Eckhart Tolle auf deutsch

Eckhart Tolle ist auf bestem Wege, der neue Superstar unter den spirituellen Lehrern im Westen zu werden. Seine Internet-TV-Show mit Oprah Winfrey, in den USA die Königin der Talk-Shows, hat ihn mit einem Schlag weit über die spirituelle Szene hinaus berühmt gemacht. Es gibt bereits ein Netzwerk von Tolle-Gruppen mit eigener Homepage; der Meister selbst präsentiert sich auf www.eckharttolle.com.

Zum Glück all derer, die des Englischen nicht mächtig sind, sind eben im J. Kamphausen Verlag drei DVDs erschienen, dank derer man zwei Veranstaltungen miterleben kann, in denen Eckhart Tolle auf Deutsch sprach; das war bis zum Alter von 14 Jahren auch seine Muttersprache. „Leben aus der Fülle des Seins“ heißt der Mitschnitt von Tolles Auftritt in Berlin im September letzten Jahres, „In der Stille liegt die Wahrheit“ ist der Titel der Doppel-DVD, Mitschnitte zweier Tolle-Vorträge in Fürstenfeldbruck bei München im Oktober 2007.

Es macht eben doch einen großen Unterschied, ob man seinen Bestseller „Jetzt! Die Kraft des Augenblicks“ liest oder ob man Eckhart Tolle – sei es live, sei es quasi-live auf einer DVD – zuschauen kann beim Verfertigen seiner Gedanken. Tolle spricht frei, ohne Spickzettel, druckreif vom ersten bis zum letzten Satz. Er ist nicht nur ein begnadeter Redner, er ist auch ein begabter Schauspieler. Am besten gelingt ihm, mit treffsicher hingepinselten Bewegungen und drastischer Mimik, die Figur des „Normalen“, der Menschen also, die in der üblichen Gedankenverlorenheit vor sich hin (und an sich vorbei) leben. Entweder warten sie ständig auf den nächsten, den besseren Moment, in dem ihr Leben endlich interessant sein würde. Oder sie sind besessen von ihren Gedanken, identifizieren sich mit Gedanken an eine Vergangenheit, die längst nur noch in ihren Betrachtungen und Affekten fortexistiert.

Es gibt aber immer nur JETZT, sagt Tolle. Vergangenheit existiert genauso wenig wie Zukunft – außer als Gedanken, die freilich immer nur im Hier & Jetzt gedacht werden können. Erleuchtung ist nichts anderes als die Rückeroberung dieses JETZT: z.B. indem wir uns der Vergänglichkeit aller Formen bewusst werden, der Kostbarkeit ihres Da-Seins. Und indem wir eine einladende Haltung dem Leben gegenüber einnehmen, jeden Augenblick als ein Geschenk willkommen heißen.

Man hat all dies schon von anderen Lehrern gehört; in meinem Fall von Thich Nhat Hanh, der immer wieder betont, dass wir unsere Verabredung mit dem Leben verpassen, wenn wir nicht in den gegenwärtigen Augenblick zurückkehren. Aber wo Thich Nhat Hanh sich noch der buddhistischen Tradition zugehörig weiß, auf die Autorität des Buddha zurückgreift mit Zitaten aus seinen Lehrreden, da fliegt Eckhart Tolle längst frei von allen religiösen Borniertheiten über dasselbe Gelände.
Für seine Glaubwürdigkeit braucht Tolle nichts anderes als die Evidenz des Faktischen. Wir, die meisten von uns, sind wirklich so, wie er uns in kurzen schauspielerischen Einlagen vorführt. Wir erkennen uns wieder in diesen gespenstischen Gestalten, lachen mit, wenn er darüber lacht, über soviel Blödheit, soviel bewusstloses, ungelebtes Leben.

Wir wollen so nicht sein, und brauchen so auch nicht länger zu sein. Tolle als einer der wenigen, die’s geschafft haben, im gegenwärtigen Moment anzukommen: Er hat das andere Ufer erreicht und er streckt uns Zurückgebliebenen eine Hand entgegen. Er zeigt uns, führt uns vor, wie’s geht: Präsenz, Gegenwärtigkeit, das Vertrauen in die Fähigkeit, den leeren Raum mit Leichtigkeit füllen zu können. Er wisse im Voraus nie, was er sagen werde, sagt Tolle: ihm kann man das glauben.

[ab 2.10.08 im Kino & Café am Ufer, DVDs bei TAO Cinemathek Bielefeld, 19,80 € bzw. 24,80 €]

 

 

 

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