Auf DVD: Leonard Cohen: I’m your Man

Auch wir verneigen uns in diesem Mai in Respekt vor denen, die vor 40 Jahren große Löcher in die Betonwände der westeuropäischen Nachkriegskultur schlugen: 40 Jahre Mai ’68! Zum ‚Sound‘ dieser Aufbruchsbewegung gehörte nicht nur der taghell muntere und bissfreudige Rock ’n‘ Roll, der in den 70ern in QUEENs kühner Ansage gipfelte: „We want it all / and we want it now!“ Dazugehört hat von Anfang an auch eine schwermütige Nachtseite, die an der grundsätzlichen Unstillbarkeit des eigenen Verlangens litt.

Keiner hat die schmerzhafte Bodenlosigkeit aller Sehnsucht so von innen heraus beschworen und besungen wie Leonard Cohen. Bereits sein erstes Album „Songs of Leonard Cohen“: detailscharfe Beschwörungen von weiblicher Güte, zum Weinen schön. Dass Frauen der Vorschein des Paradieses sind, schöner als all die posierenden Revoluzzer-Gestalten zusammen, und dass nichts schöner sei als die Rückkehr in den mütterlichen Schoß: das waren die Essentials seines Evangeliums, dem in einsamen Nächten eine stetig wachsende Gemeinde lauschte.

In den 90er Jahren zog sich Cohen vom Musik-Geschäft zurück, ging in ein buddhistisches Kloster. In dem Film, den ich Ihnen empfehlen möchte, sieht man Cohen mit seinem Lehrer, einem japanischen Roshi, von dem er sich 1996 als „Jikan“ [dt.: der Stille] ordinieren ließ und als dessen persönlicher Assistent er dient: Er habe, bekennt Cohen, immer schon eine Faszination für Militär und Mönchswesen, für Ordnung, Regime, Reglement verspürt.

Leonard CohenDer Film „LEONARD COHEN: I’M YOUR MAN“ stammt von Lian Lunson und dokumentiert – neben einem Gespräch mit Cohen – vor allem ein Konzert in Sydney, in dem ein weites Spektrum an Sängerinnen und Sängern Cohen-Titel vortragen. Ich gebe zu, dass mich als altgedienten Cohen-Fan manche dieser musikalischen Morgengaben zu Tränen rührten. Denn auf einmal bewiesen seine Lieder – für den Fan zunächst untrennbar mit seiner Stimme verbunden – ihre Unsterblichkeit. Nicht nur ließen sie sich von anderen überhaupt singen – sie klangen, dank hervorragender Besetzung, besser denn je: anders, neu, ja voller und vitaler als beim Meister selbst. Erst so, losgelöst von den Grenzen seiner Stimme, lässt sich Cohens Qualität als Songwriter, vor allem als Dichter richtig ermessen. Allein für diesen einen Satz könnte ich ihn schon lieben bis zum Ende aller Tage: „there is a crack in everything, that’s how the light gets in“ – Es gibt in allem einen Riss, so kommt das Licht herein.

[DVD erschienen bei LIONSGATE U.K., bei Amazon neu 28,99 €, gebraucht ab 5,95 €]

 

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