst wenn wir nie einen Erfolg hätten mit dem, wofür wir einstehen, sollten wir doch weiter die Hoffnung haben, dass das Tun etwas bewirkt. 
Hierfür ist das Beispiel der Weißen Rose so wichtig. Sie haben definitiv nicht gesiegt. Sie sind besiegt worden. Doch ohne die Weiße Rose und all die vielen anderen mutigen Menschen in dieser Zeit wäre der Glauben an Zivilcourage und Menschlichkeit verloren gegangen. Diese Menschen haben über ihren Tod hinaus die Idee von Menschlichkeit bewahrt und weitergetragen. Dahin müssen wir selbst kommen: Dass es uns nicht mehr um den persönlichen Erfolg geht, sondern darum, Menschlichkeit in die Welt hinauszutragen und zu hoffen, dass die Welt etwas damit anfangen kann.

Inwieweit kann ein spiritueller Weg dabei von Nutzen sein?
Ich glaube, der spirituelle Weg ist hierfür absolut notwendig. Denn wenn man es ausschließlich aus politischen Gründen tun würde, dann läuft man Gefahr, selbst zu dem zu mutieren, wogegen man kämpft. Das haben wir ja bei der ursprünglich wunderbaren sozialistischen Idee gesehen. Die Mitglieder der Weißen Rose kamen hingegen aus religiösen Kreisen. Deren Antrieb war kein politischer, sondern ein spiritueller: Ihr Anliegen war es, in einem unmenschlichen System für Menschlichkeit einzustehen.
Wenn der Neoliberalismus in der Gegenwart so ungebrochen weiterregiert, werden auch wir, zwar auf eine ganz andere Art und Weise und mit ganz anderen Mitteln, die Menschlichkeit ausrotten. Wir müssen uns doch nur anschauen, mit welcher Hemmungslosigkeit Unternehmen Menschen entlassen ohne Rücksicht darauf, was da im Einzelnen passiert, einzig und ausschließlich nur, um den eigenen Gewinn zu maximieren.

Was hat dich Bernard Glassman im Hinblick auf Mitmenschlichkeit gelehrt? Was glaubst du, ist sein Anliegen in der Welt?
Auch Bernie Glassman geht es ums Tun und nicht ums Siegen. Er wird das neoliberale System mit seinem Tun nicht besiegen. Darum geht es ihm auch nicht, sondern darum, in Anbetracht dessen, was da ist, das Richtige zu tun. Wir haben im 20. Jahrhundert gesehen, dass Systeme die Welt nicht retten können. Wir brauchen also den bestehenden Systemen keine neuen Systeme entgegenzustellen. Wir müssen uns vielmehr darauf besinnen, die Welt da zu retten, wo wir selbst anpacken können, wo wir im persönlichen Bereich etwas tun können, ohne gleich wieder eine neue Ideologie schaffen zu wollen.
Wenn du einem verwirklichten oder aufgewachten Menschen begegnest, der in seinem Leben etwas erkannt hat, was man selbst vielleicht nur ahnt, dann kann es passieren, dass man allein durch die Begegnung die Sicherheit bekommt, dass viel mehr möglich ist, als man sich vorstellen kann. Das halte ich für den eigentlichen Grund, weshalb es wichtig ist, einem Meister wie Bernie Glassman zu begegnen. Zu spüren, dass es das gibt, dass jemand so bescheiden, witzig, klug, lebendig und voller Mitgefühl sein kann, das gibt einem selbst den Mut, den Weg weiterzugehen.
Ich freue mich daher sehr auf die Begegnung mit Glassman Roshi. Ich könnte mich jetzt sicherlich fragen, was gerade mich dazu berechtigt, ihn öffentlich zu treffen. Es ist ganz sicher nicht, weil ich so ein großartiges Verständnis von Zen hätte. Ich glaube, es ist meine Musik, und es ist das, was mich die Musik und die Poesie im Laufe der letzten 40 Jahre als Mensch an Weisheit gelehrt haben.

 


Buchtipp:

 

 

 

 

 

 

 

Bernard Glassman. Anweisungen an den Koch.
Edition Steinrich, 2010

Konstantin Wecker, der das Vorwort des neu aufgelegten Buches von Bernie Glassman „Anweisungen an den Koch – Lebensentwurf eines Zenmeisters“ schrieb, gestaltet den Abend poetisch mit einigen seiner sozial engagierten Lieder. In einem gemeinsamen Podiumsgespräch stellen beide ihre Visionen von weisem Handeln in der Welt vor.

Heilig-Kreuz-Kirche,
Zossener Straße 65, 10961 Berlin
Sonntag, 13. Juni, 20 Uhr

Veranstalter: Spuren der Weisheit, www.spuren-der-weisheit.de und Edit. Steinrich, www.edition-steinrich.de

Kartenvorverkauf (19,50/16 € erm.):
Dharma-Buchladen, Akazienstraße 17,
10823 Berlin, Tel.: 030 – 784 50 80
www.edition-steinrich.de

Über den Autor

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der von seinem jährlich stattfindenden Retreat im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz nach Berlin kommt, stellt die spirituellen Grundlagen seiner Versöhnungsarbeit vor.

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