Im Kino: Sadhu

Entlarvte Spiritualität

Der Film beginnt mit atemberaubend schönen Bildern und dem Rauschen des Windes und des Flusses Ganges. Hier in Gangotri, an den Ufern des Ganges in seinem Quellgebiet im Himalaya Gebirge auf 3000 Metern Höhe trifft der Filmemacher Gaël Métroz auf den Sadhu Suraj Baba, der hier isoliert seit acht Jahren in einer Höhle lebt, und ist fasziniert von ihm.

“Sadhu” ist Sanskrit und bedeutet so viel wie „guter Mann/heiliger Mann“. Doch schon in den ersten Filmsequenzen wird deutlich, dass Suraj Baba nur auf den ersten Blick dem üblichen Bild des asketischen indischen Erleuchteten entspricht. Man sieht ihn zwar im üblichen Eremiten-Outfit (struppiger Wallebart, sehr schlanke Figur, Lendenschurz) im Wasser des Ganges, aber als er zur Gitarre greift und beseelt englischsprachige Lieder singt, erweitert dies den Blick auf ihn. Dieser Sadhu, dieser Sucher nach Wahrheit, der den weltlichen Besitztümern entsagt hat, schreibt seine Gedanken auf Englisch nieder, liebt Rockmusik, Bücher von Hermann Hesse und Saint-Exupéry. Er ist… anders. Anders als seine Kollegen, und er scheint daran auch in seiner Seele zu kranken. Zu viel Denken, zu viel Intelligenz, die hinter den Brillengläsern glitzert und hinter die hohlen Mechanismen der Religionsindustrie blickt. Zu viel Angst, zu viel Unsicherheit, zu viel Bescheidenheit, zu viel Sehnsucht und Traurigkeit.

Gaël Métroz hat schon andere Filme in Indien gedreht, wodurch er auf die Sadhus aufmerksam wurde. Diesmal wollte er diesen heiligen Männern einen ganzen Film widmen und traf so auf Suraj Baba, den er über lange Monate auf seiner Sinnsuche begleitete. Der Film verläuft unkommentiert, einzig den Gedanken des Sadhu wird eigener Raum eingeräumt. Der Regisseur dekonstruiert durch seine cineastische Begleitung des Suchenden Suraj Baba den Mythos der Heiligen und entblättert die indischen Kulte, führt ihren kommerziellen Hintergrund, den Tanz ums goldene Kalb und die teils vorhandene Leere, Selbstverliebtheit und Inhaltslosigkeit von Ritualen, vor Augen. Er entlarvt vieles – allein schon durch die manchmal beklemmenden Bilder und die blechernen Lautsprecherdurchsagen.

Fazit: Ein ruhiger Film über das Seelenleben eines faszinierenden Mannes. Hier wird einem ein unverstellter und ohne zuckersüßen Kitsch verklebter Blick auf die indische Spiritualität geboten. Hart, aber ehrlich. Und am Ende doch mit ihrem eigenen Zauber.

 

Gaël Métroz
Sadhu
Arsenal, 2012
Ab Ende August im Kino

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