Durch das östliche Tor

Fundamentalismus: Vielleicht kann man diesen Zustand ein wenig besser verstehen, wenn man sich an die Anfangsphase des oder der eigenen spirituellen Wege erinnert. Ohne ein gewisses Maß an Verblendung kommt man[n] in der Regel nicht in Gang. Der Lehrer, die Lehrerin sagt oder zeigt uns Dinge, die uns in Verzückung versetzen, der Blitzstrahl der Erkenntnis trifft uns, und prompt schmelzen wir hin in erster Verliebtheit. Wenn wir dabeibleiben, folgen auf diese erste heiße Phase diverse Phasen der Ernüchterung, der Auskühlung, bis der Lehrer, der einstige Guru, am Ende nicht mehr Bedeutung für den Schüler hat als eine Kuh auf der Weide.

Fundamentalismus könnte man betrachten als den Versuch, diese strapaziöse, aber ja auch wunderschöne Verliebtheitsphase künstlich zu verlängern. Noch füllt dieser Lehrer, die neue Lehre den ganzen Horizont, noch beantwortet sie alle Fragen auf einmal, und so soll es bleiben bis in alle Ewigkeit. Gegen die Hybris des „Nur dies & sonst nichts“ hilft letztlich nur: die Erfahrung einer weiteren Form von Spiritualität als einer gleichwertigen, ebenbürtigen. Erst im Heraustreten aus der ‚eigenen‘, der angestammten Form, im Erproben einer anderen wird der Geist beweglich, erwirbt nach und nach die Freiheit beliebiger Modulierbarkeit: „spirituelle Intelligenz“, wie Ken Wilber das nennt – die Fähigkeit, in der Mitte jedes einzelnen spirituellen Pfades den gemeinsamen zu erkennen, der uns alle immer schon eint, zu Brüdern und Schwestern auf dem Weg macht.

Als eine Übung auf diesem Weg zu „integraler Spiritualität“ (das Buch dazu von Ken Wilber erschien im Kösel-Verlag, 480 S., 29,95 €) kommt uns ein neuer Film gerade recht, der völlig frei finanziert entstanden ist und nun erstmals im Kino läuft. Gleich drei spirituelle Wege schaltet dieser Film parallel, erzählt sie, als wären sie Teile desselben Weges.

Wir begegnen der Finnin Ronela, die in Südindien tantrisches Yoga übt, wir begleiten eine Australierin, die am Rand des Himalaya als buddhistische Nonne, als Schwester Yeshe lebt, und wir lernen Aziz kennen, einen jungen Sufi-Derwisch aus Kalifornien, der seine Passion in Konya lebt, der Hochburg des Sufismus in der Türkei.

Ronela, Yeshe, Aziz – drei von innen her leuchtende, zu ihrer Schönheit erblühte Menschen. So schön können auch wir werden, wenn wir einen spirituellen Weg gehen: egal welchen.

[ab 22.05.08 im Kino & Cafe am Ufer; DVD im Kino erhältlich]

 

Unterstütze SEIN

Vielen Dank an alle, die den Journalismus des SEIN bisher unterstützt haben.
Die Unterstützung unserer Leser trägt dazu bei, dass wir unsere redaktionelle Unabhängigkeit behalten und unsere eigene Meinung weiter äußern können. Wir sind sicher, dass unsere redaktionelle Arbeit und unsere Themenvielfalt und Tiefe den gesellschaftlichen Wandel beflügeln. Wir brauchen Deine Unterstützung, um weiterhin guten, kreativen "Lösungs-Journalismus" zu liefern und unsere Offenheit zu wahren. Jeder Leserbeitrag, ob groß oder klein, ist wertvoll. Wenn Du unsere Arbeit wertschätzt, unterstütze SEIN noch heute - es dauert nur wenige Minuten. Vielen Dank.
SEIN unterstützen





Hinterlasse einen öffentlichen Kommentar

Deine Email Adresse wird nicht veröffentlicht.

*