Als Mark Kawika Patterson seine Arbeit als Gefängnisdirektor im Women’s Community Correctional Center (WCCC) außerhalb Honolulus begann, machte er eine Entdeckung, die seine Auffassung von Gefängnissen auf den Kopf stellte: Ein Drittel der Insassen des hawaiianischen Frauen-Gefängnisses bekam Medikamente wegen psychiatrischer Erkrankungen, 90 Prozent ihrer Verbrechen entsprangen Drogenkriminalität und von den Süchtigen hatten 75 Prozent eine Geschichte von emotionaler, physischer oder sexueller Traumatisierung.

Diese Frauen brauchen keine Strafe, realisierte Patterson. Sie brauchen einen Ort, um zu heilen. Und so machte sich auf, das WCCC als pu’uhonua neu zu erfinden. In der traditionellen hawaiianischen Kultur, ist ein pu’uhonua ein Heiligtum, zu dem diejenigen gehen konnten, die ein Tabu oder eine Regel gebrochen hatten oder auf der Flucht vor gewaltsamen Konflikten waren und dort um Vergebung und Transformation bitten konnten.

Buntstifte und Bücher als Anfang

Wie viele Gefängnisse, hatte das WCCC wenig Angebote für die Insassen als Patterson dort begann. Obwohl die meisten der Insassen für kleinere Vergehen inhaftiert waren und als „minimale Sicherheit“ klassifiziert waren, wurde die gesamte Belegschaft von 270 Insassen, genauso behandelt wie jene 80 Häftlinge, die eine höhere Sicherheitsstufe hatten.

Und trotz der großen Zahl von Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen gab es keine psychiatrische Vollzeitkraft – nur einen Teilzeit-Psychiater. Also halfen die Gefängnis-Offiziere, wo sie konnten, berichtet Patterson. Einige kauften Buntstifte und Bücher von ihrem eigenen Geld, so dass die Frauen mit psychischen Erkrankungen aus ihren Zellen kommen und sich mit anderen Frauen an den Tischen in den Höfen versammeln konnten.

Gefängnis als Gemeinschafts-Projekt

Aber abgesehen von der Finanzierung eines Sucht-Programms, gab es kein Geld für Angebote zur Unterstützung der Frauen beim Wiederaufbau ihres Geistes und dem Erlernen der persönlichen und beruflichen Fähigkeiten, die sie benötigen würden, um in Freiheit erfolgreich sein zu können. In der Tat wurde das Gefängnis Budgets sogar gekürzt.

So bat der Direktor die größere Gemeinschaft um Hilfe und fand Menschen in allen Bereichen des Lebens, die bereit waren, zu helfen.

Eine der Gruppen, die ihm antwortete, war der Lanikai-Kailua Outdoor-Circle, eine lokale Umweltschutzorganisation, die den Insassen nun hilft, Gemüse in Hydrokultur-Gärten anzubauen. Das Gemüse geht in die Gefängnis-Küche und gemeinsam bauen sie auch kleine, tragbare Hydrokultur-Gärten, welche die Insassen mit sich nehmen können, wenn sie freigelassen werden.

Ein Kochkunst-Lehrer aus dem Kapiolani Community College unterrichtet Kochen und Insassen erwerben Zertifikate und bekommen immer wieder gute Jobangebote, wenn sie freigegeben sind.
Auch ein Schweißer gibt Unterricht am WCCC.

Wurzeln stärken

Obwohl native Hawaiianer nur 20 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen, stellen sie 43 Prozent der Gefängnisinsassen, und so suchte Patterson, der selbst Hawaiianer ist, nach Wegen, um den Frauen ihre Traditionen nahezubringen. Mit Hilfe des Honolulu Garden Club, züchten die Insassen heute Taro, Bananen und Zuckerrohr und erlernen dabei die traditionellen landwirtschaftlichen Praktiken.

„Wir haben es verlernt, ein Dorf zu sein – aufeinander angewiesen zu sein“, sagt Patterson. „Früher haben uns um die ‚kolohe‘ gekümmert, die Menschen mit den ‚harten Köpfen‘. Aber jetzt können wir uns auf unsere Nachbarn nicht mehr verlassen. Es ist einfach, die kolohe-Personen zu nehmen und wegzuwerfen. Meine Idee ist es, die ganze Gemeinschaft dabei einzubeziehen, die Frauen wieder in die Gemeinschaft zu integrieren.“

Für die Kinder

Mehr als die Hälfte der Frauen im WCCC sind Mütter. Kinder können das Gefängnis am Wochenende besuchen, wenn ihre Betreuer sie hinbringen. Berater von einer lokalen gemeinnützigen Organisation namens Keiki o ka ‚Aina (Kinder des Landes) beobachten die Interaktionen und beraten die Mütter in Erziehungsfragen. Die gleiche Gruppe organisiert auch mehrmals im Jahr Picknicks für die Insassen und ihre Kinder, mit einem von den Insassen bereiteten Buffet, Spielen und Zeit für ruhige Gespräche und Umarmungen.

Manchmal fragen die Betreuer der Kinder die Aufseher, warum die Frauen so gut behandelt werden. Viele von ihnen sind Angehörige und wütend über die Last der Kindererziehung, während die Mütter Zeit hinter Gittern verbringen.

„Ich sage ihnen, dass es für die Kinder ist“, sagt der Aufseher. „So landen die Kinder nicht auch im Gefängnis.“

Aber die Frauen müssen Fortschritte bei den Themen machen, wegen derer sie eingesperrt wurden, wenn sie teilnehmen möchten „Ich habe Frauen in die Freiheit geschickt, mit traurigem Gesicht, mit sieben oder acht Kindern“, erinnert sich Patterson, „und dann sind sie in ein oder zwei Wochen wieder hier.“

Frei werden im Gefängnis

Eine von denen, die vor Kurzem aus dem WCCC entlassen wurden, ist Daphne Ho’okano, die vier Jahre für den Handel mit Methamphetamin gesessen hat. Ho’okano begann im Alter von 12 mit dem Verkauf von Drogen und begann mit anderen Mitgliedern ihrer engen Großfamilie zu trinken, als sie 13 war.

Anfangs widersetzte sie sich den Behandlungsangeboten: „Wir gehen durch Phasen hier im Gefängnis“, sagt sie. „Verleugnung, Trauer, Wut … und dann die Freiheit.“

Heute gründet sie ein Mentoring-Programm, um anderen zu helfen, die aus dem WCCC entlassen werden. „Das Leben wird nicht einfacher, nur weil du aus dem Gefängnis bist“, sagt sie. „Du brauchst Hilfe da draußen, jemanden, der den gleichen Weg wie du gegangen ist, um deine Hand zu halten und dich zu stützen. Das ist es, was mich antreibt: ein Teil der Lösung zu sein. Ich bin frei geworden im Gefängnis.“

Mit der Unterstützung von solchen Lehrern und Mentoren aus der Community glaubt Patterson auch anderen Insassen auf ihrem Weg in die Freiheit helfen zu können.

„Ich mag es, erste Schritte zu gehen, die noch nie zuvor getan wurden“, sagt Patterson. „Dann, wenn mir niemand auf die Hände schlägt, gehe ich einfach weiter.“ Das nächste Projekt? Das Pflaster der Gefängnis-Höfe aufreißen und die Außenbereiche in üppige, grüne Gärten verwandeln.

 


 

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Über den Autor

Avatar of Sarah van Gelder

schrieb diesen Artkel für das YES!-Magazine. Sie ist Mitgründerin und Chefredakteurin des Magazins und hat das Women’s Community Correctional Center im Februar mit ihrer Kollegin Puanani Burgess besucht.

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5 Responses

  1. Christine

    Toller Beitrag 😉

    Hier eine wichtige Info, was auch in Gefängnissen großen Erfolg hat, um den Frauen und Männern bei der transformation zu helfen.
    Ich bin auch dabei ihnen zu helfen…..gebt es weiter…. DANKE…..

    http://artofliving.eu/index.php?id=20

    Namaste Christine

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  2. Franz Josef Neffe

    Sind wir nicht alle im Gefängnis? Und hungert unsere Seele nicht nach Beispielen von Menschen, die ihr Gefängnis verlassen können, weil sie gelernt haben, den Generalschlüssel des Geistes achtsam zu gebrauchen? Wir haben doch alle diesen Schlüssel – aber wie benutzt man ihn?
    Ich grüße freundlich.
    Franz Josef Neffe

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  3. Guido V.

    Ein Saatkorn für die Optimierung, die vor uns liegt. Solche Projekte sind der richtige Weg.

    Gruß
    http://www.gold-dna.de

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