Auf DVD: Unendlich Jetzt!

Rückbesinnung

Zeit ist in unserer Gesellschaft eine äußerst wichtige Ressource. Wir sind fremdbestimmt durch unsere Jobs und hetzen jeden Tag zur Arbeit und danach zu den nächsten Terminen. Pünktlichkeit gehört zu unserer von der Zeit diktierten Welt in den Industrienationen und wir sind ihre unbewussten Sklaven. Schon im Vorspann wird klar: Der Film von Roman Pachernegg, vielen vielleicht schon durch seinen Film „Das Glück der anderen“ bekannt, und seiner Lebensgefährtin Jasmine Wagner verwirklicht mit seiner Machart das, was er eigentlich zu erforschen sucht: Die Kraft der Gegenwart und die Rückbesinnung auf das Gespür für den richtigen Moment – ohne von Uhren und Agenden getrieben und gegängelt zu werden. 

Erstaunlich präzise und klar fasst es der katholische Theologe und Tiefenpsychologe Eugen Drewermann einleitend zusammen. Der Mensch muss lernen, sich Räume zur Regeneration zu erschaffen. Das Ziel: Wieder bei sich selbst ankommen, achtsam mit sich umgehen, unzensiert eigene Gefühle erkennen – oder wir verlernen in dem immer gleichen sklavischen Funktionieren des Alltagslebens, in dem wir nie inne halten, nie zu uns selbst kommen, die Menschlichkeit.

Im Laufe des Dokumentarfilms trifft man auf viele faszinierende Menschen und Lebenskonzepte: Schamanen im Amazonasurwald in Peru, Alpaka-Züchter und Zen-Philosophen, den seit über drei Jahren in einem Zelt lebenden Schriftsteller Timothy Speed und auf Theorien der Chronobiologie, denen zufolge man bei andauernder hoher Belastung und wenig Erholung mental so zu ist, dass man quasi „verblöden“ kann. Sehr interessant auch die Aussagen des Kinder- und Jugendpsychiaters Christoph Göttl, der sich zum Thema Selbstfindung bei Kindern im Hinsicht auf vorgelebtes Konsumverhalten äußert. Eine amüsante Zwischennote ist die Begegnung mit dem Dalai Lama: Das Interview mit ihm wurde gar nicht in den Film geschnitten, sondern nur Aufnahmen von seinem entspannten, in sich ruhenden und beseelt lächelnden Verhalten während einer um ihn herum hektisch stattfindenden Veranstaltung. 

Fazit: Ein inspirierender Film, der dazu anregen will, unseren Umgang mit der Zeit und den unserer Gesellschaft innewohnenden Konsumterror zu hinterfragen und zu reflektieren. Viele interessante Menschen kommen zu Wort, vielfältige Lebensbilder werden gezeigt, da kann man dann auch großzügig das stellenweise wirre Geplapper einzelner, anstrengend-verkopfter Wortmeldungen verzeihen. Man merkt stellenweise: längst nicht alle sind da angekommen, wo sie nach ihrer eigenen Ansicht sind. Roman Pachernegg und Jasmine Wagner wollten mit ihrer Art, mit der Kamera zu beobachten und Gesagtes festzuhalten, ein filmisches Plädoyer gegen die mentale Stechuhr in uns allen schaffen, die jede Faser unseres Seins beherrscht und von unserer Konsumgier getrieben wird. Dennoch wäre es spannender gewesen, wenn die erstaunlich treffenden und klaren Formulierungen Drewermanns sich auch im Weiteren ein wenig mehr gespiegelt hätten. Kleiner Tipp am Rande: Einfach nochmal Momo und die grauen Herren lesen oder gucken und die Essenz so umgesetzt verinnerlichen. Ab Mitte November kommt der Film als DVD in den Handel. Weitere Infos gibt es unter www.unendlichjetzt.at

 

Roman Pachernegg, Jasmine Wagner 

Unendlich Jetzt!

Ascot life!, 2014

DVD, 90 Minuten, 14,99 Euro

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