Frage: Nicole, Du tanzt seit 15 Jahren professionell Flamenco. Was ist für Dich heute das Wesentliche an dieser Ausdrucksform?
Nicole: Der Flamencotänzer ist aufgefordert, die Essenz seines tiefsten Empfindens frei nach außen zu bringen. Die Kompromißlosigkeit und die Intensität machen den Flamenco zu einer eigenen, ungezähmten Ausdrucksform die folgende Eigenschaft hat: „Der Flamenco will nicht gefallen.“ Genau das macht den Flamenco für mich so reizvoll: sich ausdrucksmäßig frei zu machen von der Erwartung des Betrachters und den eigenen Stil, Deine Einzigartigkeit zu entdecken und zu zeigen. Es ist die Individualität, die hier in ihrer ganzen Größe und Kraft ins Außen gebracht wird. Der Flamencotänzer stellt sich immer groß und aufrecht dar. Er ist ehrlich und in seinem So-Sein vollkommen und genau diese Haltung wird oft als Stolz fehlinterpretiert.

Frage: Nicole, Du leitest seit zehn Jahren Deine Flamencoschule und unterrichtest seit fünf Jahren Flamencotanz an der Humboldt Universität und der FU. Bist Du der Meinung, daß jeder diesen Tanz erlernen kann?

Nicole: Ja, jeder, der in sich den Wunsch spürt, sich körperlich, tänzerisch und somit auch seelisch in diesem Bereich auszudrücken. Du kannst es so verstehen, Flamenco kann Dein Werkzeug sein, um Deine Entwicklung zu unterstützen. Flamenco ist nicht gebunden an eine Nationalität sondern an eine Mentalität. Und hier fängt dieser Tanz an, auch therapeutisch zu sein. Wenn es nämlich in Deinem Leben darum geht, bestimmte Bereiche zu integrieren, liebevoll anzunehmen und wachsen zu lassen. Dabei spielen Dein Alter oder Deine Figur überhaupt keine Rolle.

Frage: Welche Bereiche meinst Du?

Nicole: Hauptthema im Flamenco ist das Selbstwertgefühl, Deine Größe, Schönheit und Einzigartigkeit zu erfahren und zu zeigen.

Frage: Wie kann man das bei Dir erlernen?

Nicole: Ich habe in meinem Unterricht all meine Erfahrungen zu einem Unterrichtsstil entwickelt, der Körper, Geist und Seele integriert. Im Außen kann ich mich schließlich nur groß darstellen, wenn ich mich im Inneren auch so fühle. Und das heißt, daß wir zu Beginn des Unterrichts erst einmal ganz bei uns, in unserem Körper ankommen. Eine geführte Meditation, die uns mit unserem Licht und unserer Liebe verbindet, eröffnet immer den Tanzunterricht. Die Energie, die damit frei wird, ermöglicht eine sensible und offene Arbeit in der Gruppe. Jeder der tanzen erlernt, möchte wachsen. Und wachsen heißt, über die eigenen Begrenzungen hinauszugehen und das erfordert Mut. Um mutig zu sein brauche ich eine vertrauensvolle Basis und die gebe ich in meinen Unterricht.

Frage: Nicole was ist Deine größte Stärke, worin bist Du wirklich großartig?

Nicole: Ich erkenne den Schüler, bevor ich mit ihm gesprochen habe. Ich erkenne ihn in seiner Bewegung, an seiner Haltung, seinem Habitus, ich sehe ihn vor mir mit seinen Stärken und Schwächen, und ich kann mich sehr nahe einfühlen. Ich weiß, wie weit ich jemanden fordern darf, und wann ich den Schüler lieber sich selbst überlasse. Ich sehe mich hier als eine Art Entwicklungshelfer. Meine größte Stärke ist mein Einfühlungsvermögen, kurzum die Liebe zu meinem Nächsten.

Frage: Was hat Dich zu dieser eigenen Sichtweise, den Flamenco zu erleben, gebracht?

Nicole: Extreme Begegnungen mit dem Leben und dem Tod und dadurch außerkörperliche Erfahrungen die mein Weltbild erweiterten. Seit zehn Jahren meditiere ich, und vor zwei Jahren hatte ich eine Vision. Ich sah mich in einem Flamencokleid, das brüchig war und förmlich aus allen Nähten platzte. Grund dafür war ein goldenes Licht im inneren meines Körpers, das Korsett des Kostüms sollte hier gesprengt werden, damit das Licht sich ausbreiten konnte.
Ich habe damals diese Botschaft verstanden. Und dem Licht den Raum in meinem Leben gegeben und somit auch im Flamencotanz. Seit dem integriere ich mein Wissen über die inneren Welten in meinem Unterricht.

Frage: Nicole, möchtest Du abschließend noch etwas sagen?
Nicole: Ja, ich möchte mich bei meinem Gitarristen Claudio El Compadre bedanken für die freudvolle und beseelte Zusammenarbeit in meinem Tanzstudio und auf der Bühne. Vor zwei Jahren haben wir eine gemeinsame Flamenco-CD herausgebracht mit dem Titel Alma y vida: was so viel heißt wie mit Leib und Seele. Im Herbst 2000 wird voraussichtlich mein Buch dazu erscheinen: „Flamenco mit Leib und Seele“, ein Übungsbuch für Lernende und Lehrende, auf das ich mich schon sehr freue.

Interview mit Nicole Georgi geführt von Christiane Bohn

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