Eltern-Kind-Beziehung

Kunst darf alles? Wer annahm, mit der überstandenen Weihnachtszeit seinen ultimativen Part an Familie abbekommen zu haben, kann sich dennoch nicht mit den Geschwistern Annie und Baxter Fang messen.

Der Film beginnt mit einem Rückblick in die 1970er Jahre. Caleb (Christopher Walken) und Camille Fang (Maryann Plunkett) sind für ihre zum einen verstörende, für viele aber auch atemberaubende Kunst bekannt. Vor allem der Vater Caleb ist ein kompromissloser Künstler und die treibende Kraft hinter den Live- Performances. Die beiden haben auch keinerlei Scheu, ihre Kinder Annie (Nicole Kidman) und Baxter (Jason Batemen) hierfür miteinzubeziehen. Ihre in der Öffentlichkeit aufgeführten „Stücke“ haben für sie nur im Moment des Stattfindens Wert und sollen die zufällig Partizipierenden wieder für das Leben erwecken.

Im Film werden ihre Aktionen damit umschrieben, dass sie und ihre Stücke wie menschliche Handgranaten sind, die sich in die Gesellschaft werfen, Grenzen überschreiten und Rollen aufsprengen. Dinge, an denen ihre Kinder heute noch tragen und die sie ihnen insgeheim vorwerfen, allerdings ohne ihnen etwas entgegensetzen zu können. Dennoch begleitet sie die Stimme des Vaters und seine meditativen Worte auch in schweren Phasen ihres Lebens.

Der niedliche Junge von der ersten Sequenz ist nun erfolgloser Buchautor mit einer seit zwei Jahren andauernden Schreibblockade. Die ältere Schwester Annie ist Schauspielerin, der ein massiver Karriereknick droht und die ihr Leben – trotz aller ernster Bemühungen – einfach nicht in den Griff bekommt. Ein für sie wichtiges Interview verläuft zu ihrem Schrecken so, dass der Interviewer an ihr nur im Zusammenhang mit der künstlerischen Arbeit ihrer Eltern interessiert ist.

Annie und Baxter oder besser „Kind A“ und „Kind B“, wie sie von ihren Eltern in der Öffentlichkeit immer genannt wurden, haben versucht sich von diesen zu entfernen und scheuen vor ihnen zurück. Emotional ist dies kaum gelungen, nur räumlich. Erst als Baxter mit einer sehr speziellen Schussverletzung am Kopf (involviert waren Rednecks und ein haarspraybetriebenes Kartoffelgewehr) im Krankenhaus liegt und das Personal seine Eltern anstatt seiner Schwester als nächste Angehörige verständigt, trifft die Familie wieder aufeinander. Caleb und Camille sind begeistert und wollen dies mit einem neuen Stück feiern – doch verletzt lehnen beide Kinder ab, böse Worte fallen. Am Ende wollen die Eltern in den Urlaub, doch dann wird ihr Auto gefunden: Blutverschmiert. Eine neue Live-Performance oder Realität? Die Kinder bleiben mit dieser Frage zurück und machen sich auf die Suche nach der Wahrheit.

Der Film ist die zweite Regiearbeit des Hauptdarstellers Jason Bateman, nach dem gleichnamigen Roman des US-amerikanischen Autors Kevin Wilson. Die DVD kommt im Pappschuber, die Extras beschränken sich leider auf den Trailer in Deutsch und Englisch. Dass der Film aber tatsächlich als Komödie gehandelt wird, wird bei vielen für Irritation sorgen, da schlicht falsch. Erfreulich: Die wunderbare Nicole Kidman kann inzwischen tatsächlich wieder die glattgebotoxte Stirn runzeln und überzeugt – ebenso wie Jason Bateman, Christopher Walken, Maryann Plunkett und auch die Darsteller der jüngeren Versionen – mit ihrer Leistung.

Fazit: Erstaunlich sehenswert. Wer Klamauk befürchtet, irrt sich, denn was amüsant beginnt, entfaltet sich bald als eher tragische Familiengeschichte über das universelle Loslassen, kindliches Vertrauen, Verrat und das Erwachsenwerden. Neben der Frage: „Was darf Kunst?“ schließt sich direkt „Was dürfen Eltern ihren Kindern abverlangen?“ an, und hiermit begibt sich der Film trotz allem Irrsinn und künstlerischem Anspruch der Eltern auf eine Ebene, die alle Menschen betrifft und in den verschiedensten Varianten in fast jeder Eltern-Kind-Beziehung zu finden ist. Und – so viel sei verraten – Annie und Baxter, beide zunächst gefangen in Depressionen und Süchten, wachen auf ihre Weise tatsächlich auf.

 

Jason Bateman
Die gesammelten Peinlichkeiten unserer Eltern in der Reihenfolge ihrer Erstaufführung
Tiberius Film, 2017
DVD, 102 Minuten, 13,99 Euro

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