ERLEUCHTUNG GARANTIERT

gesehen von Kraft Wetzel

AUF DVD UND IM KINO:
ERLEUCHTUNG GARANTIERT

Doris Dörries Film „Erleuchtung garantiert“, soeben auf DVD veröffentlicht, hat seit seiner Kinoauswertung im Jahre 2000 nichts von seiner erzählerischen Kraft eingebüßt. Alles wirkt so echt, so unmittelbar, dass man nach ein paar Minuten drin ist in dieser Geschichte zweier ungleicher Brüder aus München, die nach Japan reisen und in Tokio verloren gehen, bevor sie sich in einem Zen-Kloster wiederfinden.
Der Film besticht durch seine Wahrhaftigkeit, die aus der Nähe zu diesen beiden Menschen, aus der Vertrautheit mit und dem Vertrauen zu ihnen wächst. Auf Video hat Dörrie nämlich nicht nur deshalb gedreht, weil’s billiger ist, sondern weil sie den Traum hatte, einen Film zu machen, „bei dem alle Beteiligten in ein Auto passen – oder noch besser: an einem Esstisch zusammensitzen können“.
Gewiss, wir sehen zwei professionelle Schauspieler agieren: Uwe Ochsenknecht und Gustav-Peter Wöhler. Aber wir spüren auch, dass sie wirklich bei der Sache sind. Im Film sind sie Brüder, selbsternannter Feng-Shui-Berater der eine, frisch von seiner Frau und den Kindern verlassen der andere. In Tokio stranden sie, verlieren erst die Orientierung, dann Bargeld und Kreditkarten, schließlich – nach einer Nacht auf der Straße – auch noch einander.
Ihr Fremdwerden, die langsam dämmernde Erkenntnis, ganz woanders zu sein, ihre Verwirrung, Hilflosigkeit und wachsende Verzweiflung: wir spüren sie fast körperlich. Denn die beiden, die auch im Film Uwe und Gustav heißen, erleben diese Zustände tatsächlich – zumindest ein Stück weit. Schon deshalb, weil das Film-Team diesmal so klein und die Haut, der Puffer zwischen dem Film-Team on the road und der fremden Welt da draußen so dünn ist.
Und dann das Zen-Kloster, in dem die beiden am Ende doch noch ankommen: Es macht halt einen Unterschied, ob solche Szenen auf dem Studiogelände der BAVARIA gedreht werden oder im Kloster Sojiji in Monzen nahe Tokio. Dörrie und ihr kleines Team haben tatsächlich dort drehen dürfen – unter der Bedingung, dass alle (bis auf den Kameramann) sich an der dort üblichen Praxis beteiligen.
Uwe und Gustav stehen tatsächlich um halb vier auf, waschen sich mit eiskaltem Wasser, sitzen im Schneidersitz, bis Gustav die Knie wehtun. Wenn sie nicht gerade sitzen und meditieren, dann putzen sie oder fegen Laub. Sie lernen, wie man vor dem Essen die schwarzen Lackschälchen korrekt hinstellt und wie man die Ess-Stäbchen elegant aus der vertrackt gefalteten Serviette rutschen lässt. „Ich wollte einfach“, sagt Dörrie, „zwei Menschen dieses Experiment, diese Kloster-Erfahrung wirklich machen lassen.“

Warum müssen Ochsenknecht und Wöhler wirklich ‚ran? Schauspielern, so tun als ob: Warum reichte ihr das nicht mehr? Warum gab sich Dörrie als Regisseurin höchst erfolgreicher Komödien nicht mehr damit zufrieden, sich wie bislang etwas Pfiffiges auszudenken und es dann ‚umzusetzen‘, schöne, saubere, aufgeräumte Bilder daraus zu machen?
Wohl weil sie Erfahrungen und Einsichten hinter sich hat, die ihr Leben, ihren Blick auf die Dinge von Grund auf verändert haben. Und weil sie gar nicht anders kann als diese Erfahrungen und Einsichten weiterzugeben, zumindest zugänglich zu machen.
Mitte der 90er Jahre starb Helge Weindler, ihr Mann, Vater ihrer Tochter und zugleich ihr Kameramann. Der Schnitt muss tief, der Schmerz höllisch gewesen sein; wie sehr kann man nur ahnen, wenn man hört, wie cool, fast beiläufig sie darüber spricht in ihrem Essay-Film „Augenblick“ von 1997.
Geholfen haben ihr, wie „Augenblick“ zeigt, in den Monaten nach diesem Tod, vor allem Denkformen und Techniken aus der buddhistischen Tradition: zum Beispiel die Einsicht in die Verbundenheit aller mit allem, auch mit den Gänseblümchen auf dem Grab: solche Einsicht macht Vergänglichkeit erst erträglich. Und dann die Schulung der Achtsamkeit: Sie ermöglicht es, immer wieder zu diesem einen Augenblick „jetzt & hier“ zurückzukehren und ihn als die einzige Stelle zu würdigen, an der man sein eigenes Leben berühren kann.
Schmerz macht lernfähig. Und Doris Dörrie lernt offenbar sehr schnell. Was sie in Seminaren mit berühmten Lehrern wie dem tibetischen Lama Sogyal Rinpoche und dem vietnamesischen Zen-Mönch Thich Nhat Hanh absorbierte, probierte sie aus in ihrer Not. Was funktionierte, was half gegen den Schmerz, das ging ihr so in Fleisch und Blut über, dass sie bald ganz leicht, wie von selbst darüber verfügen konnte. Wie leicht und selbstverständlich, demonstriert „Erleuchtung garantiert“ in Inhalt und Machart.
[„Erleuchtung garantiert“: DVD im Vertrieb der Paramount Home Entertainment. „Augenblick“: DVD bei Nirwana Vision. Beide ab 4.9. im „Kino & Café am Ufer“]

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