Wenn Menschen sich zusammentun, entsteht gemeinschaftliche Potenzialentfaltung. Ein Netzwerk oder eine Gemeinschaft haben das Potenzial, Co-Kreativität, Verbundenheit und Zugehörigkeit zu erzeugen und größere Projekte zu verwirklichen.

von Andreas Fiedler

Denn das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Wir kennen all die guten Ideen und wünschen uns immer mehr Leben in Gemeinschaft, privat, im Berufsleben oder auch im Alter. Zwischen Idee und Wirklichkeit liegt jedoch ein mitunter steiniger Weg. Und nicht immer wird das Potenzial verwirklicht. Manchmal verwirklicht sich eine eher dunkle Seite, das Schattenpotenzial. Das sind z.B. Ausgrenzung, Ego- Spiele und Rechthabereien. Eine gemeinsame Entwicklung ist nur möglich, wenn eine Krise genutzt werden kann, um auf ein bewussteres Niveau zu kommen, auf dem Werte und Interessen respektvoll ausgehandelt und Gegensätze integriert werden können. Das sehen wir auf persönlicher Beziehungsebene wie auf unternehmerischer und gesellschaftlicher Ebene.

Wie wollen wir leben und arbeiten?

In einer Welt, die an Rechthabereien, Ego- Spielen und Ausgrenzung krankt, ist es umso bedeutsamer, die Bedingungen eines schöpferischen Zusammenlebens und -wirkens zu erforschen und damit das Potenzial von gemeinschaftlicher Verbundenheit für die persönliche und kollektive Entwicklung nutzbar zu machen. Letztlich geht es hier um die Frage, wie wir als Menschen mit unterschiedlichen Werten und Erfahrungen synergetisch zusammenwirken können, statt uns in den Gegensätzen zu trennen. Darin enthalten ist auch eine evolutionäre Frage: Was ist die nächste Evolutionsstufe unseres Bewusstseins, vor der wir als Menschen stehen und vor der unsere Organisationen und Gemeinschaften stehen? Vielleicht geht es um nichts weniger als einen Paradigmenwechsel – wie ihn z.B. Charles Eisenstein mit seinem Prinzip des „Interbeing“ nahelegt: ein Wechsel vom vorherrschenden Paradigma der Separation hin zum Paradigma der wechselseitigen Verbundenheit. Eine Vielzahl von Autoren und Wissenschaftlern befassen sich mit Gemeinschaftsentwicklung, neben Eisensteins Philosophie („Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich.“) fließen hier die Arbeit von Otto Scharmer, Thomas Steininger, Frederic Laloux und Gerald Hüther ein.

Bausteine für Gemeinschaftsbildung und Potenzialenfaltung

Aus alldem zeichnen sich folgende wesentliche Fakotren ab:

1. Die gemeinsame Intention

Unter Intention verstehen wir die Ausgerichtetheit und Verbindung mit einem Ziel oder einer Vision, denn „wer kein Ziel hat, kann auch keines erreichen.“ (Laotse). Gut, wenn es sich um ein sinnerfülltes erstrebenswertes Ziel handelt, auf das wir uns immer wieder besinnen und ausrichten können. Ein Ziel, das kein Egotrip ist sondern auf einen höheren Sinn ausgerichtet ist, etwas, das über das Ego hinausgeht, andere Menschen mit einschließt. Wie z.B. Verbundenheit oder eine Kultur der Wertschätzung zu erschaffen. Den eigenen Fokus auf das höhere Anliegen immer wieder herzustellen, das ist sowohl für uns als Individuen entscheidend (zum Beispiel beim Thema Beruf und Berufung) als auch für unsere Gemeinschaften. Es liefert auch eine nachhaltigere Motivation und mehr Energie als “kleine” Egoziele. Wie schaffen wir es als Gemeinschaft, uns auf ein gemeinsames Anliegen auszurichten? Dafür ist es notwendig, zuerst mal wahrzunehmen, was sich entfalten möchte, also dem Potenzial der Gemeinschaft Gehör zu verschaffen. Den Raum zu öffnen für das, was geboren werden will. Die erste und wichtigste Frage scheint mir: Ist der Sinn, der sich zeigt, für alle Mitglieder nachvollziehbar, kann sich jede/r mit diesem Sinn verbunden fühlen? Erst wenn das bejaht werden kann, lässt sich eine nachhaltige gemeinsame Ausrichtung schaffen. Die gemeinsame Intention, das Fundament für gute Resultate.

2. Wer bin ich? Wer sind wir?

Die „DNA“ Die „DNA“ einer Gruppe ist das, was sich entfalten will. Gehen wir davon aus, dass das Potenzial eines natürlichen Wesens bereits in ihm angelegt ist. Sowohl in der Pflanze, in uns Menschen als auch in unseren Beziehungen, Gemeinschaften und Organisationen. Wir sprechen von dem „Wesen“, von der „Corporate- DNA“ oder der „Seele“. Natürliches Potenzial bedeutet, wer „ich“ sein kann, wer „wir“ sein können, wenn wir unsere Begrenzungen, Konditionierungen und Schatten integriert haben. So wie das natürliche Wachstum einer Pflanze durch gute Bedingungen (Licht, Boden, Wasser) gefördert wird, so entfalten sich auch Talente und Begabungen eines Menschen oder einer Gemeinschaft. Im Samenkorn des Baumes ist die ausgewachsene Form enthalten. In einer Gemeinschaft ist auch die ausgewachsene Form enthalten: Otto Scharmer nennt das „die entstehende Zukunft“ und schlägt vor, die Gegenwart von dieser Zukunft her wahrzunehmen und zu gestalten – anstatt aus den Erfahrungen und Konventionen der Vergangenheit.

3. Wertschätzung und subjektive Verbundenheit

Persönliche Wertschätzung und Verbundenheit sind Voraussetzung für eine Kultur der Potenzialentfaltung. In den traditionellen Organisationen kann man leicht erkennen, warum Potenzialentfaltung kaum möglich ist. Ob es das Schulsystem ist, Verwaltungen, Unternehmen und Konzerne: in diesen Bereichen des Lebens geht es mehr darum, festgelegte Anforderungen zu erfüllen im Wettbewerb zu bestehen oder Vorschriften einzuhalten. Gerald Hüther sagt dazu, dass Potenzialentfaltung unmöglich sei, „wo Menschen einander wie Objekte behandeln“. Ich behandle andere als Objekt, wenn ich sie in erster Linie als Möglichkeit sehe, bestimmte Bedürfnisse zu erfüllen, mir etwas zu geben, von dem ich glaube, dass ich es brauche. Subjektive Verbundenheit entsteht auf der Basis von Wertschätzung für das Sein des anderen. Er/sie muss keine Funktion für mich erfüllen, sondern darf so sein, wie er/sie ist, darf auch anders sein als ich. Das Gemeinsame entsteht aus freier Wahl und nicht aus ökonomischem Kalkül. Subjektive Verbundenheit ist wesentliche Voraussetzung für eine Potenzialentfaltungsgemeinschaft – dann, wenn die Mitglieder einander respektvoll, wertschätzend, verständnisvoll, wohlwollend, unterstützend etc., eben „als Subjekte“ begegnen.

Führung

Ohne Führung gibt es oft keine Entwicklung, Konflikte bleiben ungelöst und Potenzial kann sich kaum entfalten. Gute Führung ist verwandt mit Intention, sie dient dem Erreichen eines Ziels. Führung greift ein, wenn das Schattenpotenzial – Konsumhaltung, Ego-Spiele, Rechthaberei u.a. – sich zu entfalten drohen. So wie wir im Außen unbewusste, destruktive Haltungen sehen, so gibt es diese Schattenaspekte auch im Inneren. Wenn wir den Gemeinschaftsgedanken auf die individuelle, persönliche Ebene übertragen, dann haben wir es mit unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen zu tun, die in uns zusammenwirken. Manche nennen dies „Inneres Team“, „Archetypen der Seele“ oder heben einzelne Aspekte hervor wie „das Innere Kind“, der „Innere Krieger“ oder „Antreiber“. Hier schaffen wir durch Selbstführung die Bedingungen – oder eben nicht –, unter denen wir uns gut entfalten können, indem wir „respektvoll, wertschätzend, verständnisvoll, wohlwollend, unterstützend mit diesen inneren Anteilen umgehen. Und destruktive, rechthaberische Anteile in die Schranken weisen. So wie wir im Außen auf Bewertung und Verurteilung stoßen, so bilden wir das selbst in unserem Inneren ab. Wir verurteilen uns selbst und werden verurteilt.

Somit behindern wir selbst unsere eigene Potenzialentfaltung. Dies geschieht aus Unbewusstheit heraus, denn unser eigentliches Potenzial ist mitunter weit entfernt von unserem Alltagsbewusstsein in einer Art Dornröschenschlaf. Wir haben oft mehr gelernt zu funktionieren, unserem inneren Antreiber zu folgen, als wirklich tief zu blicken und die Schönheit unseres Wesens ans Tageslicht zu bringen. Aber genau um diese Schönheit geht es, in uns selbst und in Gemeinschaften. In uns übernimmt im besten Fall eine erwachsene, bewusste Instanz die Führung und reduziert Konflikte zwischen den Anteilen, achtet auf eine integrierte Entwicklung, in der alle Anteile „mitgenommen“ werden. In Gemeinschaften heißt Führung, einen Rahmen zu schaffen, der dem, was entstehen will, dem, was in der DNA angelegt ist, Raum zur Entfaltung gibt – und auch jedes Mitglied mitnimmt. Praktisch gesehen bedeutet das: Jede/r in der Gemeinschaft ist eingeladen, diese Art der Führung auszuüben, darauf zu achten, dass das, was geschieht, dem gemeinsamen Ziel dient, und einzugreifen, wenn es dem nicht dient.

Das GesundheitsNetz in Potsdam – eine neue Gemeinschaft in Potsdam

Im Februar 2018 haben sich auf Initiative von Lydia Poppe Heilkundige, Therapeuten und Coaches in Potsdam zusammengefunden und ein ganzheitliches Netzwerk gegründet. Gemeinsames Anliegen ist es, als Bereicherung für das Leben der Menschen in Potsdam und als Möglichkeit der Potenzialentfaltung für die Mitglieder zu wirken. Das Netzwerk will Impulse für eine bewusste und ganzheitliche Lebensweise in die Region geben und eine Kultur der Wertschätzung und Potenzialentfaltung entwickeln. „Nur wenn wir uns mit anderen verbinden, werden unsere Gaben sichtbar – auch für uns selbst.“ (Meg Wheatley) Erste Schritte sind gegangen, gemeinsame Intention, Verbundenheit und Führung entwickeln sich gerade. Wir dürfen gespannt sein, wie es gelingt, die “DNA”, die Schönheit dieses Wesens, zur Entfaltung zu bringen.

Noch in diesem Sommer, am 31. August, findet der erste Potsdamer Erlebnistag für Ganzheitliche Gesundheit statt. Anmeldung unter lydia@sein.de

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