Zeit ist vielleicht das Kostbarste, was wir besitzen. Doch einen Großteil unserer Zeit schenken wir nicht uns selbst, unseren Freunden und Kindern, sondern verkaufen sie. Beruf ist nur für die wenigsten Berufung und für immer mehr Menschen vielmehr eine Last, die zu Burn-Out, Depressionen und Unzufriedenheit führt. Während die einen Menschen viel zu viel arbeiten, und zu wenig Zeit für Hobbys, Familie und Freundschaften bleibt, weil sie immer mehr, zu immer komischeren Zeiten arbeiten, gibt es auf der anderen Seite sonderbarerweise gleichzeitig zu wenig Arbeit für alle. So ist die Idee nicht unbedingt neu, beide Probleme gleichzeitig zu lösen: Alle arbeiten einfach weniger. Forscher empfehlen die 21-Stunden-Woche.

Denn 40 Stunden zu arbeiten, ist kein Naturgesetz. Wir können die Gesellschaft gerade vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung durchaus auch so umstrukturieren, dass wir alle sehr viel weniger arbeiten. Die Wirtschaft soll ja den Menschen dienen, nicht andersherum, deshalb sollte sich die Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Menschen richten, nicht die Menschen sich nach den Bedürfnissen der Wirtschaft.

 

21 Stunden

Diese Idee wurde nun ein weiteres Mal vom Londoner Think-Tank New Economics Foundation vorgestellt. In ihrer Studie „21 hours“ fordern sie, dass statt der 35-40-Stunden-Woche die 21-Stunden-Woche die Regel sein sollte:

„Eine ’normale‘ Wochenarbeitszeit von 21 Stunden könnte helfen, eine Reihe von dringenden, miteinander verwobenen Problemen zu lösen: Überarbeitung, Arbeitslosigkeit, übermäßiger Konsum, hohe Kohlendioxid-Emissionen, niedriges Wohlbefinden, sich verschärfende Ungleichheiten und zu wenig Zeit, um wirklich nachhaltig zu leben, füreinander zu sorgen und einfach das Leben zu genießen.“

Sie argumentieren, dass es auch nach der bezahlten Arbeit noch jede Menge zu tun gibt, die wichtig für eine Gesellschaft ist.

„Zeit ist wie Geld zu einer Ware geworden – ein Erbe des Industrialismus. Aber die Logik des Industrialismus ist nicht auf der Höhe der Zeit. (…) Um den Herausforderungen zu begegnen, müssen wir unsere Wertung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ändern. (..) Eine viel kürzere Arbeitswoche würde das Tempo unseres Lebens verändern, Bräuche und Konventionen neu formen und die dominante Kultur der westlichen Zivilisationen von Grund auf verändern. (…) Eine kürzere Arbeitszeit würde unsere Angewohnheit beenden zu leben, um zu arbeiten, zu arbeiten, um zu verdienen und zu verdienen, um zu konsumieren.“

Planet, Menschen und Markt

Die Argumente ihrer Untersuchung lassen sich in drei Bereiche aufteilen: der Planet, die Menschen und der Markt. Alle drei, so die Autoren würden eine kürzere Arbeitswoche nötig machen.

Mehr Zeit würde den Fokus vom Konsum wieder zu menschlichen Beziehungen verschieben, so hoffen die Autoren. Denn eine veränderte Gesellschaft würde neue Werte erzeugen, mehr Zeit zum Nachdenken, Zusammensein und ein nachhaltiges Leben. Eine Konzentration auf das wirkliche wichtige würde das Konsumverhalten verändern und mehr Zeit lassen, sich mit Umweltfragen zu befassen.

Mehr Zeit würde den Menschen dienen, weil wieder Zeit vorhanden wäre für wesentliche menschliche Bedürfnisse. Überarbeitung und Unterforderung könnten gleichermaßen ausgeglichen werden. Arbeit wäre gleichmäßiger in der Gesellschaft verteilt, der Druck, Arbeit finden zu müssen weniger hoch. Eltern könnten sich sowohl die Arbeit als auch die Erziehung besser teilen, hätten mehr Zeit füreinander und ihre Kinder.

Auch die Märkte würden davon profitieren und vor allem würden sie, so glauben die Autoren, realistischer werden, manche Dinge, die eigentlich niemand braucht, würden wegfallen, andere, die wirkliche Bedürfnisse erfüllen betont werden. Der Übergang dürfte allerdings nicht ganz einfach werden, die Autoren befürchten massiven Widerstand, da sich die Löhne und die Personalpolitik gründlich ändern müssten.

Ziel der Entwicklung sei eine „Steady-State“-Ökonomie, also eine Wirtschaft, die ohne permanentes Wachstum auskommt. Wie dieser Übergang im Einzelnen praktisch zu vollziehen sei, soll Gegenstand der nächsten Studie der NEF werden.

Der grobe Ansatz ist eine kontinuierliche Reduktion der Arbeitszeit über mehrere Jahre, bei steigenden Löhnen – da dürfte in der Tat mancher Personalchef schrill auflachen. Mehr Job-Sharing, mehr Selbstständige, weniger Überstunden – und auch das Steuer- und Sozialsystem Großbritanniens bräuchte einige Veränderungen, um so einen Übergang möglich zu machen.

Zeit und Glück

Die Idee ist nicht neu, dürfte aber dem Gefühl vieler Menschen entgegenkommen, die sich im Hamsterrad der 40-Stunden-Woche zunehmend eingesperrt fühlen. Auch vor dem Hintergrund, dass zunehmende Technisierung immer mehr Arbeitskräfte überflüssig macht, während die Produktion sogar noch steigt, macht die Idee, Geschwindigkeit rauszunehmen und sich auf das Leben zu konzentrieren durchaus Sinn.

Offen bleibt die Frage, ob hier tatsächlich die Ursache angegangen wird, oder erst andere Veränderungen erfolgen müssten, die einen solchen Wandel erst möglich machen würden. Eines jedoch wird in aktuellen Debatten immer deutlicher – seien es nun solche, die sich um ein Bedingungsloses Grundeinkommen, eine Ausrichtung auf ein Bruttonationalglück oder ähnliche Ansätze drehen: Die Menschen sehnen sich nach einer anderen Form von Gesellschaft, einem Leben mit wirklicher Lebensqualität, das es Menschen ermöglicht, ihre sozialen Bedürfnisse zu erfüllen, sich selbst zu verwirklichen, frei über Zeit zu bestimmen und die Dinge zu tun, die für den Einzelnen wirklich wichtig sind.

 

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8 Responses

  1. Friederike

    Das wichtigste ist die Würde des Menschen zu wahren. Wenn aber die Menschen ihre Würde verlieren, dann sind sie erst recht pleite. Möglicherweise sind alle diese Arbeits- und Schuldsysteme konzipiert worden, damit Menschen ihre Würde und ihre göttliche Orientierung verlieren. Diese Reflexion kam bei dem tollen Artikel von Roland Rottenfusser
    „Leben ohne Existenzangst, Arbeit ohne Zwang“
    http://www.zeitpunkt.ch/news/artikel-einzelansicht/artikel/leben-ohne-existenzangst-arbeit-ohne-zwang.html
    „Schuften im Schlaraffenland: Warum ein Bedingungsloses Grundeinkommen möglich und notwendig ist“
    http://www.connection.de/artikel/politik-wirtschaft/bedingungsloses-grundeinkommen.html

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  2. lionheart

    im schuldgeldsystem mit zinszwang gibt es nur wachstum. ohne wachstum bricht das system zusammen.
    zur 21 std woche würde man natürlicherweise das bedingungslose grundeinkommen benötigen.

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  3. Redaktion

    @Dromedar Danke für die konstruktive, berechtigte Kritik, die allerdings im Artikel selbst auch am Ende geäußert wird (Nachtrag). Auch in den Links am Ende finden sich durchaus Texte, die einen anderen Blickwinkel einnehmen und auch die Sklavenarbeit thematisieren. Danke auch für den lesenswerten Hinweis auf den Krisis-Text, den wir versuchen werden für SEIN zu bekommen.

    Liebe Grüße
    David

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  4. Dromedar

    In diesem Artikel wird vorgegaukellt, dass die politisch-wirtschaftliche Denkfabrik „Think-Tank“ uns die Arbeitszeit verkürzen will ( http://de.wikipedia.org/wiki/Think_Tank ). Auch wird hier getäuscht, dass derzeitige Arbeitszeit aus 40 Std./Wo. besteht, obwohl jeder weiß, dass wir wegen Pausen, Fahrten und häufigen Überstunden, keine 8 Stunden sondern mind. 10 Stunden täglich (50 Std. wöchentl.) der Arbeitstreiberei zu opfern haben (ansonsten Hartz4-Keule). Über diese moderne und verdeckte Sklavenarbeit wird hier kein Wort verloren. Wenn sich der anonyme Autor auf die Forschung beruft, sollte er nicht nur eine Oberfläche betrachten. Eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit hat die Gruppe Krisis geleistet u.a. im „Manifest gegen die Arbeit“ http://www.krisis.org/1999/manifest-gegen-die-arbeit
    In 8 Sprachen: http://www.krisis.org/diverse_manifest-gegen-die-arbeit_1999html

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  5. christa

    Ich glaube, wir sollten so tolerant sein, mehrere Denk-Wege zur Lösung der derzeitigen Wirtschafts-, Arbeitsmisere zuzulassen. Was bringt es, eine Idee als absurd und scheinheilig zu bezeichnen? Vielleicht ist das Gesamtkonzept nicht umsetzbar oder nicht das, was letztendlich die Lösung bringt, aber irgendetwas steckt bestimmt auch an Brauchbarem dahinter und das lässt sich vielleicht wieder für anderes nutzen.

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  6. Tom Davis

    Diese Think-Tank pseudo-Forschung und alle Arbeitsprogramme sind scheinheilig und absurd.
    Wir müssen endlich erkennen, dass das wahre Übel nicht in der „Zeit“ bzw. „Stunden“ liegt, sondern im ZWANG und in der BEVORMUNDUNG.
    Wenn Menschen unter Zwang arbeiten müssen, dann wird jede Stunde und sogar jede Minute zur Qual.
    Das gleiche gilt für die Schule.
    Wenn Menschen aber freiwillig arbeiten und dabei gut verdienen, sollen sie doch auch ihre Arbeitszeit stets selbst bestimmen. Es muss doch möglich sein und jedem überlassen werden, ob er lange schuften möchte, um eine Villa samt Auto zu finanzieren, oder nur kurz (oder gar nicht) um sich kreativ und sozial betätigen zu können.
    Die im Artikel erwähnte Idee des bedingungsloses Grundeinkommens schafft genau diese Voraussetzungen.
    Hier Kostenloser download des Films „Grundeinkommen Kulturimpuls“
    http://www.forum-grundeinkommen.de/filme-bge/grundeinkommen-filmessay-daniel-haeni-enno-schmidt

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